Hallitus – ein estnisches Wort, das ich nie lernen wollte
Zwei vollgepackte Wochen liegen hinter mir, in denen ich meine Mitbewohnerin kennenlernen durfte, zwei Tage in Helsinki verbracht habe und die deutsche Nationalmannschaft in der A. Le Coq Arena bewundern konnte.
Gemeinsam mit vier weiteren Freiwilligen war ich das letzte September Wochenende in der finnischen Hauptstadt Helsinki. Die Fährfahrt von Tallinn über den Finnischen Meerbusen bis hin nach Helsinki dauert nur knapp zwei Stunden und ist, sofern frühzeitig gebucht wird, auch relativ preiswert. Das Wetter war sonnig, jedoch sehr stürmisch, sodass wir die zwei Stunden überwiegend im geschützten Inneren der Fähre verbrachten. Helsinki, eine Stadt, die ich seit Jahren besuchen wollte, entpuppte sich als wunderschön, jedoch stark touristenbelastet. Insbesondere für mich, die derzeit im 5.000-Seelen-Örtchen Tapa lebt, bedeutete das zu Beginn erst einmal eine förmliche Reizüberflutung. Schon nach nur sechs Wochen Estland war ich solche Menschenmassen nicht mehr gewohnt, sodass ich mich jetzt langsam frage, wie es denn nur nach einem Jahr aussehen soll? In Helsinki klapperten wir die typischen Touristenattraktionen von dem Dom von Helsinki über den Hafen bis hin zur Einkaufsstraße ab und verbrachten die Nacht in einem empfehlenswerten Hostel etwas außerhalb der Stadt. Dort lernten wir einen weiteren deutschen kennen, der derzeit in Tallinn arbeitet und auch mit der Fähre nach Finnland aufgebrochen war. Wir gingen gemeinsam mit ihm etwas essen (Finnland ist wirklich so teuer wie man sagt), bevor wir den Abend in einem kleinen, gemütlichen Pub ausklingen ließen.
Nach dem spannenden Wochenende in Helsinki stand am darauffolgenden Montag direkt mein Umzug in die größere Wohnung statt. Anders als vom Vermieter vorher angekündigt und dank einiger wütender Telefonate meiner Tutorin, konnte der Umzug nämlich nicht erst zwei Wochen später, sondern sogar schon einen Tag früher stattfinden. Da die neue Wohnung aber nur zwei Häuser weiter liegt, waren meine wenigen Sachen auch schnell gepackt und verfrachtet. Ich schlief eine Nacht alleine in der wirklich deutlich geräumigeren und gemütlicheren Wohnung, bevor am Abend des ersten Oktobers endlich meine Mitbewohnerin aus München in Tallinn landete. Trotz unseres Altersunterschiedes, da sie bereits 26 Jahre alt ist und ein abgeschlossenes Studium mitbringt, verstehen wir uns sehr gut. Leider war sie die erste Woche direkt krank und durfte nicht zur Arbeit, wodurch wir jedoch die Gelassenheit unserer Tutorin kennenlernen konnten. Auf die Frage, ob sie denn eine Krankschreibung vom Arzt benötige, wurde nämlich, für deutsche Verhältnisse unvorstellbar, kopfschüttelnd verneint. Diese Gelassenheit, lernten wir einige Tage später, kann sich jedoch nicht nur positiv, sondern auch negativ äußern. Unsere Vermutung von Schimmel in der Wohnung, winkte unsere Tutorin nämlich mit einem kurzen, desinteressierten Blick ab, sodass wir uns selber mit dem Hausmeister in Verbindung setzen mussten. Der Hausmeister war entgegen unserer Vermutung ein junger Mann, der das beste Englisch spricht, was ich bisher in Tapa gehört habe und gleichzeitig auch noch sehr engagiert. Er versicherte uns mehrmals, dass wir keinen Schimmelbefall befürchten müssen, wechselte eine durchgebrannte Glühbirne und versprach, sich in den kommenden Tagen auch um die schwer verschließbare Badezimmertür zu kümmern. Hallitus, das estnische Wort für Schimmel, werde ich trotzdem nicht so schnell vergessen.
Letztes Wochenende fuhr ich dann nach Tallinn, um mit anderen Freiwilligen das EM-Qualifikationsspiel Estland gegen Deutschland im Stadion zu schauen. Wir hatten gute Plätze in der mit 12.062 Zuschauern fast ausverkauften Arena. Neben uns saß ein Este, der unglaublich gut deutsch sprach und uns neben unterhaltsamen estnischen Fangesängen (Estland soll Deutschland auf den Rasen drücken) auch erklärte, dass dies ein Zuschauerrekord für das im Jahr 2001 eröffnete Stadion sei. Das Spiel endete 0:3 für Deutschland, was die Stimmung der Esten jedoch keineswegs erschütterte, sodass bis zum Ende jeder Ballbesitz bejubelt wurde. Für uns Freiwillige war es währenddessen schön und ungewohnt zugleich, so viel Deutsch um uns herum zuhören und von so vielen verstanden zu werden.
Auf der Arbeit soll nun, weil mit meiner Mitbewohnerin jetzt auch die zweite Freiwillige in Tapa angekommen ist, ein Wochenplan erstellt werden, welcher unter anderem Aufgaben für uns beide beinhaltet. Mit Hinblick auf die estnische Arbeitsmoral erwarte ich die Fertigstellung dieses Planes jedoch nicht vor November und gebe mich bis dahin weiterhin mit Fußballspielen, Puzzeln und Videospielen zufrieden. Am morgigen Freitag findet zudem eine angekündigte Feueralarm-Übung statt, welche sicher auch eine interessante Abwechslung sein wird.
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