Germans working in London - mehr als grauer Anzug und Beamtentum
Dieser Artikel vergleicht den Arbeitsmarkt in Deutschland mit dem in Großbritannien.
Wer über einen beruflichen Wechsel nach England nachdenkt, mag vielleicht in erster Linie London im Blick haben. Die 10-Millionen Einwohner Metropole, als Finanzplatz für Europa mit einer unverzichtbaren – und noch unangefochtenen - Stellung, hält für jeden Studienabschluss oder jede berufliche Qualifizierung Jobs bereit – auf der anderen Seite ist das Leben, also die Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung, auch nirgendwo so teuer wie in der Hauptstadt.
Gewerkschaften spielen – anders als in Deutschland – eine geringe Rolle, Betriebsräte – oder eine Äquivalenz – existiert nicht. Gegründet um Arbeitnehmerinteressen zu selektieren, zu bündeln und zu artikulieren haben Gewerkschaften seit dem Regierungsantritt Margret Thatchers 1979 kontinuierlich an Bedeutung verloren.
Ein weiterer Unterschied Deutschlands und Englands hinsichtlich des Arbeitsmarktes sind die Steuern: Jeder fürchtet das Frühjahr, wenn die Sonne verlockend scheint und der Garten zum Leben erwacht, wartet das Grauen in trockener Form: Die Steuererklärung. Wer in England in Lohn und Brot steht, ist von diesem bürokratischen Monstrum befreit: Eine Steuererklärung ist hier nicht nötig.
Grundsätzlich weißt der englische Arbeitsmarkt eine höhere Flexibilität auf, Kündigungsfristen sind weniger starr als in Deutschland und nicht immer sind Qualifikationen für erfolgreiche Bewerbungen notwendig. Diese lockere Handhabung hat natürlich auch einen Nachteil, wie der 35jährige Betriebswirt Holger aus London berichtet: „Oft können dir die Leute nicht weiter helfen, weil sie nicht die Fähigkeit oder die Information zur Verfügung haben, aber großteils habe ich auch den Eindruck, dass sie gar nicht helfen wollen. Einen Handwerker zu finden, der versteht, was er macht, ist auch eine Odyssee, da diese hier keine Ausbildung machen müssen und sich auch ohne Qualifikation einfach Elektriker oder Installateur nennen können, wenn sie einen Schraubenschlüssel auch nur besitzen.“
Wer in einem anglikanischem Unternehmen arbeitet, hat in der Regel einen einfachen Draht zu seinem Vorgesetzten. Titel und formale Anreden werden hier weniger häufig benutzt, als in Deutschland. Der Kontakt untereinander ist direkter und offener, lange Dienstwege sind hier eine Seltenheit. Holger, der in London wohnt und arbeitet und für den Youthreporter schon einmal als Interviewpartner zur Verfügung stand, schildert diesen Unterschied sehr anschaulich: „Wovor ich fast Angst habe, wenn ich wieder in Deutschland arbeite, ist das starre Hierarchie-Denken in deutschen Unternehmen und die formale Umgangsweise, die sehr kontraproduktiv ist, wenn man eine positive Veränderung und neues Denken einbringen möchte. Hier kann man ohne Probleme eine Idee auch mal mit dem obersten Chef diskutieren, den man natürlich mit dem Vornamen anspricht und Türen stehen nach meiner Erfahrung hier immer offen.“
Dieser kommunikative Umgang schlägt sich – so Holger – auch im Umgang mit Kollegen und Kunden nieder: „In Deutschland ist man da schon sehr engstirnig und viele akzeptieren nur ihre eigene Denkweise. Jeder will nur recht haben und fordert dies auch ein. Anders Denken wird abgestraft und nicht als wertvolle Bereicherung angesehen. Dies führt dazu, dass ich die Deutschen mittlerweile als fast aggressiv in ihrem Auftreten empfinde, vor allem wenn man mit deutschen Kunden zusammenarbeitet wird dies deutlich.“
Ein Auslandsjahr bietet die Möglichkeit, in andere (Arbeits-) Kulturen reinzuschnuppern. Ich möchte nicht behaupten, dass die eine oder andere Art zu arbeiten besser oder effizienter ist, sicherlich verspricht eine Komposition aus verschiedenen Elementen den größten Erfolg. Es lohnt sich aber, sich einen Moment zurückzulehnen und darüber nachzudenken, wie man selber arbeitet und wie man gerne arbeiten möchte.
Von Henry Ford, dem Erfinder der Automobilproduktion, stammen die Worte: „Zusammenkommen ist ein Beginn, zusammenbleiben ist ein Fortschritt, zusammenarbeiten ist ein Erfolg.“ Den Weg zum Erfolg muss jeder selbst finden – der englische Weg ermöglicht vielleicht ein einfacheres Zusammenkommen. Das Zusammenbleiben und Zusammenarbeiten bleibt aber letztendlich eine Frage der Chemie.