Formation d'acceuil in Mâcon
Bonjour tout le monde!
Bonjour tout le monde!
Hier also der versprochene Bericht vom On-arrival-training beziehungsweise der «formation d’acceuil». Es ging ziemlich bunt zu in Burgund, soviel schon mal vorab. Folgende Nationen waren in dem kleinen Ort Serrières vertreten: Deutschland als stärkste Fraktion, Belgien, Ungarn, Griechenland, Italien, Spanien, Niederlande, Österreich, Dänemark, Polen und Estland. Alle mit unterschiedlichem Sprachniveau, ich war ziemlich weit vorne mit dabei, andere hingegen haben vor drei Wochen das erste französische Wort in den Mund genommen. So musste immer übersetzt werden, ins Englische oder andere uns zugängliche Sprachen (ich hab mich ein bisschen in Spanisch versucht). Missverständnisse waren da vorprogrammiert, was aber immer ein Anlass zum Lachen war!
Zur Gruppe: Es gibt einige, die mir auf Anhieb sympathisch waren, und die ich gewiss wieder sehen werde. Da ist zum Beispiel Ago(stina), eine Italienerin und eine echt starke Persönlichkeit. Sie hat zwar mal drei Jahre lang Französisch gelernt, aber das liegt schon etwas zurück. Mit zahlreichen Gesten hat sie ihr Projekt erläutert und sogar von ihrem Leben auf Sardinien erzählt. Da ist Daniel, der Spanier mit Rhythmus im Blut, der uns immer wieder zu lustigen Spielen animieren konnte. Da ist Jan, der Belgier, der darauf bestand das SEIN Land das beste Bier macht. Da ist Heidi, eine Deutsche, mit der ich rumalbern konnte oder ernste Dinge erörtert habe. Da ist Maud, die Animateurin des Aufenthalts, die mir wertvolle Wegweiser durch die französische Literatur mit auf den Weg gegeben hat… Eine Woche kann unheimlich zusammenschweißen, es war wirklich - unglaublich. Zum Programm: Ja, eigentlich war diese Formation ein bisschen wie Schule, wir haben französische Geschichte und Politik gepaukt, über die Europäische Union diskutiert, die Grenzen des Programms nochmal abgesteckt, linguistische Übungen und Sprachspiele gemacht, über Vorurteile und Stereotypen debattiert (bei dieser Einheit gab es Videos, natürlich war Deutschland mit dem Bayer in Lederhosen vertreten) und die Umgebung besucht.
Der geschichtliche und politische Teil war ziemlich laaangatmig, man möge mir verzeihen wenn ich dieses Thema hier mal überspringe. Bei den linguistischen Übungen gab es einiges zu lachen, weil einige Akzente die Zungenbrecher schier unmöglich machten ^^. Am ersten Abend aber waren erstmal die Eisbrecher- und Kennenlernspiele angesagt… Auf Französisch eine echte Herausforderung für jeden von uns, aber absolut witzig! Die Nachtwanderung war anschließend eine gruppendynamische Entwicklung, wie man so schön sagt. Wir haben nur die Taschenlampen vermisst, denn auf dem Rück"weg" sind wir irgendwie in einem Weinberg gelandet und sind ein bisschen durch die Reben geirrt, was aber angesichts des Vollmonds auch eine romantische Seite hatte. Am dritten Tag sind wir gemeinsam nach Mâcon gefahren, eine bekannte und größere Stadt in Burgund, in der ein ausgezeichneter Wein gemacht wird. Dort haben wir die "Cave à musique" besichtigt, eine Art Tonstudio mit Proberäumen und allem, was ein Musikerherz mit wenig Kapital höher schlagen lässt. Interessant! Der Theorie sollte am letzten Abend (Samstag) auch ein Konzert folgen, die werden dort jedes Wochenende abgehalten, um den Musikern einen Platz zu geben, sich auszuprobieren.
Aber zurück zur Chronologie. Nach der Besichtigung stand ein Restaurantbesuch auf dem Programm. Reicht es wenn ich "mmh, lecker" in den Raum werfe? War wirklich gut, und wie so oft gab es einen auf das Essen abgestimmten Wein. Ich werd hier echt beinahe zu sehr verwöhnt!
Ganz demokratisch wollte man hernach über das Abendprogramm abstimmen: Bowling oder Karaoke? Ich glaube, es steht außer Frage, wofür ich mich gemeldet habe. Allerdings war das Ergebnis elf zu acht, knapp aber eben doch für Bowling. Kein Grund, den Kopf hängen zu lassen, schlug Maud doch danach vor, beides zu machen! Juchu! Wir also erst mal zum Bowling gefahren, wo ich mal wieder mein "Untalent" für diesen Sport unter Beweis gestellt habe. Letzte in der Wertung. C’est la vie! Dafür hat Daniel es geschafft, sich vor Veehrung für seine Kugel flach auf den Boden zu werfen. Es war echt sauglatt, wahrscheinlich frisch gebohnert oder so, jedenfalls waren die ersten Würfe allgemein von etwas Vorsicht begleitet.
Anschließend sind wir zur Karaoke-Bar gelaufen, wobei ich auf dem Weg dorthin mit Maud ein bisschen über Literatur gesprochen habe, um die "musts" der französischen Literatur zu erfragen. Im Moment lese ich "Une vie française" um mich ein bisschen einzustimmen. In der Bar hatte ich dann die Qual der Wahl. Aus unerfindlichen Gründen wollte ich unbedingt etwas Französisches singen und habe verzweifelt nach einem Chanson gefahndet, den ich kenne. Julie Zenatti – La vie fait tout ce qu’elle veut war der einzige Titel, den ich ein bisschen im Ohr hatte. Vielleicht hätte ich mich nicht auf mein Ohr verlassen sollen; der Anfang lief zwar ganz gut, aber irgendwie hatte ich den zweiten Teil des Liedes vollkommen verdrängt, so dass ich quasi mittendrin aufgehört habe… *Rot werd*. Was soll’s. Kann passieren! Maud hat außerdem versprochen, mir eine Disk zusammenzustellen, damit ich fürs nächste Mal besser vorbereitet bin.
In der folgenden Einheit am vierten Tag (Quels regards sur la France? – Welche Sichtweise auf Frankreich?) war dann noch mal Kreativität gefragt: wie sehe ich Frankreich? Einige haben aus Ton den "durchschnittlichen" Franzosen modelliert (mit Baret, Baguette unter dem einen Arm und einer Flasche Wein unterm anderen), andere haben an einer riesigen Karte gearbeitet und ich, ich habe ein Zitat von Anatol France aufgegriffen: La langue française est une femme. Et cette femme est si belle (…) qu’on n’est jamais tenté du lui être infidèle. – Die französische Sprache ist eine Frau. Und diese Frau ist derart schön, dass man niemals versucht ist, ihr untreu zu sein. Der fünfte und sechste Tag waren für die Themen Interkulturalität, Vorurteile, Stereotypen und (natürlich) linguistische Übungen reserviert. Der erste Teil war deshalb interessant, weil Sylvain es interessant gestaltet hat, er ist ein echt guter Lehrer gewesen! Selbst die Polen waren ausnahmsweise mal aufmerksam ^^. Ihr kennt das Spiel sicher, wo man mit geschlossenen Augen eine Minute abschätzen und sich hinsetzen muss, wenn man meint, sie sei abgelaufen? Erstaunlich war es nun, den Ländervergleich zu sehen… Die Deutschen haben sich fast alle im gleichen Zeitraum hingesetzt. Dann war da noch das Spiel Barnga, fünf Tische mit Kartenspielen und Regeln. Erst hat jede Gruppe für sich das Spiel geübt, danach wurden Tische gewechselt. Dumm nur, dass jeder Tisch andere Regeln hatte und das Reden verboten war! Ein sehr gesten- und mienenreiches Spiel, kann ich Euch sagen! Am gleichen Abend haben wir dann "Auberge Espagnol" geguckt, ein super Film! Ironie, dass der einzige Spanier aus Barcelona kam, wo der Film spielt. Wir mussten oft lachen! Und am Ende wird das erste Mal die Wahrheit in Worte gekleidet, die wir seit wenigen Wochen in uns fühlen: dass wir die Menschen, die wir offenbar zurückgelassen haben, in uns tragen, dass man ein Teil von jedem einzelnen ist. Wie ein Puzzle. Geprägt. Gezeichnet. Als diese letzten Sätze verklungen sind, herrscht absolute Stille unter uns. Jeder ist in Gedanken versunken. Und ich war auf einmal näher bei Euch allen als jemals zuvor, so paradox das klingt, wo ich doch evidenterweise 1300 Kilometer entfernt bin.
Sechster Tag. Der soziale Code einer Kultur, wieder nähergebracht in einem Spiel: Derdia. Derdia ist ein fiktives Land, in dem sich die Bevölkerung hilfesuchend an eine handvoll ausländischer Ingenieure wendet, damit diese eine Brücke bauen. Denn zum Markplatz heißt es eine Schlucht überqueren oder einen vierstündigen Umweg in Kauf nehmen. Die Ingenieure spielen sich selbst, während die Derdianer ein neues Verhalten einstudieren: zur Begrüßung küsst man sich auf die Schulter, der, der beginnt auf die rechte und der Gegenüber auf die linke. Spricht man miteinander, hält man immer Körperkontakt. Frauen benutzen keine Scheren, Männer keine Lineale und Stifte. Falls irgendeine Regel grob verletzt wird, schreit man! Ich glaube, für die Ingenieure war das ein echter Kulturschock. Es gibt viele ungeschriebene Regeln, auch in unserem Nachbarland (die Bises zum Beispiel). Man muss erst lernen, was sie bedeuten. Im Moment sind wir wie Kinder, wir fangen hier nochmal bei Null an und beobachten unsere Umwelt, neugierig und manchmal verblüfft. Ich bin gespannt, wohin mich dieses Abenteuer noch führen wird!
Der eventuell wichtigste Teil waren die Sprachübungen, wo wir endlich mal Ausdrücke in Argot gelernt haben, der Umgangssprache. Im Moment werde ich nämlich noch oft schräg angeguckt, weil ich mein elaboriertes Schulfranzösich benutze… Dazu kamen noch ein paar Sprichwörter und Redewendungen, war schon nett.
Letzter Tag. Morgens waren wir auf dem Markt in Cluny, der mich sehr an den hier in Brive erinnert hat. Mittags gab es dann noch mal ein schmackhaftes Essen in einer Brasserie bevor es abends zum eigentlichen Abschluss noch mal in die Cave à musique ging. Wir haben uns gut amüsiert, getanzt, gelacht und bedauert, dass wir schon so früh wieder auseinander müssen. Deswegen habe ich nun eine schwierige Entscheidung zu fällen, denn einige der EVSler, die auch über die Feiertage hier bleiben, wollen sich für Silvester in Paris treffen. Daniel allerdings kehrt Heim nach Barcelona, was von hier aus in etwa genauso weit ist. Von beiden Seiten habe ich nun eine Einladung, und verlockende dazu. Ich habe echt keine Ahnung, was ich machen werde! Irgendwelche Ratschläge? Vermutlich werde ich eine Münze werfen müssen, um das zu entscheiden.
Sonntag, nach acht Stunden Heimreise (die Bahn hier ist zwar günstiger aber auch seeehr lahm) hat JP mich am Bahnhof abgeholt. Noch während wir zur Jugendherberge liefen, läutet mein Handy. Meine Eltern. Ich hatte zwar gesagt, dass ich mich am Abend melden wollte, aber sie waren zu ungeduldig, abzuwarten. Als ich vor meinem Zimmer stehe druckst meine Mutter etwas herum bevor sie mir eine traurige und schreckliche Mitteilung macht: das Johanna einen Autounfall in Schweden hatte. Das schlimmste, woran ich nach dieser ersten Ankündigung gedacht habe, war Querschnittslähmung. Aber meine Mum fuhr fort. Sie hat nicht überlebt. Der Tag war gelaufen. Aber wem erzähl ich das, einige von Euch haben das bereits vor mir gewusst. Ich hab mich unter der Bettdecke verkrochen. Und am nächsten Morgen habe ich ein Gedicht geschrieben, dass einzige, was ich von hier aus tun konnte, um mit der Trauer umzugehen. Für all jene, die Johanna kannten. Es hat mir geholfen. Ich wollte nicht schon wieder über Ungerechtigkeit philosophieren wie damals, als Daniel gestorben ist. Es hätte die Sache nur schlimmer gemacht, als sie sowieso schon ist.
Dienstag war hart, denn ich hatte eine Verabredung mit einer Sängerin, die eventuell hier ein Gesangsatelier abhalten möchte. Mein erstes Projekt, beziehungsweise meine erste Reaktion auf die Biefe, die ich geschrieben habe. Es fiel mir unheimlich schwer, mich zu konzentrieren und ich glaube, ich habe das schlechteste Französisch seit meiner Ankunft gesprochen. Was soll’s, Pascale war dabei und hat ab und zu das Wort ergriffen, es ging schon irgendwie. Und anscheinend wird daraus tatsächlich was, das heißt ich werde mich das erste Mal in meinem Leben um Promotion kümmern müssen. Habe mich schonmal mit Microsoft Publisher vertraut gemacht. Dummerweise ließ es sich nicht auf Deutsch installieren, aber es geht schon! Jetzt beginnt sozusagen die erste heiße Phase in meiner Arbeit hier, ich werde Euch natürlich auf dem Laufenden halten! Außerdem habe ich endlich meine Übersetzung beendet, Dank der Hilfe vieler freundlicher Menschen, die hier in der JH übernachtet haben.
Bisous, Bianca