Everybody was happy
"Rain during Bucharest Pride? That's homophobic!"
Freunde der Sonne - ihr habt euch den Titel endlich verdient. Diese Woche habe ich zum allerersten Mal mein Sommerkleid angezogen. :) Aber erst am Sonntag, in Bukarest. Lasst mich euch erzählen, wie es dazu gekommen ist.
Unter der Woche war ich natürlich in Cluj, das Leben geht weiter. Am Montag mussten wir unser Projekt an der Uni vorstellen, vor vier recht desinteressierten Studierenden. Wir waren alle ein bisschen verlegen um Worte - die Stimmung war sowieso nicht gerade begeistert, als wir bei der Einleitung aushelfen mussten, als unser Chef Lehel nicht auf Julianas Namen kam - und wir vier haben alle so eine Wut auf dieses Projekt, wollten ihn aber natürlich auch nicht unvorbereitet blamieren. Also erzählten wir nur, wie viel man reist, wie viele Leute man kennenlernt und wie toll alles außerhalb der Arbeit ist, und ließen Csemete komplett weg - sogar auf direkte Nachfrage, ahaha. “Aber was genau macht ihr?” “Hm, wir arbeiten in einer ungarischen Kita… JEDENFALLS, eine andere ganz tolle Sache ist wie viele Trips man in dem neuen Land unternimmt!!”. Am Ende bekamen wir eine überschwängliche Dankesmail, wie professionell wir waren. Szivesen, I guess.
Spontane Typänderung
Auf dem Rückweg entschied ich mich im Bruchteil von Sekunden dafür, mir eine Flasche pinke Haarfarbe zu kaufen. 30 Lei für doppelt so viel Farbe wie in einer normalen Directionsbox, das ist ganz gut - und das Zeug hält bombenfest, wow. Ich muss mir die Marke merken! Nun laufe ich also mit knallpinken Haarspitzen durch die Stadt. Ich nehme es immer so ernst, wenn ich meine Haare verändere, und wurde ganz melodramatisch - aber nur kurz.
Und ich habe meinen Plan, an jedem Tag andere Freunde zu sehen, beinahe komplett durchgezogen. Bine! Montagabend habe ich endlich Valentin wiedergesehen - es stellte sich heraus, dass er 200 Meter (!!!!) von uns entfernt lebt… und darauf sind wir über einen Monat nicht gekommen, wow… nun, besser spät als nie. Ich hatte vergessen, wie leise er spricht - aber witzig war es trotzdem, und er hat Kuchen gemacht!
Fragen über Fragen
Dienstag half ich CVCN bei deren EVS Präsentation. Als Fotografin. Sie hatten mich auch gefragt, ob ich beim Vorstellen helfen müsse - aber wenn ich über mein EVS spreche, verscheuche ich die Leute nur! Und ich bin froh über jede noch so kleine Publicity mit meiner Fotografie. Trotzdem war es etwas deprimierend, wieder zu hören, wie ein EVS eigentlich sein sollte. Du kriegst eine Wohnung, ein Freiwilligenprojekt in einer nichtkomerziellen, gemeinnützigen Organisation, faire Behandlung, du lernst die Landessprache indem du sie tagtäglich anwendest - ha… als ich danach Gagyi im Papillon auf einen Tee traf, fragte sie mich auch, wieso ich mich nicht an eine höhere Instanz wende - eine Antwort hatte ich darauf nicht.
Vielleicht, weil es so entwaffnend ist, wie uns immer die Worte im Mund umgedreht werden, wie wir immer haarscharf an der Grenze zum handfesten Beschwerdegrund vorbeirattern. Die private, enorm teure Kita Csemete Óvoda ist nicht kommerziell, weil alle Einnahmen auch ausgegeben werden. Ihr habt trotz wiederholter Bitten keinen Rumänischunterricht bekommen, aber das wusstet ihr von vornherein. Wir haben den Erziehern nie gesagt dass ihr hier seid um Windeln zu wechseln, aber helfen müsst ihr natürlich, das seht ihr doch ein. Wenn ihr ein Projekt mit den Kindern machen wollt, anstatt nur den ganzen Tag die Aufgaben zu übernehmen die niemand machen möchte, dann wäre das möglich, doch Erasmus bezahlt euch um in der Kita auszuhelfen...und immer, immer, immer ist jede Bitte von uns so furchtbar schwierig für alle, weil Bukarest all das niemals erlauben würde, wir können da doch auch nichts für.
Es fällt verdammt geschickt in die legale Grauzone. Aber unter’m Strich machen wir unseren Dienst in einer privaten, kommerziellen Institution, die nur als non-profit durchgeht weil sie alle Einnahmen rechtzeitig wieder ausgibt (wofür genau, konnte man mir nicht sagen, garantiert nicht für ausreichend Gehalt für die Erzieherinnen). Auch wenn ich nie irgendwas Handfestes zum Anprangern habe wegen diesem cleveren Fuchs-und-Maus-Spiel, ich bleibe dabei: hier soll nie wieder jemand hin.
Everybody was happy
Tja. Donnerstagabend verschwand Juliana - sie nimmt sich einen Tag frei und durchquert ein Drittel des Landes nach Arad, nur um an einer portugiesischen Party teilzunehmen. Meine Güte. :D Ich ging stattdessen mit Dora und Bogdan weg, und weil wir zu inkompetent waren, um eine Bar zu finden, liefen wir einfach ziellos durch den Park. Die beiden ärgerten mich die ganze Zeit oder erzählten Quatsch (“so what’s your definition of a hook-up?” “Everybody was… happy… in the end… “). Alles wie beim Alten also. Nur dass diesmal eine Prise Trauer dabei war - in zwei Monaten muss ich von solchen Abenden Abschied nehmen.
Freitag lud ich Marleen, Lara, Kike und Elena zum Abendessen ein, die Ärmsten haben immer noch kein Gas… nur ein Problem: Lara und Marleen ernähren sich vegetarisch, und Jojo wurde vom Arzt dazu verdonnert, eine Paleo-Diät zu machen - das lässt sich abgesehen von Salat kaum in einem Gericht vereinen. Also gab es zwei Sachen (für sieben Leute auch angebracht), Nudelauflauf und Zucchinilasagne. Kein Neid, aber ich bin mittlerweile einfach eine geniale Köchin.
La Bucuresti!
War ein schöner Abend, Alkie und ich mussten uns um 9 leider schon zum Bahnhof aufmachen. Um unseren Nachtzug nach Bukarest zu erwischen! Auf zur einzigen Gay Pride in Rumänien und zur Museumsnacht. Im billigsten Schlafwagen mit sechs Leuten... den Luxus hab ich mir ausnahmsweise gegönnt, um den Samstag nicht komplett schlaflos und tot zu verbringen. Man stopft seine Wertsachen in den Bettbezug und schläft wie auf einer Parkbank und nach zwei Stunden ohne Sauerstoff, aber man schläft. Ein paar Stunden zumindest. Und zum Sonnenaufgang auf dieser Pritsche aufzuwachen und die Landschaft vorbeiziehen zu sehen, hatte etwas Romantisches.
Angekommen in Bukarest empfing uns Stergios. Naja, ich hab mich gefreut dass er kam, er ist einer dieser Leute, mit denen ich wirklich wirklich gern befreundet wäre, aber die Kurve aus irgendeinem Grund nicht kriege. Und das war die letzte Chance, denn Montag schon kehrt er nach Griechenland zurück!
Und er ist wirklich der König des Networkings, denn er sorgte einfach mal dafür, dass wir drei kostenlos in einem verdammt edlen Hotel bleiben konnten. Wie? Fragt mich nicht. Er “kennt Leute”. Aber das war schon verdammt cool, wenn man sonst immer vom Volunteer-Budget lebt und in Bussen, auf Sofas oder in 14-Bett-Schlafsälen übernachtet.
Miniatur-CSD
Es ging also auf eine kleine Stadttour, auf der Stergios mich wie schon beim On-Arrival ständig erschreckte und alle to-go-Pizzen ausprobierte. Um drei stiegen wir bereits in die Metro zum Triumphbogen, um die Gay Pride auch nicht zu verpassen. Das stellte sich als überflüssig heraus. Das war wohl die kleinste Pride, die ich je gesehen habe. :D Ein (!) Wagon und zu Beginn nicht mehr als 50 Leute. Darüber hinaus regnete es wie aus Eimern, so etwas habe ich lang nicht mehr erlebt (Stergios' Kommentar zum ersten Regenguss - "Now? That's homophobic!"). Viel Programm gab es nicht, nur den Marsch, der wegen dem Regen auch nur eine Viertelstunde dauerte, und dann etwas Musik. Nunja, aber wir trafen Célestine vom Seminar und ihre Freundin, was schön war.
Viel war es nicht und die Stimmung wirkte etwas gedrückt, aber für Rumänien ist es wohl eine Menge, besonders angesichts der aktuellen Umstände. Kürzlich wurde der Plan der Koalition für die Familie weitergeführt. Dass sie drei Millionen Stimmen gesammelt haben, um das Gesetz zu ändern um es noch expliziter zu machen, dass die Ehe nur zwischen Mann und Frau legal ist - obwohl die gleichgeschlechtliche Ehe nichtmal erlaubt ist. Nun wurde für diese Reform abgestimmt und die Formulierung im Gesetz wird geändert.
Also, falls irgendjemand sich Sorgen macht, dass ich einfach in Rumänien bleibe weil es mir hier so gut gefällt: in nächster Zeit definitiv nicht. Die Leute tun immer so, als würde ich im Dschungel leben, wenn sie erfahren dass ich in Rumänien lebe. Die meisten Klischees sind nicht wahr. Die Städte sind modern und groß, die Leute sehr gastfreundlich und warm, die Kultur blühend, die Landschaft wunderschön. Mir wurde nichts gestohlen und ich lebe wie die meisten anderen auch nicht in Armut und zivilisiert. Und ja, wir haben auch fließendes Wasser, Schulen, Elektrizität und Supermärkte und essen keine kleinen Kinder.
Aber ich war noch nie an einem Ort, der so wenig säkular und so religiös ist. Und alle Konsequenzen daraus zieht, eingeschlossen diese tief verankerte Homophobie, die erst jetzt ganz, ganz langsam von der jungen Generation aufgerollt wird. Ich kann nur dankbar sein - ich kann zwar nicht sagen, dass ich in meiner Kleinstadt in einem unfassbar toleranten Umfeld aufgewachsen bin, aber solche Wellen an Hass musste ich dort selten erleben.
Kunst und so
Na jedenfalls. Nach der Parade begann Alkies Museumsnacht, und wir nahmen Patricia, Nachjol und noch andere Leute vom Seminar mit. Erster Halt war ein Mineralmuseum, das gerade jetzt eine furchtbar nervige Dinosaurier-Ausstellung für Kinder hatte - durch das ganze Gebäude schallte lautes, elektronisches Dino-Knurren. Oh mann, ging uns das auf den Zeiger, also verschwanden wir alle schnell wieder. Danach gingen alle in die Akademie, Stergios und ich sparten uns das allerdings, um was zu essen. Der nächste Halt war das Kunstmuseum, und Alkie überredete mich, mit hineinzukommen, obwohl ich totmüde war - Fehler! Ich konnte das wunderschöne Museum vor Erschöpfung kaum aufnehmen. Alle gingen anschließend noch shishan, und ich beschloss, kurz aufs Hotelzimmer zu gehen. Der Plan war, fix zu duschen und dann feiern zu gehen. Aber nach der Nacht im Zug und dem ganzen Tag in der Kälte auf den Beinen mit höchstens fünfminütigen Pausen auf Parkbänken war ich, als ich um halb zwei morgens ankam, zu fertig für irgendetwas. Ehrlich schade, denn ich wäre so gern gegangen.
Sonntag
Nun, dafür war ich am Sonntagmorgen nicht komplett verkatert beim Frühstücksbuffet - und wow. War das edel. Ich hab mich so reich gefühlt! Und der Kaffee erst! Ich muss besser im Networken werden, um sowas hinzubekommen.
Es war warm genug für mein Sommerkleid, endlich! Wir strichen den ganzen Vormittag durch die Festivals und Parks - und ich bekam einen Ballon von einem Mann im Vogelstrauß-Kostüm auf einem Foodfestival. Bukarest im Februar war nur schön wegen den tollen Leuten… aber nun hat mich die Stadt selbst eingelullt. Betonplatten und stehende Sommerluft, ist es das nicht, was ich immer wollte?
Nun. Um 6 ging es leider schon zurück nach Cluj, in einem absolut irren Blablacar. Meine Güte, bin ich in letzter Zeit viel gereist. Moldawien, Bistrita, Bukarest und meine verrückte Balkanreise… nächste Woche habe ich nichts vor und freue mich schon beinahe drauf.
Bis dahin, wir hören uns!