Helsinki II
von der Gegend außerhalb der Bordwand
Ich sitze also in dieser mit nicht viel guter Musik ausgerüsteten Festung an einem großen Fenster und schaue auf die Ostsee. Und ich sollte mal beschreiben, wie schön diese Gegend außerhalb der Bordwand ist:
kupfergoldblau schimmert das letzte Rest Tageslicht am Horizont und draußen ziehen seit Stunden schon Inseln vorbei, denn Stockholm liegt in einer Gegend, die nur aus Inseln besteht und viele sind ganz klein und liegen da im Dämmerungsdunst und das Meer gibt nichts von sich preis außer der Idee seiner Tiefe. Und die Inseln sind viele und viele sind klein, die haben nur fünf Bäume und sonst nichts. Auf manchen steht ein kleines Häuschen. Das steht dann windschief verloren da, vor einem kleinen Steg mit Boot. Da gibt es bestimmt keinen Strom, sondern nur Öl und alte Wolldecken. Ach, aber dieses Idyll…dieses unglaubliche Idyll – ich würde da gern für ein paar Wochen wohnen, dort irgendwo auf dem Meer, wo die Häuser keine Adressen haben und jeden Tag rumlurchen, fischen, Lagerfeuer machen und ab und zu eine Flaschenpost vielleicht und sonst nur inspirierende Gedanken und Sonnenauf- und -abgänge und dem schönen Ruf der Möwen. Wenn ich die Wahl hätte zwischen 8 Stunden Freizeitboot oder 8 Tage in einem Häuschen auf einem Felsbuckel, so würde ich knallhart die Insel vorziehen. Selbst wenn es dort nur Salzwasser, kalte Duschen und ein hartes Bett gäbe. Typische Gedanken von Pampa eben, typische Gedanken gegen die „Schwermut in den Ballungszentren“ (wie es so jüngst in der ZEIT stand).
Und ich erinnere mich an die Zeit vor zwei Jahren, als ich mit Freunden auf der Ostsee segeln war und ich nach drei Stunden zum ersten mal reihern musste, weil das Boot nicht stillhalten konnte, aber das war trotzdem sehr schön, nicht nur, weil man sich nach der Erleichterung sowieso besser fühlt, sondern weil die ganze Reise ein ausgesprochen schönes Erlebnis war mit anderen Häfen jeden Abend und Nudeln auf einem kleinen Herd und nicht zu vergessen: der Anleger aus blechernen Schnapsgläsern, ich glaube, es war Jägermeister und wie wir durch die Nacht segelten und am Horizont die Leuchtfeuer einsam blinkten und niemals aufhörten, uns den Weg zu zeigen und wie dicke Pötte auf dem Meer in Dunkelheit gehüllt geheimnisvolle Richtungen einschlugen und ich nicht wusste, ob diese riesigen Frachter auf uns zukommen oder nicht und wie der kalte Wind über das Meer zischte und ich unter einer Wolldecke gehüllt mit einem Tee in der Hand konzentriert auf die Lichter am anderen Ende des Himmels starrte und dem Skipper ein Zeichen gab, wenn es nicht in rot oder grün wandelte, weil dann kann es gut sein, dass wir auf Kollisionskurs waren und wie schwer diese Wellen in meinem Bauch lagen, so umwerfend schwer und schlecht mir wieder wurde, unter einem Sternenhimmel und wie die Seekrankheit mich packte und beherrschte, für ein paar Stunden war ich ihr ausgeliefert, dann ging es wieder und am Abend, als wir vor einer Insel ankerten und die Sonne schon untergegangen war und das Licht des Himmels die Farbe des Meeres angenommen hatte, so dass man den Horizont nicht sah, ja…da sprang ich kopfüber ins Wasser, das hatte 15 Grad und war doch angenehm und aufregend und zitternd saß ich auf dem Deck und trank Tee und rauchte und baute Schlösser aus den Wolken am Himmel.
Das war vor zwei Jahren und ich erinnere mich ganz ganz deutlich an diese Tage mit Sonnenbrand an Deck und dicken Quallen unterm Rumpf.
Leben…wie geht das? Wie funktioniert das? Wie erlebt man das? Wieso fangen die Tage so an, wie sie anfangen und wieso enden manche scheiße und manche so gut? Und überhaupt, wer definiert überhaupt, was wir machen müssen und was wir machen können?
Ich begebe mich mit diesen Gedanken aufs Fun-Deck und trinke den Rest der Nacht viel Bier.
Am nächsten Morgen wache ich verkatert auf, als der Kapitän ankündigt, dass wir in 30 Minuten in Helskinki anlegen werden. Endlich. Der Himmel ist mit grauen Wolken malträtiert und wir begeben uns auf die Suche nach unserem Hostel, wo ich mir als erstes einen Automatenkaffee hole, der nicht schmeckt, aber Kaffee heißt und deswegen genießbar ist.