FD4K
Johannson besucht da FD4K, das Festiwal Dialogu 4 Kultur in Lodz. Der Name ist Programm, denn es soll den Dialog zwischen den Kulturen darstellen und fördern. In der Tat gibt es dort viel zu erleben.
Nachdem ich es zweimal verpasst habe, werde ich jetzt endlich Zeuge des Festivals des Dialoges der vier Kulturen. Das ist Lodzs hochgerühmte und ureigene Erfindung, seit die Stadtwerbung rausgefunden hat, dass multikulturelle Vergangenheit (polnisch, jüdisch, deutsch, russisch) ganz, ganz hip ist.
05.09.2009 – Balkantransplantacja
Mein persönlicher Höhepunkt war gleich am ersten Tag. Gleichzeitig zum 65. Jahrestages der Liquidierung des Ghettos fand am Samstag zum Auftakt ein großartiges jüdisch/balkan Konzert in der Manufaktura statt. Das mazedonische Kocani Orkestar blechblies durch die Nacht als wäre ich noch in Sofia. Das ist auch nötig, denn ich habe gefragt: es gibt keine bulgarischen Studenten in Lodz.
07.09.2009 - Bakarola
Montag besuchte ich das Projekt Bakarola, wo zwei Österreicher in der ganzen Stadt Klaviere aufstellen, Mikros reinstecken und sich das alles in der Philharmonie anhören. Außerdem treten an diesen Orten lokale Gruppen auf, aber niemand weiß wann und wo. Heute fand man auf der Piotrkowska eine Gruppe Beatboxer, und die legten einen, man verzeihe mir den Ausdruck, ziemlich lässigen Beat auf die Straße. Aber was ist aus den Ghettomusikern geworden! Rapper die sich bedanken und Flyer für die Philharmonie verteilen. Ihre Freunde aus dem Viertel, die artig klatschen. Glücklich mitschunkelnde Kinder mit Schleifen im Haar, gehalten von kontenten jungen Vätern, ihre Haare selbst gerade noch am Nachwachsen. Auch Polens Gangster gehen eben seit ihrer Kindheit jeden Sonntag in die Kirche.
An diesem Abend habe ich mich als freiwilliger Helfer gemeldet und werde morgen bei der Theaterprobe von Reymonds „Gelobten Land“ mit anfassen.
08.09.2009 – Das Geblobte Land
Dienstag kam das Breslauer Theater angerollt und probte Das Gelobte Land mit Musik und Feuershow. Das war erst die Generalprobe, und schon da gab es in Scheiblers alter Fabrik keine freien Sitzplätze mehr. Nur Arbeit gab es nicht besonders viel für uns Freiwillige. Immerhin, ich hab das Stück gratis gesehen statt für 80 PLN.
09.09.2009 – Die Jugend mag Juden!
Mittwoch hatte ich keine Arbeit und ging privat zu einem Festivalsprojekt, dem Vortrag „Spuren des Holocaust in urbanen Räumen“. Das klang abstrakt und ich kam extra später an, weil mich nur der nachfolgende Spaziergang zu entsprechenden Orten in Lodz wirklich interessierte. Jedoch, als ich ankam war der Saal gepackt voll. Das mit Grund, der Vortragende war eindeutig Experte. Anschließend führte er mich und das wahnsinnig junge Publikum hinauf zum alten Markt und ins alte Ghetto, an Gotteshäusern dreier Konfessionen vorbei (bzw. am Ort wie die Ashtot Synagoge bis 1939 gestanden hat). Die Präsentation fand im Jazzga statt, einem der führenden Klubs von Lodz in einem Hinterhof der Piotrkowska. Als wir aus dem Tor kamen, wurde gerade scheppern eines der Klaviere über das Pflaster der Hauptstraße gerollt.
10.09.2009 - PK
Ich frage mich immer mehr, ob dieser Freiwilligenjob so toll ist. Ich wollte mir die Hände schmutzig machen und zur Abwechslung etwas greifbares tun. Stattdessen stehe ich mir mit Abiturienten in der Kunstphase die Beine in den Bauch, komme mir alt vor und denke die ganze Zeit ich habe mein Leben jetzt schon verpfuscht.
Donnerstag wurde ich der Choreographie „PK“ zugeteilt. Der Ort war toll, im alten Stadtkraftwerk, genutzt bis 2001 aber noch mit seinen Art Nouveau Elementen. Sehr typisch für Lodz: seit der Goldrauschzeit wurde Kapital fast nur noch abgenutzt, nie nennenswert modernisiert. Auf diesem Gelände wurde außen erst Parcour gezeigt und dann trat in der Turbinenhalle selbst eine wohl ganz tolle berühmte supidupi Ballerina aus Warschau auf. Von uns Freiwilligen war aber hinterher kaum jemand groß angetan, und ich hatte ohnehin noch nie Zugang zu modernem Tanz. Dafür zu Industriearchitektur – und das Potential hier wurde nicht genutzt. Außerdem eine ganze Menge Schickeria und Teenagerintellektuelle. Dafür erheiterte uns eine Nachricht vom Projekt Bakarola: von den sechs in der Stadt verteilten Klavieren sind nach drei Tagen vier geklaut! Das Festival dauert noch bis Sonntag.
11.09.2009 - Alternativkunst
Am Freitag richteten sich die Münchner Kammerspiele ein. Sie wollten am Folgetag Jelineks 'Rechnitz' präsentieren und ich wurde als Dolmetscher zugeteilt. Die sagten mir aber, sie brauchen keine Hilfe, also wieder nix zu tun. Zumindest hatte ich mir davor das nahe Abwasserkanalmuseum (oh ja...) zu Gemüte führen und hernach mit den ebenfalls nutzlos freiwilligen Theaterstudentinnen und Germanistinnen in die Kneipen gehen können.
12.09.2009 - Roboti
Samstag brachte diverse Zerstreuungen. Erst konnte man sich die Probe von Rechnitz ansehen, dann eine Freiluftvorführung Bollywood und schließlich die Festivalparty im Jazzga. Draußen spielte eine polnische Band in Polizeikostümen und die Moskauer Truppe Roboti ließ Kraftwerk auferstehen als wären sie nie weg gewesen. Zuletzt vergriff sich drinnen ein unerträglicher DJ an Schallplatten. Aber man konnte tanzen sowie alte und neue Leute treffen.
13.09.2009 - Rechnitz
Sonntag waren wir dann alle müde und das Festival quasi zu Ende. Ich sah mir Kraft meines Freiwilligenausweises Rechnitz ganz und gratis an; nicht als Freiwilliger, einfach als Gast. Schöne Sache mit ganz fiesen Texten, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Polen das verstanden haben. Einige sind auch während des Stückes gegangen. Ich war sehr kaputt und nah am Einschlafen. Jedoch blieb ich nach der Aufführung und half bis zum gemeinsamen deutsch-polnischen Bühnenarbeiterverbrüderungswodka um drei Uhr morgens die Kulissen zu demontieren und verladen. Eigentlich war ich gar nicht eingeteilt, aber das war die beste Arbeit des ganzen Festivals. Ziemlich cool mal zu sehen was hinter dem Vorhang los ist. Das war das Ende des Festivals. Das schöne ist, nächste Woche beginnen schon die nächsten.