Hello from the Eastern Side
Vom Wahlkampf, Reisen bei Minustemperaturen und Papierklavieren
Eigentlich könnte ich jeden Beitrag mit den Worten „die Zeit verfliegt und es ist so viel passiert“ anfangen... Einfach aus dem Grund, dass es der Fall ist. Ein Brainstorming zu den letzten Wochen.
- WG-Leben. Läuft. Wenn auch alles ganz anders ist als in meiner WG in Deutschland. Hier wohne ich in einer Mädels-WG. Ist auf jeden Fall mal eine Erfahrung wert. Gemeinsame Kochabende, philosophische und politische Gespräche in der Küche – beide sind sehr in das internationale Geschehen, internationale Beziehungen, etc. Interessiert. Liegt vielleicht auch daran, dass beide etwas in die Europa-Richtung studieren... - und keine Engpässe im Bad obwohl wir zu dritt sind.
- Politik. Der Wahlkampf rückt hier langsam immer näher. Besonders unten in den Metro-Stationen wird einem dies durch die kleinen Wahlkampfstände immer wieder vor Augen geführt. Anfang April wird es dann so weit sein und einen neue Regierung gebildet werden – vermutlich wird sich in der politischen Landschaft aber nicht so viel ändern...
Teilweise ist es erschreckend, wie wenige der Studenten zum einen vom Weltgeschehen selbst – da wird in der Schule mal so eben der zweite Weltkrieg und die Deportation von Tausenden von Juden nicht thematisiert – als auch von der politischen Situation Ungarns im Speziellen wissen. An sich tangiert mich der Kurs Orbans auch nicht in meinem Alltag. Trotzdem bin ich doch der Meinung, dass eine gewisse Kenntnis über das Land, welches einen ein halbes Jahr lang beherbergen wird, durchaus vorausgesetzt werden kann. Genau aus diesem Grund ist es super spannend mit meinen beiden Mitbewohnerinnen; in Gesprächen erfahre ich immer wieder Neues über das Land.
- Reisen. Mittlerweile bin ich schon etwas mehr als einen Monat im Land des Gulaschs und der Langoschs und habe sowohl Budapest, als auch andere Orte etwas genauer unter die Lupe genommen.
Budapest ist eine wunderschöne Stadt. Vor zwei Wochen waren wir hier noch gut eingeschneit. Das Nahverkehrssystem hatte so seine Probleme... Ich auch, weil ich Genie mit der Einstellung „Ich-ziehe-jetzt-in-den-Süden-dann-brauche-ich-ja-keine-Winterschuhe-und-kann-sie-zu-Hause-lassen“nach Budapest gegangen bin. Lasst euch eins sagen: Dem Schnee mit nur einem Paar Sneakers entgegen treten ist nicht so empfehlenswert....Nun ist der Frühling aber auch bei uns angekommen und ich strecke immer freudig mein Gesicht in die Sonne und tanke so viel Sonne wie möglich – nächste Woche soll es hier nämlich wieder schneien.
Aber zurück zum eigentlichen Thema; dem Reisen. Mit zwei spanischen Freunden .- sie versuchen mir immer mal wieder ein paar Spanische Wörter beizubringen. Tja, da muss ich erst mal nach Budapest ziehen um meinen Traum Spanisch zu lernen zu verwirklichen...- und meiner Mitbewohnerin, wage ich Ende Februar einen spontanen Wochenendtrip zu unternehmen. Dieser führt uns erst ins barocke und etwas abgehobene Wien. Anschließend machen wir noch Bratislava unsicher.
Wer die deutschen Zugpreise gewohnt ist, wird sich hier wie im Paradies fühlen; zwar sind wir auf den Bus umgestiegen, ein gewisser Luxus erwartet uns trotzdem. Für mich ist es das erste Mal, dass ich im Bus eine Film auf einem persönlichen Bildschirm schauen kann. Assoziationen mit Fliegen kommt auf. Damit verbunden Fernweh. Zum Glück sitze ich im Bus nach Wien.
Das ganze Wochenende ist es super kalt und wir testen – abgesehen von den jeweils 3-stündigen Stadtführungen, die bei diesen Minustemperaturen auf jeden Fall nicht zu empfehlen sind, weil die Gefahr besteht, dass die Zehen gefrieren – viele Cafés. In Wien steht dann neben einem Wiener Melange auch ein Stück Sachertorte auf dem Programm, das aber nicht so ganz überzeugen kann. Den Hype um dieses dunkelbraue Zuckerwunder kann ich nicht so ganz nachvollziehen... Wir machen uns mit den wichtigsten Persönlichkeiten der Stadt vertraut – Sissi (Prinzessinen-Träume von früher kommen auf; vielleicht sollte ich das mit dem Studieren dann doch noch mal überdenken?), Klimt (wir betrachten sogar Original-Fälschungen von ihm, die trotz der Tatsache, dass es „nur“ Fälschungen sind, erheblich unser studentisches Budget übersteigen...), Mozart (Wer sich jetzt denk:“Moment, Mozart war doch in Salzburg?!“, hat Recht. Aber da Mozart sich in seiner kreativen Zeit auch ein Mal in Wien niedergelassen hat, schlagen die Wiener daraus gut und gerne Profit. Mozartkugeln sind hier genauso beliebt wie Manner-Schnitten). Am Abend entdecken wir noch das verschneite Schloss Belvedere- mein absoluter Lieblingsplatz in Wien – und werden dann im Hostel aufgrund von sehr interessanten Zimmermitbewohnern in eine nervliche Krise gestürzt. Wie immer ist Kommunikation der Schlüssel zur Lösung und wir vier bekommen kurzer Hand ein neues Zimmer zugewiesen.
Samstagabend fahre ich mit meinen beiden Spaniern weiter nach Bratislava und werde dort sehr herzlich in unserem sehr alternativen kommunenartigen Hostel mit selbst gekochtem veganen Essen begrüßt. Wir fühlen uns direkt wohl. Am nächsten Tag folgt eine quasi private Stadtführung – die Jahreszeit scheint nicht die Hauptreisezeit zu sein. Wer sich übrigens fragt, wo genau Bratislava noch mal liegt, den kann ich beruhigen: Ich musste es auch erst einmal nachschauen. Es handelt sich um die Hauptstadt der Slowakei – Achtung: große Verwechslungsgefahr mit Slowenien. Was auch schön sein soll, aber weiter im Süden Europas liegt. Die Flagge ist aber fast die gleiche... Die Stadt ist überschaubar, zieht mich aber in ihren Bann. Vermutlich liegt das auch an der Sonne, die sich langsam zeigt. Architektonisch bietet Bratislava ein komplettes Kontrastprogramm zu Wien. Es handelt sich um eine bizarre Mixtur aus mittelalterlichen Mauern und Burgen, gepaart mit kommunistischen Plattenbausiedlungen und gleichzeitig dem Versuch, modern zu sein. Letzteres resultiert dann in einem Turm, der an ein landendes UFO erinnert. Auf jeden Fall sehenswert. Wien kann man von hier aus auch fast sehen; man steht aber in Konkurrenz, wie uns erklärt wird. Die Windräder, die man sieht, gehören auch zu Österreich – umwelttechnisch ist die Slowakei dann doch noch nicht so weit fortgeschritten... Nach eine Käse-Knoblauch-Suppe – wärmstens von unserem Guide empfohlen – mache ich mich auf den Rückweg nach Budapest und genieße den Luxus von einer Sitzreihe ganz für mich alleine.
Aber nicht nur außerhalb Ungarns, sondern auch innerhalb Ungarns bin ich mittlerweile schon gewesen. Gemeinsam mit K., die mich in Budapest besucht hat, sind wir zusammen zu M. Nach Szeged gefahren. Obwohl im Süden gelegen, erwartete uns noch mehr Schnee... Die Stadt ist sehr süß, hat eine wunderbare Bibliothek zu bieten und lockt mit einem Thermalbad, dass ich mit M. auch ausprobiere. Es ist unglaublich, wie müde man vom einfachen Rumliegen in warmen Wasser werden kann... Glücklich und zufrieden geht es danach für mich wieder nach Budapest. Ich komme zu dem Schluss, dass es wunderschön ist zu sehen, wie sich verschiedene Kapitel des Lebens und damit verbundene Personen und Orte verbinden.
- Uni. Ja, die gibt es auch noch. Und macht immer noch sehr viel Spaß. Ich arbeite fleißig an meiner Klavierkarriere – an einer Papiertastatur. Das stellt eine gewisse Herausforderung dar. Aber manchmal macht Not eben erfinderisch. Und bis jetzt hat sich meine Klavierlehrerin immer über die Töne, die ich dem Klavier entlocken konnte, gefreut ,- freue mich jeden Montag auch meinen Französisch-Kurs und bin stolz wie Oskar, wenn ich in der Tram ein paar der Wörter verstehe.
- Internationals. Ich habe hier mittlerweile schon viele sehr nette Menschen kennen gelernt. Wer die Illusion hat, dass sich sein Englisch während eines Erasmus-Semesters verbessert, den muss ich an dieser Stelle aber eher enttäuschen. Ich habe eher das Gefühl, dass sich die Tatsache, dass man primär etwas mit Nicht-Muttersprachlern zu tun hat und jeder sein eigenes Kauderwelsch an Englisch auspackt, nicht unbedingt förderlich auf das eigene Englisch auswirkt...
- Und sonst so.
In meinem Leben war ich vermutlich noch nie so viel Kaffee trinken wie momentan.
Was Struktur und Ordnung angeht, bin ich hier als Deutsche mit meinen Ansprüchen etwas verloren...
Man geht immer davon aus, dass alles im „Osten“ viel billiger ist. Dies trifft jedoch nur auf Lebensmittel zu; Kosmetikartikel sind im Gegensatz dazu unglaublich teuer.
Der Kontakt mit den internationalen Studenten und einige Seminare in der Uni, die sich thematisch mit kulturellem Austausch beschäftigen, haben in mir wieder die Erinnerungen als meine Zeit als Freiwillige erweckt – eine Zeit , an die ich sehr gerne zurück denke.