Europa ist groß
Einmal kreuz und quer durch Europa, bitte! Janhkorte ist in den letzten Wochen viel gereist, hat Vorurteile entlarvt und Wetterschocks überwunden.
Stockholm
Zu Stockholm gibt es so viel zu sagen, dass ich das hier gar nicht alles wiedergeben kann. Es war einfach schön, auch wenn das Wetter nicht wirklich mitgespielt hat. Es gibt viel zu tun, sehen und erleben in dieser Stadt, und die zweieinhalb Tage die wir da waren, haben einfach nicht ausgereicht. Von Museen über Freizeitparks zu Kebabs (die ich manchmal in Estland schmerzlich vermisse), von kleinen Cafés über ausgefallene Konzerte zu Seven-Eleven-Shops; diese Stadt erscheint einem zwar geschäftig, aber doch hat sie noch ihre skandinavische Ruhe und Ausgeglichenheit bewahrt. Auf jeden Fall eine Reise wert!
Untergekommen sind wir bei Ola, einem netten Schweden vom Hospitality-Club, bei dem auch noch ein anderer Deutscher aus Essen zu Gast war, mit dem wir dann auch ein paar Sightseeing-Touren veranstalteten. Ola gab uns ein paar Tipps zum Weggehen, aber da es mitten in der Woche war, war eher tote Hose. Trotzdem amüsierten wir uns hinterher mit nächtlichen Spaziergängen, denn wir wussten nie, wo unser Nachtbus abfuhr. Dann lieber laufen!
Ein anderes Highlight war aber allein schon die Schiffsreise: Die Ostsee mit Eisschollen, der Archipelago kurz vor Stockholm mit Tausenden von kleinen Inseln, und Svenja und ich mitten in der ShowBar, wo wir uns köstlich über das uns dargebotene Animationsprogramm amüsierten: Da war zu einem die sogenannte „Rich Band“ (wir haben uns wirklich gefragt, warum sie das Wort „rich“ im Namen trug), dann die Tanzgruppe „Samir“ und auf der Hinreise das „Music Quiz“ und auf der Rückreise das „Super Quiz“. Auf der Rückreise waren wir beinahe die einzigen Teilnehmer und so gewannen wir eine Flasche ukrainischen Champagner und eine Tafel finnische Schokolade: Lecker, der Abend war gerettet, denn Essen und Trinken waren auf der Tallink-fähre einfach unbezahlbar! Fast schon schwedische Preise eben!
Türkei
Das wahre Abenteuer begann aber mit der Türkei. Auf meinem Mid-Term-Meeting bekam ich ja die Möglichkeit, auf ein Aktion-5-Seminar des YOUTH Programms nach Bursa, vier Stunden südlich von Istanbul zu fahren. Marjon und ich flogen also von Tallinn aus via Frankfurt nach Istanbul und schon die Hinfahrt war ein einziges Abenteuer. Nachdem unser Flug von Frankfurt nach Istanbul etwa eineinhalb Stunden Verspätung hatte, hatten wir das für uns bereitgestellte Taxi, das uns vom Atatürk-Flughafen zum Busbahnhof bringen sollte, verpasst, und so mussten wir uns auf eigene Faust durchschlagen. Noch keine Ahnung von türkischen Preisen und Sitten, schnappten wir uns den erstbesten Taxifahrer (es war um 3.20 morgens muss man dazu sagen, und unser Bus sollte um 4.00 Uhr vom Busbahnhof abfahren!), der uns dann auch gleich gnadenlos abzockte – dumme Touris halt! Als er uns dann auch noch eröffnete, dass es gar keinen Bus von Istanbul nach Bursa um diese Uhrzeit gäbe, wurde uns erstmal ganz schön beklommen zumute. Das ganze wirkte schon recht irreal: Wir fuhren in einer lauwarmen Frühlingsnacht (10 Grad Celsius war Riesenhitze, wenn man sonst eher -10 gewohnt ist) mit Regen (in Estland ist doch nur Schnee!) bei offenem Fenster viel zu schnell auf irgendwelchen Autobahnen mit traditioneller türkischer Musik gen Nirgendwo.
Als das Taxi uns am Busbahnhof abgeladen hatte und wir nach einigen Protesten doch die 40 Türkischen Lira bezahlt hatten (zum Glück wurde uns das hinterher vom Seminar erstattet…), wurde uns die türkische Gastfreundschaft zuteil. Ohne die Hilfe eines netten jungen Mannes hätten wir es auf dem riesigen, unübersichtlichen „Otogar“ wohl niemals geschafft, „unseren“ Bus zu finden. Merklich erleichtert saßen wir also im Bus und fuhren durch die Berge nach Bursa, wo wir am nächsten Morgen um kurz nach acht Uhr von zwei netten Türkinnen abgeholt wurden. Wir waren da!
Während der nächsten fünf Tage fühlte ich mich wie in eine andere Welt versetzt: Dies war mein wahrer Kulturschock! Unzählige Leute auf den Straßen, von einem Punkt zum anderen hetzend oder auch nur auf einen Salep (mein neues Lieblingsgetränk: Milch, Zimt, Zucker und Salep-Pulver, von dem ich gleich zehn Packungen nach Estland exportiert habe) oder eine Wasserpfeife (Nargile) im Café; Lärm bis spät in die Nacht, überall Geschäfte an den Straßen (in Estland gibt es nur große Einkaufscenter), die unglaubliche Kommunikationsbereitschaft und Interesse am anderen der Türken, das (relativ) offene Klima. So wirkte es zumindest, denn es gab relativ viel alleinstehende Frauen auf den Straßen und nur die Minderheit trug ein Kopftuch – ich hatte mich schon auf viel mehr gefasst gemacht, schließlich waren wir in der Landesmitte, wo die Uhren eigentlich anders tickten. So dachte ich zumindest, aber alles nur Vorurteil!
Das Training, dessen Teilnehmer aus Estland (wir!), Lettland (Fanny & Evren, die wir ja vom Mid-Term-Meeting kannten), Bulgarien, Rumänien, Italien und der Türkei kamen, war an sich nicht so der Hit – wir haben eher wenig gelernt, es ging um Youth Policy, aber da viele Teilnehmer später ankamen als erwartet und auch das Programm nicht so gut vorbereitet schien, war es arbeitstechnisch eher ein Reinfall, obwohl ich viele Einblicke in internationale Jugendarbeitspolitik bekommen habe (vor allem auf EU- und UN-Ebene).
Der Aufenthalt in der Türkei war schön, aber doch vermisste ich mein kleines Estland – ich wollte liebend gerne zurück nach Tallinn. Auch wenn ich bei 15 Grad Celsius mein Gesicht der Sonne entgegen strecken konnte – Schnee wäre auch gut gewesen! Mein kleines „Heimweh“ kompensierte aber das Rahmenprogramm: Ich glaube, bei der Stadtrallye, die wir gemacht haben, habe ich sämtliche Kebabsorten kennen gelernt, und weiß jetzt, wie sie zubereitet werden: Adana, Iskender, Döner…! Zu gerne hätte ich einen nach Estland entführt. Ein letztes Mal genoss ich die kulinarischen Spezialitäten am Busbahnhof in Bursa am Donnerstagabend, bevor Marjon und ich die Rückreise antraten. Wir fuhren mit dem Bus um 21.30 Uhr nach Istanbul, von dort weiter mit dem Shuttlebus zum Flughafen. Da die Busse so unpassend fuhren, hatten wir noch ewig Zeit auf dem Flughafen, und das mitten in der Nacht. Wir versuchten zu schlafen, wenig erfolgreich und schrieben stattdessen lieber Postkarten, lachten und kauften überteuerte Getränke.
Dann in Frankfurt der Schock.
Frankfurt
Angekommen in Frankfurt erwartete uns Schnee. Unser Flugzeug ließ uns schon eine Stunde warten, bis wir endlich boarden konnten, aber dann kam es noch besser. Wir warteten auf dem Parkplatz aufs Starten – erst eine Stunde, dann eineinhalb Stunden, dann zwei, bis irgendwann der Stewart ansagte, dass die Flughafen-Administration beschlossen hatte, heute keinen einzigen Flug mehr starten zu lassen. Die Passagiere von 120 Flugzeugen, die auf dem Rollfeld warteten, musste mit nur 20 Bussen irgendwie zurück zum Terminal transportiert werden! Also hatten wir noch genug Zeit, ausgiebig zu essen, zu trinken (es gab sogar Wein, Danke, Lufthansa!) und uns mit den Piloten anzufreunden, so dass wir eine ausgiebige Cockpit-Tour machen konnten, inklusive Probesitzen und –lenken.
Dann begann der Spaß aber erst richtig: Im Terminal angekommen mussten wir anstehen – zunächst zweieinhalb Stunden, um auf den nächsten Flug am Samstag umgebucht zu werden, dann um für die Nacht einen Hotel-Voucher zu bekommen. Die Schlange war aber leider geschätzte drei Kilometer lang, so dass wir entschieden, alles zu boykottieren und uns im völlig überfüllten Flughafen und im völligen überbuchten und wegen Schnee zusammengebrochenem Rhein-Main-Gebiet selbstständig zu machen. Ich rief meine Mama an, die uns dann aus dem Internet ein paar Telefonnummern von Jugendherbergen und Hostels raussuchte, so dass wir nach ewigen Hin und Her, beinahe einem Riesennervenzusammenbruch und großer Frustration abends gegen 23 Uhr (nach insgesamt 38 Stunden ohne Schlaf!) total fertig im Haus der Jugend in Frankfurt ankamen. So passierte es eben, dass wir eine Nacht (Schlaf!) und einen Vormittag (über die Zeil, den Römer und bei den Wolkenkratzern vorbeischlendern) in Frankfurt verbringen konnten, witzig. Am nächsten Mittag sahen wir dann auch alle wieder, die gestern mit uns im Tallinn-Flugzeug saßen, und die Flughafenmitarbeiter erzählten uns, dass sage und schreibe 500 Flüge gestrichen werden mussten. Der Informationsfluss war dementsprechend schlecht, einen Krisenplan gab es nicht, und alles uferte in ein großes Chaos aus. Gut, dass wir uns anders entschieden haben und eine ruhige Nacht verbringen konnten.
Tallinn
Endlich zurück in Tallinn – nur ohne Gepäck. Natürlich war bei dem ganzen Tohuwabohu einiges durcheinander geraten, so dass wir schon den zweiten Tag ohne Gepäck auskommen mussten, nur mit Handgepäck bewaffnet. Es wurde am Abend später nachts um ein Uhr gebracht, eigentlich ein Unding, aber ich war froh, dass die Odyssee endlich ein Ende hatte. Jetzt normalisiert sich alles, ich bin zurück im Schnee und versuche wieder, Routine reinzukriegen. Glaube, das gelingt mir ganz gut und ich kann schon wieder über einiges hier lachen. Da wäre zum Beispiel die verwirrte russische Trolleybusfahrerin, die nicht wusste, an welcher Haltestelle wir stoppten und bei angestelltem Mikrofon laut nachdachte: „Järgmine (Nächste): äh……äh……äh…..äh…..äh…..Koskla (mit russischem Akzent) und der ganze Bus in Lachen ausbrach (was hier schon was heißt).
Es lebe die positive Energie und das Lachen,
bis zum nächsten Mal und Terviseks (Prost!)