Generation Erdogan?
Politisch scheinen der "Westen" und die Türkei immer weiter auseinander zu treiben, aber wie sieht das unter den jungen Menschen aus? Wie denken junge Türk*innen über Europa?
Als deutscher Freiwilliger in der Türkei spürt man die Spannungen deutlich, die Beziehungen verschlechtern sich zunehmend: Westliche und insbesondere deutsche Medien zeichnen ein düsteres Bild, das einer ganzen Generation die blind Staatsoberhaupt Erdogan folgt und sich nicht um Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte oder Meinungsfreiheit kümmern. Meine ersten Begegnungen in der Türkei zeigen aber ein ganz anderes Bild: Junge Menschen kritisieren die Politik, leben nach ihren eigenen Idealen und sind bestrebt, sich ein Leben aufzubauen. Mir ist allerdings bewusst, dass die Menschen, denen ich begegne, häufig aus einer Bildungselite kommen: Sie sprechen Englisch, sind an Ausländern interessiert und bemühen sich selber, möglichst viele Auslandserfahrungen zu sammeln. Um mich intensiver mit dem Thema auseinander zu setzten, startete ich einige Interviews und begann die Thematik weiter zu recherchieren.
Das Istanbuler Büro der Konrad Adenauer Stiftung veranlasste eine umfassende Jugendstudie in der Türkei und kam zu erstaunlichen Ergebnissen: Die türkische Jugend sei unpolitisch, auf sich fixiert und hätte wenig Vertrauen in Präsident Erdogan. Diese unterschiedlichen Tendenzen wirken sehr verwirrend, tatsächlich sind sie aber ein Hinweis darauf, dass man stark innerhalb einer Generation differenzieren muss:
Religion ist in der Tat ein großer gesellschaftlicher Faktor, der vor allem junge Menschen polarisiert: Die meisten definieren sich selbst als Muslime, die die islamischen Regeln nach bestem Gewissen befolgen. Als Teil der Mehrheitskultur prägt der Islam das soziale Miteinander, so geben beispielsweise auch die Hälfte der Befragten an, sich unwohl zu fühlen, wenn sie zu Radaman nicht fasten. Eine Zahl, welche mich wirklich erstaunt, sind die 74 Prozent der befragten Jugendlichen, welche keinen Alkohol konsumieren. Das lässt mich auch über die sozialen Bedingungen in Deutschland nachdenken, ist Alkohol einfach zu einer "normalen Droge" geworden? Anhand der Ergebnisse lässt sich klar sehen, dass die Mehrheit religiös geprägt lebt, es einen kleineren Anteil an sehr religiösen Jugendlichen gibt, dieser aber besonders konservativ ist: So lehnen 35 Prozent die Idee eines reformativen, zeitgemäß interpretierten Islam ab.
Das zeigt sich auch gerade in Fragen der Geschlechtergleichheit: Die Mehrheit befürwortet zwar Geschlechtergerechtigkeit im sozialen Leben und in der Bildung, und lehnt Gewalt gegenüber Frauen ab, trotzdem kann man daraus nicht einen emanzipatorischen Ansatz schließen - immerhin sehen 30 Prozent die Frau allein in der Rolle der Hausfrau und Mutter, lehnen Homosexualität (in der Öffentlichkeit) ab und bewerten Politik als "Männersache". Durch meine persönlichen Gespräche ist mir bewusst geworden, dass dies in seinem Kontext nicht als respektlose Haltung gegenüber Frauen zu verstehen ist, sondern eher als starres Rollendenken: Wird man als Frau oder Mann seinem Gender, seiner gesellschaftlich zugeschrieben Rolle gerecht, erlebt man Akzeptanz und hat innerhalb dieser Rolle auch Aufstiegschancen; jeder der sich selbst anders ausleben möchte, hat es in dieser Gesellschaft relativ schwer..
Gegenüber diesen zwei Tendenzen stehen die liberalen, modernistischen Strömungen in dieser Generation: Sehr auslandsaffin versuchen diese Jugendlichen, ihr Ideal vom "westlichen" Leben zu leben, inklusive dem "American Dream".. Da viele aus bürgerlichen Elternhäusern kommen, genießen sie häufig Bildung in privaten Institutionen und ihnen werden Fördermöglichkeiten eröffnet. Da der Arbeitsmarkt und die soziale Infrastruktur dieser wachsenden Mittelschicht noch nicht gerecht werden kann, erhöht sich der Konkurrenzdruck und die Leistungsanforderungen stetig.. Dabei wird – meiner Meinung nach – eher auf Quantität als auf Qualität geachtet: So bestehen beispielsweise die Abschlussprüfungen der High School aus seitenweisen Multiple Choice-Aufgaben, die einfach auswendig gelernt werden müssen. Dieses Bildungssystem und die aktuelle soziale Dynamik erklären auch die festgestellte Selbstbezogenheit dieser Generation, dessen größter Wunsch es mehrheitlich ist, reich zu werden und mit ihrer Familie im Wohlstand zu leben.
Zahlen wie die des Generationsbericht der Konrad Adenauer Stiftung sowie die Bilder, die die Medien zeichnen, sind immer in ihrem Kontext zu betrachten: Diese Generation ist die erste nach dem großen wirtschaftlichen Aufschwung der Türkei, sie befindet sich in einer Selbstfindungsphase zwischen zwei extremen Polen und es liegt an den Individuen, ihren Weg dazwischen zu finden. Es ist die Generation Erdogan in dem Sinne, dass sie in seine politische Transformation der Türkei geboren wurden, davon profitieren oder darunter leiden. Und ich gehöre auch einer Generation an, der Generation Merkel, aber letztlich kommt es nicht darauf an, was uns geprägt hat, sondern was wir daraus machen.
Quellen
https::////wwww..jetzt..dde//ppolitik//kkonrad - adenauer - stiftung - befragt - die - generation - erdogan
https::////wwww..focus..dde//ppolitik//vvideos//uumfrage - neue - studie - so - denkt - die - jugend - der - tuerkei - von - erdogan_id_7210875..hhtml
https:://// www..kas..dde//wwf//ddoc//kkas_49072 - 544 - 1 - 30..ppdf??1170602095954