I've seen the end of the world!
Eigentlich war der Plan recht simpel. Freitagabend stand hier nichts an. Meine Mitbewohner lagen schon seit Tagen krank auf dem Sofa/im Bett. Da kam mir die Zweitligapartie in Taff's Well gerade recht...
Hopping Taff's Well vs. Bryntirion Athletic
45 Minuten Zugfahren, eine knappe Meile zum Stadion laufen, 90 Minuten Fussball schauen und wieder zurueck nach Merthyr. Doch irgendwie kam dann alles anders.
Ja, wo soll ich anfangen? Ich habe ja durchaus schon ein paar Fußballspiele gesehen. Aber das Zweitligaspiel zwischen dem Taff's Well FC und Bryntirion Athletic wird mir wohl noch lange im Gedächtnis bleiben. Obwohl das Spiel an sich auf äußerst schwachem Niveau statt fand. Aber der Reihe nach.
Da mir relativ schnell klar war, dass hier Freitagabend nichts los sein wird, habe ich schon unter der Woche alle möglichen Spielpläne gewälzt, um mir ein interessantes Abendprogramm zu gestalten. Die Wahl fiel dann mangels Alternativen auf die Zweitligabegegnung zwischen Taff's Well und Bryntirion Athletic. Den Ground Rhiwwda wollte ich zwar eigentlich bei einem Spiel von Merthyr Town (die wegen der Insolvenz des Vorgängerclubs in dieser Saison nicht im alterwürdigen Penydarren Park spielen dürfen und nach Taff's Well ausweichen müssen) kreuzen, aber aufgrund der relativ bescheidenen Nahverkehrsverbindungen war nun mal kein anderes Spiel möglich. Also ging es nach der Arbeit nur kurz zum Essen nach Hause und anschließend direkt zurück zur Bahnstation in Merthyr. Bis nach Taff's Well sind es rund 40 Minuten. Hin- und zurück habe ich also für 80 Minuten Zugfahrt 3,80 Pfund bezahlt. Da könnte sich die Deutsche Bahn mal ne Scheibe von abschneiden...
Aber wie auch immer. Gegen 18.50 erreichte ich dann die niedliche Bahnstation in Taff's Well. Im Gegensatz zur Bahnstation in Merthyr gibt’s da immerhin zwei Gleise. Anstoß sollte um 19.15 sein, bei 10-15 Minuten Fußweg (laut google maps) hätte das zum Anpfiff also locker gereicht. Eigentlich. Aber selbstbewusst, wie ich in Solchen Sachen nunmal bin, hielt ich es natürlich nicht für nötig, mir die Karte inklusive Wegbeschreibung vom Bahnhof zum Ground auszudrucken. Hörte sich auch alles recht einfach an. Aber denkste. Ich will jetzt gar nicht genauer darauf eingehen, wie komplett falsch ich gelaufen bin. Jedenfalls gings natürlich erstmal in die falsche Richtung, dann habe ich fälschlicherweise auch noch den Motorway überquert, bin einen Hügel hinaufgerannt und dann in einer kleinen Siedlung gelandet. Da es dort nicht gerade nach Fußballplatz aussah, wurde dann erst einmal eine Passantin angequatscht. „Einfach die Straße hoch, durch das Waldstück durch und dann rechts. Dann kannst du den Platz gar nicht mehr übersehen.“ Aha. Also gings weiter den Hügel hoch. Nachdem ich fünf Minuten nur mit meiner Handylampe bewaffnet über eine Waldstraße irrte, stand ich dann plötzlich vor einer großen Holzfabrik. Und dort ging es natürlich nicht weiter. Und schon gar nicht nach rechts. Klasse, vielen Dank auch! Ich dachte ja während des Trips nach Lviv schon mehrmals, ich wäre am Ende der Welt gewesen. Doch da befanden wir uns ja wenigstens in einem Reisebus auf (sowas Ähnlichem wie einer) Straße. Die Holzfabrik in Taff's Well, das ist wirklich das Ende der Welt. Rundherum ist nichts, absolut rein gar nichts mehr!
Also noch einmal durch den Wald zurück in die Wohnsiedlung. Dort fand ich dann glücklicherweise noch jemanden, der den Weg zum Stadion tatsächlich kannte. Auch wenn man der netten Frau ihre Verwunderung durchaus ansehen konnte. „Oh, da bist du aber meilenweit entfernt. Kommst du von unten? Ja ok, also dann musst du erstmal den Hügel wieder runter, am Ende rechts, über die Brücke und dann am Kreisverkehr rechts. Dann immer die Straße entlang und am Ende wieder rechts. Dann kannst du den Platz gar nicht mehr übersehen.“ Der letzte Satz kam mir irgendwie bekannt vor. Aber ich hatte ja keine andere Wahl. Also glaubte ich der guten Frau einfach mal und begab mich an den Abstieg des zuvor mühsam erklommenen Hügels. Als ich dann aber am Ende der Brücke auf einem eingezäunten Weg durch die Wildnis landete, wurde ich erneut misstrauisch. Aber was hätte ich tun sollen? Irgendwann landete ich dann zwischen Fabrikgebäuden. Hm, doch wieder falsch? Nein, da war er dann wirklich, der versprochene Kreisverkehr! Und 10 Minuten später, es war jetzt ca. 19.45 sah ich endlich die Flutlichtmasten. Puh!
Dank meines abgelaufenen deutschen Schülerausweises gab es dann für 3 Pfund nicht nur den Eintritt ins Stadion, sondern auch noch ein Match Programm oben drauf. Der Gesichtsausdruck des ca. 75-jährigen Kassierers, als ich ihm meinen Schülerausweis unter die Nase hielt, war den Eintritt aber schon wert. Leider habe ich wieder kein Ticket als Andenken. Diesmal aber nicht, weil ichs verloren habe. Sondern weil man in Taff's Well einfach keine Tickets ausgiebt. Man wird für das Eintrittsgeld durchs Drehkreuz gelassen und das wars. Zweite Liga eben, ganz normal.
Beim „Stadion“ des Taff's Well FC handelt es sich dann auch eher um einen sehr unebenen Sportplatz mit leichter Steigung zur linken Eckfahne der (vom Eingang aus gesehenen) hinteren Spielfeldhälfte. Auf Höhe der Mittellinie befindet sich ein nach Vorne offener Betonquader, der wohl eine Tribüne darstellen soll. Fand ich irgendwie ziemlich lustige, dieses Gebilde. Ansonsten trennt das Spielfeld nur ein brusthohes Geländer vom Zuschauerbereich. Ich hatte zwar vorher schon ein Bild von dem Ground im Internet gesehen, aber so ganz so klein hätte ich mir das Ganze dann doch nicht vorgestellt. Auch wenn es nur die zweite Liga in Wales ist. Aber irgendwie hatte das ganze Szenario unheimlichen Charme. Freitagabend, Flutlicht, arschkalt und 22 (mehr oder weniger talentierte) Fußballer, die mit vollem Einsatz hinterm Ball herlaufen. Herrlich, Fußballherz, was willst du mehr?
Da es aber nicht einmal eine Anzeigetafel gab, wusste ich bis zum Spielende nicht einmal genau, wie die Partie nun eigentlich ausgegangen war. Nach dem Spielstand zu fragen, war mir dann doch etwas zu blöd. Aber wie ich dann nach dem Abpfiff erfuhr, hatte ich trotz meiner Odysse keinen einzigen Treffer verpasst.
Nun aber endlich zum Spielgeschehen: Ich bin schätzungsweise irgendwann zwischen der 30. und 35. Minute im „Stadion“ eingetroffen. Die Mannschaft in den blauen Trikots machte bis zur Pause den stärkeren Eindruck und konnte das Spiel größtenteils in die gegnerische Hälfte verlagern. Da im Stadionheft glücklicherweise die Trikotfarben beider Mannschaften - Taff's Well spielte in schwarz-gelb, Bryntirion in blau-weiß (ratet mal, wer mir sympathischer war) – angegeben waren, konnte ich dann auch beide Teams zuordnen.
Nach kurzem Halbzeitplausch mit einem einheimischen Fußballfan, der sich wohl auch gefragt haben muss, wie man als Deutscher auf die bescheuerte Idee kommt, ausgerechnet in Taff's Well Fußball zu gucken, gabs dann kurz vorm Wiederanpfiff noch eine kleine Kuriosität. Ein Spieler von Taff's Well verließ die Kabine einfach mal noch während der Halbzeitansprache, um eine Raucherpause einzulegen. Warum auch nicht?
Kurz nach Wiederanpfiff bekam ich dann auch endlich ein Tor zu sehen. Langer Ball in die Spitze, der Mittelstürmer der Gastgeber spitzelt den Ball über den herauseilenden Gästekeeper an den Pfosten und sein Sturmpartner kann abstauben. Das muss so in der 55. Minute gewesen sein. Das wars dann aber auch erstmal mit fußballerischen Highlights. Wie schon erwähnt, das Spiel hatte eher was von Kreisklasse in Deutschland. Einzig und allein der Kampf stimmte von vorne bis hinten. Das spielerische Niveau wurde nur noch von den Temperaturen unterboten. Langweilig wurde es aber aufgrund einiger weiterer Kuriositäten nicht. Zunächst einmal wäre der kluge Zuschauer zu erwähnen, der das Spiel von einer Anhöhe hinter der „Tribünenseite“ verfolgte. Warum er nicht einfach ins Stadion kam, nachdem das Eingangstor zur zweiten Halbzeit geöffnet und das Kassenhäuschen gleichzeitig geschlossen wurde, blieb mir ein Rätsel. Zumal das Gebüsch hinter der „Tribünenseite“ das Zuschauen von außerhalb der Platzanlage sicher nicht erleichtert hat. Auch der Linienrichter auf meiner Seite war relativ gut drauf und erklärte den Zuschauern am Spielfeldrand bei jeder Spielunterbrechung seine Entscheidungen. „Ups, tschuldigung, das war ja mal ganz eindeutig kein Abseits.“ Auch ein herzhaftes Lachen konnte er sich nicht verkneifen, nachdem der Keeper von Taff's Well mit einer misslungenen Schauspieleinlage Zeit zu schinden versuchte. Ungeschlagen blieb aber das trockene „Shut up you idiot“, nachdem sich der Gästespieler mit der Nummer 3 mehrfach über die Schiedsrichterleistung beschwert hatte.
Zwei Tore fielen dann aber auch noch für die Gastgeber. Nach einem Freistoß von der linken Seite konnte ein Spieler von Taff's Well per Kopf auf 2-0 erhöhen. Und auch das dritte Tor der Schwarz-gelben fiel per Kopf. Erneut kam eine Flanke von links in den Strafraum und die Nummer 9 verwandelte vom Elfmeterpunkt sehenswert zum Endstand.
Nach meinem Abenteuerlichen Hinweg zum „Stadion“ hielt ich es dann für angebracht, nach dem kürzesten Weg zurück zum Bahnhof zu fragen. Und auch hier zeigte sich der ca 75-jährige Kassierer sehr hilfsbereit und lud mich zugleich zum nächsten Heimspiel im Rhiwwda ein. Wenn es mein Arbeitsplan zulässt und gerade kein anderer Ground hier in der Nähe machbar ist, werde ich auch sicher nochmal in Taff's Well vorbeischauen. Irgendwie hat es dann ja doch was, auf einem walisischen Sportplatz zusammen mit ca. 50 anderen Fußballfans ein Spiel zweier Mannschaften zu beobachten, die einfach nur aus Spaß am Fußball kicken. Schließlich geht es bei diesem wunderbaren Sport einzig und allein um eben jenes!