In der Westsahara
Von Konflikten zwischen Ländern, von Menschen, die seit 40 Jahren in Flüchtlingslagern leben, und von Papierkärtchen, die ausgeschnitten werden sollen.
Dass mein Tutor seine Doktorarbeit über irgendetwas in der Sahara schreibt, das wusste ich längst. Was das mit der Sahara auf sich hatte, hatte ich mich damals noch nicht gefragt, die in Spanisch folgende Erkärung, die ich doch noch bekam, ehrlich gesagt auch nicht ganz verstanden. Wirklich neugierig wurde ich erst, als wir auf einem Konzert von Manu Chao waren: Während eines Lieds betrat eine Gruppe von Frauen und Kindern in traditionellen Kleidern und mit Flaggen der Westsahara die Bühne. „Marokko ist schuld, Spanien aber auch“, sagte die Frau, die während einiger Sekunden das Mikrofon übernahm. In der darauffolgenden Woche hieß es für uns bei der Arbeit zuerst einmal Papierkärtchen ausschneiden und laminieren – für einen Sprachkurs in der Westsahara. Was also hat es mit der Westsahara auf sich?
„Sahara Occiental“ heißt die Westsahara auf Spanisch und gehörte während der Kolonialzeit zu Spanien. Seit dem Abzug der Kolonialmacht betrachtet Marokko das Gebiet jedoch als Teil seines Landes, auch weil es zu Zeiten vor der Kolonialisierung einmal zu Marokko gehörte. Ich konnte im Internet politische Weltkarten finden, die die Westsahara nicht einmal einzeichen, sondern das Gebiet tatsächlich zu Marokko zählen. Zahlreiche ehemalige Bewohner der Westsahara mussten flüchten und wohnen nun bereits seit 40 Jahren in Flüchtlingslagern um Tindouf in Algerien. Auch wenn sie sich hier längst eingerichtet haben, es gibt asphaltierte Straßen und teilweise auch Häuser, leben sie in der ständig Hoffnung, doch noch eines Tages ihr Territorium zurück zu erlangen, mehr und mehr macht sich aber Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit breit. Die Frente Polisario, eine sogenannte „Befreiungsfront“, fordert einen unabhängigen Staat, Spanien scheint theoretisch gesehen durchaus gewillt, der ehemaligen Kolonie Unabhängigkeit zu geben, die EU vertritt keine klare Meinung und Marokko möchte das Territorium jedoch zu sich selbst zählen. Die Westsahara ist reich an Rohstoffen und Spanien zieht zu viele Vorteile heraus, eine gute Beziehung zu Marokko zu pflegen.
Die Universidad Autónoma de Madrid, genau genommen das Oficina de Acción Solidaria y Cooperación, das eben auch die Aufnahmeorganisation während meines EVS ist, bietet in Flüchtlingslagern rund um Tindouf Kurse für Frauen an, die sie zu Sprachlehrerinnen ausbilden und die nach einem Jahr ein dementsprechendes Zertifikat erhalten. Die Papierkärtchen, die wir ausschneiden, nehmen die Verantwortlichen, die eine Woche später in drei dieser Flüchtlinglager reisen sollen, mit auf den Weg und sind dafür gedacht, als Vokabelkärtchen beim Unterrichten von Fremdsprachen zu dienen. „Einige Bilder sind mit rotem Strich durchgestrichen“, erklärte unser Tutor uns vorher. „Die müsst ihr nicht ausschneiden; die nehmen wir eh nicht mit.“ Ich blätterte durch den dicken Stapel Papier und entdeckte verschiedene Bilder, die durchgestrichen waren: eine dunkelrote Weinflasche darunter, ebenso ein breites Sofa und ein Hund, der aus einem Wassernapf trinkt. Unser Tutor fügte hinzu, „Das sind Objekte, die es in den Flüchtlingscamps nicht gibt, insofern macht es auch keinen Sinn, sie als Vokabeln einzuführen.“