Herr Orbán und die Ungarn
Am 06. April 2014 hatte das ungarische Volk die Wahl – und entschied sich eindeutig wieder für den seit 2010 amtierenden Ministerpräsidenten. Warum Viktor Orbán in seinem Land so beliebt ist und Kritik aus dem Ausland, beispielsweise von der EU, nur mäßig interessiert.
Am vergangenen Sonntag hat sich die Mehrheit des ungarischen Volkes eindeutig zum amtierenden Ministerpräsidenten bekannt. Während in den ausländischen Medien die Kritik an Viktor Orbán und seiner Politik wieder laut wird, ist sein Rückhalt innerhalb der ungarischen Bevölkerung ungebrochen. Doch was macht diesen Mann so beliebt?
Bei den Parlamentswahlen 2010 gelang dem ,,Fidesz“ (dem ,,ungarischen Bürgerbund“) ein triumphaler Sieg. Orbán wurde, wie von 1998 bis 2002 schon einmal, Ministerpräsident und sah sich mit der erreichten Zwei-Drittel Mehrheit (mit dem kleineren Bündnispartner ,,KDNP“) künftig in der Lage, diese starke Stellung zu seinen und den Gunsten seiner Partei zu nutzen. Es folgte ein vor allem im Ausland stark umstrittenes Mediengesetz, welches einer neu eingerichteten Medienbehörde (,,Nemzeti Média és Híközlési Hatóság“) umfassende Kompetenzen zur Kontrolle der in Ungarn verfügbaren Medien erteilt. Zudem eine Reihe fragwürdiger Verfassungsänderungen, mit welcher u.a. die Prüfungskompetenz des Verfassungsgerichtes beschnitten wurde. Erst vor kurzem wurde auch in Deutschland über das neu erlassene ,,Obdachlosengesetz“ berichtet, nach welchem Obdachlose sich nicht mehr in bestimmten Verbotszonen aufhalten dürfen.
Neben den bösen Stimmen über seine Politik, welche aus den ausländischen Medien hervorgeht, sah sich Viktor Orbán auch innerhalb der Europäischen Union schon mehrfach starker Kritik ausgesetzt. Das bereits erwähnte Mediengesetz musste beispielsweise nach Aufforderung der EU abgeändert werden. Dennoch: letztlich hat Orbán bisher immer verfassungskonform und (teilweise nach Nachbesserung) EU-Rechts konform gehandelt. Ob die Regelungen auf moralischer Ebene bedenklich sind, ist eine andere Frage.
Die Verfassungsänderungen und neuen Gesetze sind den Ungarn selbst nicht entgangen und der Kritik ausländischer Medien als auch Regierungen ist man sich ebenso bewusst. Trotz allem wurde die Regierung am Sonntag eindeutig wiedergewählt. Am Samstag der Vorwoche hatten sich auf den Straßen Budapest bereits tausende Pro-Fidesz Demonstranten solidarisch gegenüber ihrem Ministerpräsidenten gezeigt. Die große Masse will Orbán, daran besteht kein Zweifel. Aufgrund der anscheinenden Entdemokratisierung, welcher sich Ungarn unter Fidesz ausgesetzt sieht, stößt diese Bejahung der Regierung und ihrer Handlungen in Deutschland und anderen Ländern, in denen die Demokratie sich länger verfestigen konnte, auf Unverständnis. Eine Reaktion, die richtig und absolut notwendig ist.
Orbán ist definitiv ins rechtspopulistische Lager einzuordnen. Bevor sich ausländische Medien aber voller Zorn und Unmut auf das politische Geschehen Ungarns stürzen, sollte man sich zunächst fragen, woher der Erfolg dieser Partei und auch der seines Vorsitzenden rührt. Orbán vermag es, seinem Volk, auf dem aufgrund jahrhundertelanger Unterdrückung noch immer ein nationales Trauma zu liegen scheint, das Gefühl zu geben, stark zu sein. Ungarn war im Laufe der vergangenen Jahrhunderte ein mehrfach eingenommenes Land. Nach osmanischer Herrschaft machten sich die Habsburger breit, mit Ende des Ersten Weltkriegs erlangte das Land die lang ersehnte Unabhängigkeit, jedoch in Verbindung mit dem schmerzhaften Vertrag von Trianon, durch welchen es knapp Zweidrittel der vorherigen Landesfläche verlor. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte die Besetzung durch sowjetische Truppen, der Ungarische Volksaufstand 1956 wurde von der übermächtigen Sowjetarmee niedergeschlagen. Wenn Orbán heute in seinen Reden betont, keine Ratschläge oder gar Interventionen von Seiten des Auslands zu wollen, dann kommt das bei vielen Ungarn gut an. Nationalstolz ist ein in Ungarn weit verbreitetes und starkes Gefühl, die zahlreichen Ungarn-Flaggen, die sich auch an vielen gewöhnlichen Wohnhäusern finden lassen, sind nur eins der allgegenwärtigen Indizien. Mit seinen bewusst patriotischen Reden mit Heimatsymbolik stößt Orbán bei großen Bevölkerungsschichten auf Zustimmung und überzeugt, wieder und wieder. All dieser historische Ballast ist in den Gedächtnissen der älteren als auch der jüngeren Ungarn höchst präsent. Orbán schafft es, seinen Landsleuten ein lang ersehntes Gefühl der Selbstbestimmung zu geben, augenscheinlich ein System aufzubauen, das sich nicht bevormunden lässt. Dafür wird auch in Kauf genommen, dass dieses neue System schleichend autokratische Züge annimmt, wenn etwa wichtige Institutionen wie das Verfassungsgericht, welches für einen funktionierenden Rechtsstaat unerlässlich ist, seine Rolle als Kontrollinstanz verliert. Die Sehnsucht nach einer starken, rein nationalen Führung scheint wichtiger als die lückenlose Erhaltung der Demokratie.
Will man Orbáns Erfolg und seinen Rückhalt erklären, muss zudem unbedingt erwähnt werden, was vor den Parlamentswahlen 2010 geschah und wie es seine Vorgänger schafften, das Vertrauen einer ganzen Nation zu verlieren. So gab der von 2007 bis 2009 amtierende Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány in einer später an die Öffentlichkeit gelangten Rede (der ,,Őszöder Rede“) bekannt, vor der Wahl bewusst gelogen zu haben, um die Parlamentswahlen von 2006 zu gewinnen. Als Reaktion darauf kam es zu monatelangen Demonstrationen gegen die Regierung. Die Ausgangslage zu den Wahlen 2010 war für den Fidesz dementsprechend günstig. Das sozialdemokratische Parteienspektrum Ungarns ist seitdem zersplittert, keine der Parteien links von Fidesz stellt einen wirklichen Gegner oder eine reale Gefahr für den Bürgerbund dar. Zur Wahl 2014 schlossen sich die sozialistischen Parteien zu einem Verbund, der ,,Összefogás“, zusammen um überhaupt eine Chance zu haben.
Seit dem Skandal um die Vorgängerregierung konnte sich keine starke, vertrauenswürdige Opposition bilden. In den Parteien, die die ,,Összefogás“ in sich vereint, sitzen teilweise noch die Regierungsvertreter von damals. Zudem ist fragwürdig, ob sich dieses Bündnis aus insgesamt fünf Parteien, welches in der Opposition funktionieren mag, auch in der Regierung behaupten würde. Mit Sorge muss das Abschneiden der rechtsextremen und offen antisemitischen ,,Jobbik“ betrachtet werden. Die erst seit 2003 existierende Partei schaffte es, ein noch besseres Ergebnis als 2010 einzufahren und liegt mit etwa 20,5% nur knapp hinter der Összefogás. Es bleibt dann noch die ,,LMP“, welche man als ungarisches Pendant zu den Grünen betrachten kann. Umfragen vor der Wahl zu Folge war ihr Einzug ins Parlament doch mehr als ungewiss. Wollte man sich also sicher sein, mit seiner Stimme eine Partei zu unterstützen, die im Anschluss auch im Parlament vertreten sein wird, wäre eine Stimme für die LMP riskant gewesen. Letztendlich hat sie es geschafft und mit 5,3% knapp die 5%-Hürde überwunden.
Spricht man aus Neugierde junge Ungarn auf die Politik ihres Landes, die Wahlen oder generell auf politische Themen an, wird einem gewahr, dass es weitgehend sowohl an Vertrauen aber auch schlicht an Interesse mangelt. Die Ereignisse der vergangenen Jahre scheinen vor allem junge Wähler stark verunsichert zu haben. Hätte ich am vergangenen Sonntag die Wahl gehabt – wenn ich ehrlich bin, ich hätte nicht gewusst, wo ich mein Kreuzchen hätte setzen sollen. Die Entscheidung wäre mir allenfalls sehr schwer gefallen.
Die genannten Daten stammen aus der unten angegebenen Literatur, welche ich als Informationsgrundlage für diesen Artikel genutzt habe. Unter den angegebenen Links besteht die Möglichkeit, sich weitergehend mit der Thematik zu befassen.
Literaturverzeichnis/Links:
- http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-02/ungarn-mediengesetz-zustimmung
- https://www.tagesschau.de/ausland/eu/ungarn-verfassungsaenderung102.html
- http://www.welt.de/politik/ausland/article116230514/Menschenrechtler-prangern-Ungarn-scharf-an.html
- "Rechtsextremismus in Europa", Buch von Ralf Melzer, Sebastian Serafin (Hrsg.)
- "Wiederkehr des Hasses", Artikel von Bernhard Albrecht; erschienen im Stern (Nr.23 vom 29.05.2013)