HOCHZEIT auf dem Lande
Am Wochenende war ich auf eine Hochzeit 30 km außerhalb von Bukarest eingeladen, auf das dort wahrhaftig platte Land. Ich war sehr gespannt und hatte mir vorab viel Mühe gegeben, um nicht in die Klischeefalle zu tappen, also Massen von urigen Leuten in volkstümlichen Trachten zu erwarten, die ausgelassen zu Akkordeon und Fiedel tanzen. Es wurde dann eigentlich ganz genau so.
Und auch wieder nicht. Als wir am Samstagvormittag ankamen war es schon sehr warm. In der Einfahrt zum Haus, welche Gott sei Dank ein schattiges Dach aus Weinranken hatte, waren Tische und Sitzbänke aufgestellt und die extra engagierten Roma, probierten ihre Instrumente aus (Akkordeon und Syntheziser, mikroverstärkt). Das folgende „Theater“ lässt sich am besten auch so ähnlich beschreiben:
1. Akt: Möglichst allen Anwesenden die Hand schütteln und einen Guten Tag wünschen und nicht erschrecken, wenn die Männer die angebotene Hand ergreifen und einen Kuss darauf drücken. Nicht umsonst heißt hier ein Gruß "Sãrut mâna!" -”Küss die Hand!".
2. Akt: Gang durch das ganzen Dorf zum "Standesamt", dabei hier und da weitere Gäste vom Zaun weg einladen. Es ist unglaublich heiß und die schmale Brücke über den kleinen Fluss unglaublich verrottet! (Was war ich froh, keine Stöckelschuhe zu tragen...) In dem kleinen Zimmer des Gemeindeamtes drängeln sich alle Gäste um einen Tisch, der den halben Raum einnimmt und überhaupt keine Funktion erfüllt. Ein Mann mit einer blau-gelb-roten Schärpe sagt ein paar Worte, der Bräutigam sagt "Da!" und die Braut sagt "Da!", sie küssen sich und eine weitere Angestellte legt diverse Zettel und Bücher vor, auf denen die Brautleute und deren Zeugen unterschreiben. Dann versuchen alle möglichst feierlich wieder hinauszukommen, wo Bonbons gereicht werden und ein Spalier für die nun legal verheirateten mit den mitgebrachten Blumen gebildet wird. Und wieder durch das ganz heiße Dorf zurück. Diesmal allerdings über eine größere, weniger schaurige Brücke. Um wieder in den Hof gelassen zu werden, müssen wir etwas Geld in einen Eimer mit Wasser geben, praktischerweise sind die neueren Geldscheine hier aus Plastik...
3. Akt: Das Essen. Ich bekam vorher gut Ratschläge, wie ich mich als Vegetarierin am besten verhalte. Nämlich: Essen erstmal annehmen. Natürlich das Fleisch nicht essen. Auf Nachfrage etwas von Krankenhaus und Probleme mit dem Magen faseln. Dann kann eigentlich nichts schief gehen und keiner ist beleidigt. Zwischendurch wird man immer wieder gefragt, wie einem denn die Hochzeit gefällt und das Haus, der Bräutigam, das Essen, das Dorf, die Musik - am besten, man nutzt jede Gelegenheit, um von selbst mitzuteilen, egal ob jemand das hören will oder nicht, wie gut einem dieses oder jenes gefällt. Ansonsten sind Gespräche eher schwierig, unter anderem auch, weil die Musik so laut ist, dass eine Unterhaltung in unmittelbarer Nähe kaum möglich ist (abgesehen davon ist sie aber sehr tanzbar!).
4. Akt: Die Braut geht mit einem anderen Jüngling (nicht der Bräutigam) wiederum durch das ganze Dorf. Der Jüngling trägt eine weiße Stickerei auf der Schulter, beide halten je ein Ende eines roten Stoffstückes in der Hand, an dem ein Glaskrug gebunden ist in dem eine Art aus Pflanzen gebundener Pinsel steckt. Diesmal sind auch zwei Musikanten dabei, unplugged. Sie spielen nicht nur auf dem Weg zum Brunnen Akkordeon, sondern auch eine wichtige Rolle bei dem folgenden Ritual. Denn nur sie scheinen zu wissen, wie es funktioniert. Etwas Wasser wird aus dem Brunnen geholt und in den Krug gefüllt. Der Pinsel hineingetunkt und Jüngling und Braut verspritzen gemeinsam in verschiedene Richtungen das kostbare Nass. Nachher bekommen die Kinder noch einen Schluck vom Brunnenwasser. Auf dem Rückweg gibt es für jeden, der am Weg steht und nicht "Nein" sagt einen Schluck aus der Weinflasche.
5. Akt: Alle wandern - nein, nicht durch das ganze Dorf, sondern diesmal nur zwei Häuser weiter zum Haus der Trauzeugen, wo Süßigkeiten und Wein gereicht werden. Die Brautleute bringen Geschenke mit und der Bräutigam bekommt dafür eine weiße Blume mit Geldscheinen ans Revers geheftet.
6. Akt: Weihnachtsbaum schmücken! Ein kleiner Nadelbaum wird mit allerlei gebastelten bunten Girlanden behängt, zwei große ebenfalls blumengeschmückte Kerzen werden bereitgestellt und ein Spiegel geholt. Jeder Gast bekommt noch eine kleine weisse Blume angesteckt und dann formiert sich der Zug zur Kirche. Vorneweg der Spiegel, dann die Kerzen, dann die Brautleute, die Musiker, die tanzenden Frauen, die alten Weibsen, die immer wieder in schrillen Tönen juchzen, die Wein und Schnaps verteilenden Männer…
7. Akt: In der Kirche dann ist es gar nicht so feierlich. Alle strömen hinein und die Zeremonie beginnt ziemlich plötzlich, denn wir haben eine ziemliche Verspätung, der teuer bezahlte Priester wartet schon. Zwischendurch werden zischend Saft- und Colaflaschen geöffnet und knisternd Bonbons herumgereicht. Der Priester singt und redet viel, der Helfer singt weniger, dafür aber falsch. Das Brautpaar bekommt die Ringe an die Hand und auch eine Art Krone aufgesetzt, die großen Kerzen werden entzündet und Priester, Zeugen und Brautleute wandern mehrmals um den Altar. Schließlich ist auch das geschafft und alle laufen - na? - singend, tanzend, juchzend und wein verteilend durch das ganze Dorf zurück.
8. Akt: Es dämmert, die Hitze wird erträglich. Auf ein geheimes Signal hin laufen Jung und Alt zu den Autos, quetschen sich mindestens zu sechst hinein und fahren zum Restaurant, wo der Rest des Abends beginnt. Es gibt wieder viel zu Essen (viel Fleisch!), die Musik spielt immer noch unglaublich laut und die Männer tanzen hingebungsvoll dazu. Außerdem wird die Braut geklaut: Wir sitzen zu fünft hinten im Auto und fahren sie zu einer Diskothek (der zweitgrößten Attraktion der Gegend, nach dem Heimatmuseum). Der Bräutigam kann sie schließlich für eine Flasche Champagner auslösen. Und obwohl alle bald nur noch in ihren Stühlen hängen, und auch den Musikern nach der 42. Wiederholung eines Songs über dem Akkordeon die Augen zufallen, ist es ein ungeschriebenes Gesetz, bis 4 oder 5 Uhr auszuharren.
Was soll ich sagen - irgendwann gegen 3 Uhr fing ich den Brautstrauß...