"Ima izać'!"
Von politischem Engangement, dem Flug der Tage und sonnigen Momenten...
Do 05/09/ + Fr 06/09/
Das Zwitschern der Vögel, Rauschen der nahen Hauptstraße und der Ruf zum Mittagsgebet.
Und der Herbst, der für wenige Stunden Pause zu machen scheint und den Nebel über den Bergen mitnahm. Später das Zirpen der Grillen vor dem Fenster und Gedanken an zuhause und früher.
Im Gegensatz dazu später strömender Regen, als wöllte er mir die Freude über meinen Arbeitsbeginn im Kindergarten ausreden. Denn so schön es doch war eine Woche der Akklimatisierung ohne feste Aufgaben zu haben: ich freue mich, endlich nützlich zu sein und nicht, trotz aller Möglichkeiten, im Centar herumzusitzen, immer in Erwartung dessen, doch noch gebraucht zu werden. Denn was macht man in einer fremden Stadt, wenn diejenigen, mit denen man sie erkunden wöllte, tagsüber arbeiten? Umso schöner ist es, sich nach Arbeitsschluss am Haus wiederzutreffen und kochen oder noch zusammen etwas zu unternehmen. Wie zum Beispiel endlich mal typisch bosnisch zu essen, wozu definitiv auch Rakija, ob mit Fruchtnote oder selbstgemacht, gehört. Bei diesem geselligen Beisammensein werden Pläne für das anstehende Wochenende geschmiedet.
Sa 07/09/ + So 08/09/
Es folgt nun wahrscheinlich der spannendste Abschnitt dieses Blogeintrags, denn das Wochenende war ereignisreich und vor allem politisch...
Erst einmal wurde aber sowohl Samstag als auch Sonntag ausführlich ausgeschlafen, wie sich das gehört, denn unsere Pläne starteten alle erst am Nachmittag.
Für Samstag sah eben dieser vor zur Jubiläumsfeier des Sitzes der Heinrich-Böll-Stiftung in Sarajevo zu fahren, die Susi von einem ihrer Arbeitskollegen im Friedensforum Sarajevo vorgeschlagen wurde. Wir beide hatten keine Ahnung um was es sich handelte, entschieden aber, zusätzlich verunsichert vom Hinweis "Invited guests only" auf zugehörigem Instagram-Post, einfach mal unser Glück zu versuchen, könnte ja ganz interessant werden. So betraten wir also unschlüssig das Historische Museum, in dem die Feier abgehalten werden sollte, wurden jedoch gleich sehr freudig begrüßt und in verbleibender Zeit zur Ausstellung des Fotografen Jim Marshall eingeladen, der Sarajevo im Abstand von 15 Jahren direkt nach dem Bosnienkrieg und heute fotografierte und diese Bilder einander gegenüberstellte. Damit war der Grundstein für viele Denkanstöße dieses Abends und des nächsten Tages gelegt. Denn auch wenn wir eigentlich keine Ahnung hatten, was die Aufgaben der Heinrich-Böll-Stiftung in Bosnien und Herzegowina waren, so bekamen wir doch an diesem Abend durch die Reden wichtiger Stifungsmitglieder, Politiker (bspw. des deutschen Bundestagsabgeordneten Manuel Sarrazin) und Aktivisten einen kleinen Einblick. Besonders prägend für den nächsten Tag sollte hier eine Aktivistin sein, deren Namen ich leider vergessen habe, die aber von zivilem Engagement und "Seine Stimme erheben statt den Kopf einziehen " sprach.
Am nächsten Tag sollte zum ersten Mal in der Geschichte eine LGBTQ+-Parade in Sarajevo stattfinden, was bereits im Vorfeld von Politik, Medien und Bevölkerung kontrovers diskutiert und verurteilt wurde. Wir hatten davon gehört, waren uns aber aufgrund der Sicherheitsbedenken nicht sicher, ob wir hingehen sollten. Genauergesagt war ich völlig entschlossen gewesen, die Parade zu unterstützen, bis mich Paolo auf meinem von der deutschen Demonstrationsfreiheit geprägten Standpunkt doch nachdenklich werden ließ. Sollte man bei einer mehrheitlich homophoben und konservativen Gesellschaft, zwei großen angekündigten Gegendemonstrationen, einem enormen Polizeiaufgebot und, so hieß es, Scharfschützen zur Sicherung der Demonstration auf den Dächern, nicht doch etwas vorsichtig werden? Dass mit Übergriffen gerechnet wurde zeigte uns auch, dass die Veranstalter der Demonstration streng davon abrieten jegliche Zeichen/Schilder schon vor dem Betreten des gesicherten Bereiches zu tragen. Sicherlich war die Atmosphäre auch geprägt von den Erfahrungen, die man bei vergangenen Paraden in anderen ex-jugoslawischen Staaten gemacht hatte. Bosnien und Herzegowina war das letzte eben jener Länder, dass eine solche Parade veranstalten sollte.
Motiviert von den Worten der Aktivistin und der Diskussion mit einem in Deutschland aufgewachsenen Bosnier, der im Gespräch langsam seine homophobe Einstellung offenbarte und mich von den bösen Absichten der Demonstranten überzeugen wollte, beschlossen wir auf unserem nächtlichen Heimweg dem Risiko zum Trotz am nächsten Tag die Parade zu besuchen. In Deutschland demonstrieren, wo einem keine Gefahr droht und die LGBTQ+-Community nun doch schon recht anerkannt ist, das ist zwar eine gute Sache, aber wenn man dann nicht genauso dort auf die Straße geht, wo wirklich noch Menschen um ihre Gleichberechtigung kämpfen, dann kann man sich selbst wohl nicht konsequent und wahrhaftig nennen, so unsere Gedanken.
In der Realität gestaltete sich das jedoch sehr viel schwieriger. Am Sonntag Vormittag machten wir uns auf den Weg ins Stadtzentrum, wo die Demonstration stattfinden sollte. Dort hatte die Polizei weiträumig die Hauptstraße abgesperrt und nur einen bis 12 Uhr geöffneten Eingang für die Demonstranten offen gelassen. Da nun aber die Bahnen nicht mehr richtig fuhren und wir, mal wieder, nicht wirklich eine Ahnung hatten, wo wir hin mussten, erhofften wir uns Hilfe von einer Gruppe junger Frauen, die uns auch bereitwillig mitnahmen. Nur waren wir genau auf entgegengesetzter Seite des Eingangs gelandet und mussten deshalb einmal um die gesamte Absperrung der Innenstadt herumlaufen, was in der uns verbleibenden halben Stunde kaum zu schaffen war. Enttäuscht und müde vom schnellen Laufen mussten wir uns deshalb wieder auf den Rückweg machen, ohne die Parade auch nur gesehen zu haben. Ich denke wir können aber trotzdem von uns behaupten zumindest im Herzen bei der ersten und erfreulicherweise auch friedlichen Pride-Parade in Sarajevo dabei gewesen zu sein.
Um doch noch etwas vom Verlauf mitzubekommen, las ich am Abend diverse Artikel zur Parade und der Politik Bosniens im Generellen, was ich definitiv auch in Zukunft noch weiter vertiefen muss.
Schließlich begegnet man in der Stadt überall der Geschichte dieses vom Krieg geprägten Landes, einem Krieg, über den zumindest wir in der Schule nie gesprochen haben und von dem ich deshalb auch nur gröbstes Wissen habe. Ich empfinde es als respektvoll dem Land und seinen Menschen gegenüber, mich über sein Leid und seine Probleme zu bilden, auch um Bewegungen wie eben jene, die in den öffentlichen Straßenbahnen Plakate mit groß durchgestrichenen Regenbogenfahnen aufhängen, vollständig verstehen zu können.
Mo 09/09/ - Do 12/09/
Da dieser Eintrag eh schon recht lang wird, hier nur ganz kurz etwas zu meiner ab Montag wirklich richtig angetretenen neuen Arbeitsstelle:
Ich bin im Kindergarten das Mädchen für alles. Weil ich mich mit meinen Brocken Kroatisch (außer den sehr praktischen Imperativen wie Komm!/Lass das!/Geh!/etc., die man sehr schnell drauf hat) nicht wirklich mit den Kindern verständigen kann, versuche ich den Erzieherinnen viele der anderen Arbeiten abzunehmen, damit sie sich besser auf die Kinder fokussieren können. Das heißt ich räume das Essen und die Betten aus und ein, passe beim Händewaschen auf, mache Fotos und ziehe die Kinder nach dem Sport oder Spielen im Garten um. Über die Woche habe ich gelernt, dass es auch in Ordnung ist einfach "nur" aufzupassen, während die Kinder spielen und nicht immer aktiv etwas tun zu müssen, was mir anfangs sehr unangenehm war. Mit den Kindern komme ich von Tag zu Tag besser klar, auch wenn sie, wie wahrscheinlich alle Kinder, gute und anstrengende Tage haben. Mit gleicher Geschwindigkeit erweitert sich auch mein Wortschatz, denn der Kindergarten ist objektiv betrachtet neben dem Markt der einzige Ort, an dem ich mich wirklich nicht auf mein Englisch stützen kann.
Mit den Arbeitsalltag kann auch der Flug der Tage wieder, der mich seit den Schulabschluss verlassen und den ich auch nicht vermisst hatte. Momentan weiß ich noch nicht ganz einzuschätzen, ob ich darüber recht froh bin, weil er mir das Gefühl gibt hier einen Alltag, sozusagen ein normales Leben, zu haben oder doch bald wieder zur der negativen Einstellung ihm gegenüber zurückkehre, weil er das Leben so schnell passieren lässt. (Grüße an meine französischen Freunde: "la vie qui passe" passt hier irgendwie viel besser).
Fr 13/09/ - So 15/09/
Den Startschuss zum Wochenende bildete unser Abendessen in der Stadt, zum ersten Mal richtiges Cevapcici, und der Besuch des "Underground Clubs", den wir uns vorher herausgesucht hatten, weil dort an diesem Abend eine Rockband aus Sarajevo spielen sollte. Ob die Musik nun genau unseren Musikgeschmack traf oder nicht, ein gelungener Abend war es trotzdem. Unsere für Samstag geplante Bergfahrt verschoben wir wegen schlechten Wetters auf Sonntag. Da hieß es dann den Rucksack mit Wasser, einer Decke und Essen (meinen zur Nachmittagsbeschäftigung gebackenen Keksen) füllen und von der Bahnstation den Berg hoch zur Seilbahn zu stapfen. Obwohl der Weg nicht mal sonderlich weit war, waren wir, aus der Form und am bisher heißesten Tag von der Sonne gepeinigt, sehr froh nicht den gesamten Berg erklimmen zu müssen. In der Seilbahn bot sich uns ein fantastischer Blick auf die sich von uns entfernende Stadt, unser Viertel Otoka in der Ferne und das Zentrum direkt unter uns. Unsere "Wanderung" wurde auf dem Gipfel fortgesetzt, vom Aussichtspunkt zur ehemaligen Olympia-Bobbahn und wieder zurück zum Aussichtspunkt. Dort breiteten wir unsere Decke aus und warteten, trotz der einkehrenden Kälte, auf den Sonnenuntergang und das Aufleuchten der Stadt. Wer von euch auch mal in Sarajevo ist: Schaut euch die nächtliche Stadt von oben an, es lohnt sich! Trotzdem waren wir uns auf der Rückfahrt einig, dass wir so schnell nicht wieder auf den Berg fahren würden, die Seilbahn ist einfach zu teuer. Das nächste Mal wird uns der Gipfel zu Fuß empfangen.
Und weil das vorher auch schon der Plan gewesen war, konnten wir keine Rücksicht auf unsere kalten Glieder nehmen, und kauften uns auf dem Rückweg in der Innenstadt noch ein Eis. Ein gelungener Sonntag.
Im Haus stehen bewegte Zeiten an, von den Anderen weiß ich, dass wir zwei neue Mitbewohner und eine unbekannt große Gruppe an Zwei-Tages-Gästen erwarten, die irgendwann in den nächsten zwei Wochen hier einziehen. Ich bin gespannt...
Auch wenn der Artikel etwas lang geworden ist, hoffe ich, dass ich euch damit wieder auf den neusten Stand bringen konnte und danke, dass ihr bis hierher durchgehalten habt.
Ihr hört von mir.
Cao, Irma.