Halbzeit/Félidő
Über eine Art Halbjahrestief, Zukunftspläne und Erkenntnisse nach nun sechs Monaten in Ungarn.
Seit nunmehr einem halben Jahr lebe ich in der zweigeteilten Donaumetropole, welche es vermag, mich immer wieder aufs Neue zu verzaubern und in welcher ich weiterhin neue Entdeckungen mache. Seit sechs Monaten versuche im mich täglich an der hiesigen Sprache, welche mich hin und wieder schier verzweifeln lässt, bis ich schließlich wieder Motivation aufbringen kann und weiter versuche, sie mir anzueignen. Seit 26 Wochen führen kulinarische Besonderheiten und Kuriositäten sowohl zu fabulösen Geschmackserlebnissen als auch zu weniger angenehmen Erfahrungen (jedoch in gar keinem Fall zum Beitrag einer gesünderen Lebensweise oder gar Gewichtsabnahme...). Seit 186 Tagen lebe ich in einem Land, dass mir insbesondere nach der Reise in südöstlichere Länder immer westeuropäischer vorkommt, dessen derzeitige politische Lage und Strömungen ich jedoch nach wie vor ebenso beunruhigend wie unverständlich oder sogar irreal finde, denke ich an die vielen aufgeschlossenen und hilfsbereiten Einheimischen, die maßgeblich dazu beigetragen haben, dieses halbe Jahr für mich so besonders zu machen und mich nun sagen lassen: Ich bin hier noch lang nicht fertig.
Die Hälfte meiner Dienstzeit liegt also nun hinter mir. Zeit, die nur so verflogen ist und in der dennoch so unglaublich viel passiert ist. Ich habe noch so viele Vorsätze und Pläne für die zweite Halbzeit, dass ich manchmal schon das Gefühl habe, mich beeilen zu müssen. Wie es meine Mit-Freiwillige Charlotte letztens so treffend formulierte: ,,Ich zähle nun schon eher die Tage, die mir noch bleiben als die, die ich schon hier bin.“ Da geht es mir auch so.
Da ich lange nicht mehr von meiner Arbeit und meiner Stelle in Békásmegyer berichtet habe, werde ich das nun mal nachholen. Der Wiedereinstieg in den Arbeitsalltag fiel nach unserer Reise ins ehemalige Jugoslawien offen gesagt alles andere als leicht. Ich war zwar nur eine Woche unterwegs, jedoch hatte ich nach meiner Rückkehr zunehmend das Gefühl, dass sich die Atmosphäre, sowohl unter den Mitarbeitern, also auch zwischen ihnen und mir verändert hatte und zwar nicht zum Positiven. Auch in den Wochen zuvor war es immer wieder so gewesen, dass es für mich einfach wenig zu tun gab und ich meine Arbeitszeit häufig damit verbrachte, im Büro zu sitzen und darauf zu warten, mich irgendwie nützlich machen zu können. Außerdem redeten meine Mentorin und ich immer weniger miteinander und es fühlte sich so an, als sei sie manchmal genervt von mir. Irgendwann, als wir es eines morgens dann doch mal wieder zu einer längeren Unterhaltung brachten, bemängelte sie es dann auch, dass ich dort nur noch so wenig sprechen würde. Und ja, vielleicht hatte sie damit sogar Recht. Die ganze Situation und das Gefühl, hin und wieder einfach nicht gebraucht zu werden hatten wohl tatsächlich dazu geführt, dass ich mich immer mehr abschottete und anstatt wie noch in den ersten Monaten die Konfrontation zu suchen, nun immer mehr auf Abstand ging. Das wurde mir selber jedoch erst so bewusst, nachdem ich von ihr darauf hingewiesen wurde. Meine Stille, die sicherlich kein Resultat von Desinteresse oder Abneigung war, wurde von meinen Kollegen dann wahrscheinlich einfach fehlgedeutet, was wiederum dazu führte, dass auch sie auf Abstand gingen. Ganz blöde Situation. Jedoch merkten sowohl meine Mentorin als auch ich selbst, dass es sich vielleicht einfach um ein Missverständnis gehandelt hatte und keine der beiden Parteien in irgendeiner Weise sauer und genervt war. Vergangene Woche kam sie dann von sich aus mit einem ,,Napirend“ (also einem Tagesplan, welchen ich bis dato in der Form nicht hatte) zu mir und es folgte eine längere Unterhaltung, in der sie mich mehrmals fragte, ob ich mich denn noch wohl fühlen würde und was ich vielleicht ändern möchte. Nachdem wir uns dann gegenseitig unsere Sichtweisen und Probleme mit der derzeitigen Situation geschildert hatten, war ich wirklich erleichtert. Meine Mentorin ist eine wirklich herzliche und hilfsbereite Person, was mir in diesem Gespräch nochmal sehr deutlich wurde. Resultat der Unterhaltung war, dass ich fortan nur noch drei Tage die Woche nach Békásmegyer kommen soll (keine Sorge, für die anderen Tage gibt es anderweitige Beschäftigung) und ich für die Tage dort einen genaueren Tagesplan habe. Außerdem fand sie meinen Vorschlag, sich nun einmal die Woche Zeit für ein längeres Gespräch zu nehmen, was sowohl ihren Deutsch- als auch meinen Ungarischkenntnissen gut tun werde, sehr gut und stimmte direkt zu. Seitdem ist nun etwas mehr als eine Woche vergangen. Die erste Woche war (wie erwartet) mit der neuen Reglung wirklich super, gestern haben wir unser Vorhaben erstmals in die Tat umgesetzt und uns so eine knappe Stunde unterhalten: Sie spricht Deutsch, ich Ungarisch. Ich hoffe wirklich sehr, dass es nun so bleibt, bin mir aber auch darüber im Klaren, dass das vor allem auch in meiner Hand liegt und ich insbesondere durch ein bisschen mehr Eigeninitiative im Ungarisch lernen einiges verbessern kann. So vieles fällt doch tausend mal leichter und wirkt sich positiv auf die Stimmung aus, wenn man sich verständigen und ab und zu einfach mal ein bisschen quatschen kann.
Ansonsten genieße ich im Moment einfach meinen großen Freizeitanteil. Es ist herrlich, einfach nach Hause kommen zu können und ,,fertig“ zu sein, ab dann tun und lassen zu können was man will und auch die Wochenende komplett verplanen zu können, weil man weder irgendwelchen Stoff vor- noch nachbereiten muss. Gerade mit Blick aufs Studium und alles, was danach noch so folgen wird, sollte ich diese Zeit wohl noch richtig auskosten und wertschätzen. All die Optionen und Möglichkeiten hier vor Ort lassen darüber hinaus auch noch in keinster Weise so was wie Langeweile aufkommen. Eher im Gegenteil: Manchmal weiß ich kaum, bei welchem meiner noch so zahlreichen Pläne ich zuerst ansetzen soll.
Apropos Studium: Neben all den Vorsätzen, die sich auf meine noch hier verbleibende Zeit beziehen, gehört die Entwicklung eines genaueren Zukunftskonzepts (Was? Wo? Wie?) ebenso zu meinen Vorhaben. Keine der drei voranstehenden W-Fragen kann ich bisher mit Sicherheit beantworten. Die Richtung für das ,,Was?“ steht jedoch und wird immer klarer. Was das ,,Wo“ angeht sieht es da noch einiges grauer aus. Komplett in einer Fremdsprache zu studieren kommt für mich (noch) nicht in Frage, weshalb es mich schon (vorerst) zurück nach Deutschland ziehen wird. Was die Stadt angeht bin ich jedoch erst mal absolut offen. Denn so viel hat mir dieses halbe Jahr mit all seinen Eindrücken und Erfahrungen eindrücklich aufgezeigt: Wir sind nicht an einen Ort gebunden nur aufgrund der Tatsache, dass wir dort geboren und aufgewachsen sind. (Verbundenheit ist etwas schönes, mit Gebundenheit jedoch kann ich nichts anfangen.) Sich nicht zu beschränken sondern geografisch fortzubewegen bringt automatisch und glücklicherweise auch eine geistige Weiterentwicklung mit sich, der man sich vielleicht gar nicht immer so bewusst ist. Dennoch ist sie sie vorhanden, ich möchte sie nicht mehr missen. Wenn man offen und interessiert ist, findet man wohl überall Gleichgesinnte und Freundeskreise lassen sich oft schneller aufbauen, als man es für möglich gehalten hätte. Die Tatsache, all diese Erfahrungen und Erkenntnisse nun auch noch in einem zuvor unbekannten Land, dessen Sprache ich nicht sprach und über dessen Kultur und Geschichte ich kaum etwas wusste, gemacht zu haben, bestärkt mich nun umso mehr darin, nochmal weiterzuschreiten, wieder neue Gebiete zu erkunden, neugierig zu bleiben.
Da das Wetter letzten Samstag zu meiner großen Begeisterung wunderbar frühlingshaft war, habe ich den Nachmittag dazu genutzt, mich mit meiner Kamera in die Stadt zu begeben. Das Resultat findet ihr in der Fotogalerie.