EURO 2012 in der Ukraine, Teil II
Mein Tag in Lwiw und die Rückreisen in die Slowakei.
Nach kurzem Warten erschienen meine Mitstreiter, die mir nach der Begrüßung eröffneten, dass es noch keinen Plan für die Rückresie gab. Da man schon einmal im Bahnhof war, wurde gleich nach Zugtickets gefragt. Die Züge bis über die Grenzen waren allerdings restlos ausgebucht. Es gab nur noch einen Zug an die ukrainische Grenze nach Chop, wo meinem Zug die Nacht zuvor die Räder gewechselt wurden, dieser ging um 5:36 am Montagmorgen. Besser als gar nichts, dachten wir uns und kauften drei Tickets, da die ohnehin nicht sehr teuer waren. Der Geld / Strecke-Koeffizient jeglicher Transportmöglichkeiten in der Ukraine ist ein Witz, verglichen mit dem in Deutschland. Das bemerkten wir gleich nocheinmal, denn wir nahmen den Bus um in die Stadt zu kommen. Busfahren ist dort eigentlich nicht sehr kompliziert, wenn man weiß welche Nummer wohin fährt. Woher mein Mitfreiwilliger und sein Bruder wussten, dass wir die 20 nehmen mussten, weiß ich bis heute nicht, dass man einen Bus mit Handzeichen zum halten bringen muss, könnten sie sich bei den Einheimischen abgeguckt haben. Also rein in den kleinen Bus, zwei Hrywnja auf den Teppich neben den Busfahrer geschmissen, der das beim Anfahren einsackte und auch wechselte und dann bis zur Wunschhaltestelle geschwitzt.
Wir gingen noch Einkaufen bevor wir zum Hostel weiterfuhren und vor dem Supermarkt entdeckte ich die erste Kwaszapfstelle. Kwas (KBAC) ist ein Erfrischungsgetränk das aus Wasser, Malz und Roggen (Brot geht wohl auch) durch Gärung gewonnen wird. Da man es nur mit viel Chemie haltbar und transportfähig machen kann, wird es meist frisch angeboten und schmeckt dann auch am besten. Ich veruschte mir also ein Flasche davon zu kaufen, indem ich auf eine der leeren Flaschen zeigte und den fragenden Blick des Verkäufers mit Nicken beantwortete. Als ich dann das herrlich gekühlte Getränk probierte, schmeckte es wie Bier. "Jo, das ist Bier", wurde ich von meinen Mitreisenden bestätigt. Hatte ich also fälschlicherweise Bier gekauft, aber immerhin war es kalt. Das Hostel war frisch renoviert und machte einen besseren Eindruck als das, in dem ich arbeite.
Wir schmiedeten den Tagesplan und machten uns per Bus auf in die Innenstadt zur soganannten Fanzone. Kurz nachdem wir aus dem Bus ausgetiegen waren, entdeckte ich eine weitere kleine Kwastheke, wo ich mir endlich einen halben Liter dieses empfehlenswerten Erfrischungsgetränkes kaufen konnte. Durch einen kurzen Eingangscheck gelangten wir auf das Fanzoneareal, an dessen Ende eine große Bühne stand, auf der sich eine DJane austobte. Überall standen Biertheken und Fressbuden um die sich die die verschieden Fans sammelten, die sich von Zeit zu Zeit gegenseitig fröhlich angrölten. Die Dänen bewiesen dabei Ironie und Sprachgewandtheit und behaupteten lautstark: "Schade Deutschland, alles ist vorbei!" Wir guckten uns etwas um und entschlossen uns dann, in einen nahen Restaurant etwas zu essen. Das nahm viel Zeit in Anspruch, da es brechend voll war. Die Wartezeit und die Hitze ließen uns beinahe in unserem gemütlichen Schattenplatz einnicken, aber meine Borschtschsuppe, die von einer traditionel ukrainisch gekleideten Kellnerin serviert wurde, ließ mich wieder erwachen.
Beim Rathaus befand sich die mobile Fanbotschaft, hier gab es einen Aushang an dem Deutsche, die mit Auto hergekommen waren, freie Rückfahrplätze anbieten konnten. Da ja einer von uns ganz bis Deutschland zurück musste schrieben wir einige Nummern raus. Ich verkaufte dann bei erster Gelegenheit noch meine übrige Eintrittskarte für ein Viertel des Preises. Ich hatte mich leider verschätzt, was den Andrang für dieses Spiel anging, später im Stadion sollte viele Plätze auch leer bleiben. Die mangelnde Begeisterung führe ich darauf zurück, dass man für einen Ausflug in die Ukraine schon ein bischen Abenteuerlust mitbringen muss und das scheint nicht umbedingt eine deutsche Tugend. Dänen waren tatsächlich besser vertreten, wenn man ihre Zahl in Relation zu ihrer Landesgröße betrachtete. Wir gingen zurück zur Fanzone um ein paar Jungs zu treffen, zu denen mein Freiwilligenkollege Kontakt hatte. Die waren schon seit einigen Tagen in der Ukraine unterwegs und wussten wie man ordentlich Stimmung macht. Den umstehenden Publikum wurden international Hits geboten, wie "All you need is Löw", "You can't hurry Löw" oder "I will always Löw you". Zwischendurch wurde mit einheimischen Bier die Kehle geschmiert oder man ließ sich mit Ukraininern ablichten, die alle gerne Fotos zusammen mit den deutschen Fans haben wollte.
Dann wurde uns irgendwann auf dem großen Bildschirm erklärt, wie wir zu den Bussen kommen, die uns zum Stadion fahren und so machten wir uns zusammen mit vielen anderen auf zum Stadion. Bis zum Bus wurde weiter Stimmung gemacht und unseren Gastgebern vorweg schon einmal mit "Ukrajina!"-rufen gedankt. Im Bus konnte man nicht umfallen, da der einfach zu voll war, aber hüpfen geht immer, also gehüpft und gesungen, was die mitfahrenden Ukrainer samt Busfahrer sehr amüsierte. Dann ein kurzer Fußmarsch zum Stadion, dort Fotos vor dem kleinsten und drittteuersten Stadion der EM gemacht, noch ein Bier geholt und ab auf die Tribüne. Eröffnungsshow, Anstoß und während wir die Mannschaft kräftig anfeuerten, werden wir plötzlich von hinten gebeten uns doch bitte zu setzen. Wir suchten uns dann in der Halbzeitpause bessere Sitzplätze, da in unserer Ecke offensichtlich der Hund begraben war. Das Spiel habt ihr ja gesehen, es gibt sicher spannendere Begegnungen, auch weil die Dänen mit ihrem Ausscheiden zufrieden schienen. Ich hatte ehrlich auf ein 5:0 gehofft, naja mit Dänen hat's man ja machen können.
Mittlerweile leicht erschöpft kehrten wir nach dem Spiel in die Innenstadt zurück. Durch die Zeitverschiebung hatte das Spiel erst um 21:45 angefangen und die Stadt war mit Ausnahme der Fans und Milizen schon menschenleer. Wir bekamen einen Tipp für einen Club von einem Deutschen der in Lwiw lebte, entschieden uns aber etwas Essbares zu suchen und saßen kurze Zeit später vor einem Griechen, wo wir eine Pita Gyros aßen und uns das Spiel nocheinmal in der Wiederholung angucken konnten. Danach suchten wir uns ein Taxi, erklärten so gut es ging wo wir hin wollten und fuhren durchs nächtliche Lwiw zu unserem Hostel. Da wir schon um 4:30 wieder los zum Bahnhof wollten, blieb uns nicht viel Zeit. Ich döste ein wenig auf dem Bett, die anderen beiden packten ihre Sachen und duschten. Nach einer knappen Stunde duschte ich dann auch, was mich wieder gut wach machte und ich griff meinen Rucksack, den ich nie ausgepackt hatte, um mit meinem Mitfreiwilligen zum Bahnhof aufzubrechen. Sein Bruder entschied sich nach langem Überlegen dazu, zu schlafen und später mit einer Fahrgemeinschaft zu reisen. Wir verabschiedeten uns von ihm und machten uns im grauendem Morgen auf zum Bahnhof. Wir hatten viel Zeit eingeplant, da es ein gutes Stück bis dorthin war, fanden unterwegs allerdings ein Taxi, das wir nahmen und sparten somit einige Kilometer Fußmarsch.
Im Bahnhof suchten wir nach den Jungs, mit denen wir am Tag zuvor umhergezogen waren. Sie wollten angeblich auch einen Zug am frühen Morgen nehmen und hatten kein Hotel. In der Ukraine ist das nicht schlimm, bemerkten wir als wir die großen Wartehallen nach ihnen durchstöberten. Man setzt sich dort einfach hin und schläft, so wie dort es hunderte taten. Es gibt sogar einen Wartesaal erster Klasse, wo man einen kleinen Betrag entrichten muss. Dafür hat man dann bequemere Bänke und einen Türwächter, der auf Diebstahl aufpasst und gegebenfalls für Ruhe sorgt. Die Jungs fanden wir allerdings nicht, waren vielleicht noch unterwegs in der Stadt. So kauften wir uns noch einen Snack und gingen zum Gleis, wo nach kurzem Warten unser Zug eintraf. Der war beachtlich lang und schon älteren Baujahrs, was mir die Warnung meiner Cheffin über die fehlende Klimatisierung wieder ins Gedächtnis rief. Der Fahrtbegleiter zeigte uns unser Abteil mit offenem Durchgang zu den anderen und Gott sei Dank, es hatte ein Fenster. Nachdem wir unser Gepäck in den Sitzbänken verstaut hatten, machten wir unsere Betten darauf fertig und konnten endlich schlafen. Herrliches Reisen!!!
Kurz vor Chop, unserer Station, wachten wir auf, bekamen Kaffee oder Tee angeboten, lehnten ab und standen dann wie bestellt und nicht abgeholt in diesem Ort in der Nähe des ungarisch-slowakisch-ukrainischen Länderdreiecks. Wir hatten keinen Plan wie es weitergehen sollte, also erstmal nach Zügen erkundigt. Ja gab es in vier bis fünf Stunden wieder. Solange wollten wir natürlich nicht warten und suchten nach Alternativen und fanden einen Busstop vor der Eingangshalle. Busse fuhren von dort jedoch nicht über die Grenzen, wir sahen uns um. Ein paar Milizsoldaten standen vor einem Lokal, in dem um die Mittagsstunden schon Wodka getrunken wurde, bei parkenden Autos standen zwei Männer und unterhielten sich. Die fragten wir, ob sie nicht wissen wie man noch weiter in die Slowakei kommt. Einer erklärte, dass von Uschorod Busse über die Grenze nach Michalovce fahren, wann genau wusste er nicht. Er bot sich auch gleich an, uns für etwas Geld hinzubringen und so sagten wir zu, sollten dort keine Busse fahren, wären wir einfach wieder nach Chop gefahren, Zeit hatten wir ja genug.
Wir verstauten unsere Rucksäcke im Kofferraum und gaben unserem Chauffeur zu verstehen, dass wir auf dem Weg gerne einen Baum aufsuchen würden, die Toiletten im Bahnhof waren nämlich abgeschlossen. Nicht mit einem Ukrainer. Er fuhr uns zu seinem Haus, damit wir seine Toilette benutzen konnten. Bei der Gelegenheit zeigte er uns gleich sein Haus von innen, das er nach und nach fertig baute und war dabei stolz wie Oskar. Zurecht. Von außen konnte man es zwar nicht direkt sehen, aber innen war alles vom feinsten, wenn auch etwas kitschig. Es war noch nicht ganz fertig und so malte er uns mit Händen und Worten, wie er es alles herrichten wollte und wie er es sich dann dort bequem machen kann.
Als wir weiterfuhren unterhielten wir uns noch kurz, um dann nach dem Ortsschild in den Turbomodus zu wechsel: Russischen Radiosender voll aufgedreht, Fenster unten und mit gut 100 Sachen an Eselgespannen und Kuhherden vorbei. Kurze Zeit später waren wir dann in Uzhorod am Busbahnhof, wo unser Fahrer für uns nach Verbindungen fragte. Knapp zwei Stunden später sollte ein Bus über die Grenze nach Michalovce gehen. Ich sah es als beste Gelgenheit für mich Richtung Banská Bystrica zu kommen, mein Mitreisender entschied sich jedoch dazu, sich von unserem Fahrer nach Ungarn bringen zu lassen, da dort auch früher Züge nach Budapest fuhren und man von dort dann einfacher nach Bratislava kommen kann. Unsere Wege trennten sich also auch, nachdem mir unser hilfsbereiter Fahrer ein Busticket gekauft hatte.
Ich suchte in einem nahem Kaffee nach Schatten, Kwas und einem Mittagssnack wobei ich mein Buch weiterlas. An meinen Nebentisch geselten sich kurze Zeit Später vier Männer, die ich nach ein wenig Lauschen als Slowaken identifizieren konnte. Ich beendete mein Kapitel und legte mir ein paar Worte zurecht um sie zu fragen, wohin sie reisen und ob sie wüssten, wie gut man von Michalovce Verbindungen nach Košice kommt. Sie sahen erstaunt von ihrem zweiten bis dritten Bier zu mir auf und erklärten, dass sie auf den Weg nach Kiew seien. Sofort wurde ein Stuhl rangezogen, ein neues Bier bestellt und ich zum sitzen aufgefordert. Sie kämen aus Michalovce, die Verbindungen nach Košice seien gut und dann musste ich ihnen natürlich gleich erklären, warum ich Slowakisch spreche und was ich hier so alleine treibe. Die Typen waren auch unterwegs um sich ein Fußballspiel anzugucken und erzählten, dass sie solche Reisen öfters unternemen würden. Nach zwei weiteren Bier, die ich auf gar keinen Fall mit meinem letzten ukrainischen Geld bezahlen durfte, musste ich mich plötzlich schnell verabschieden und zum Bus eilen.
Im Bus war es dem Wetter entsprechend heiß und auch ziemlich leer, mir drückte beim losfahren schon vom Bier die Blase. Nachdem wir kurz alle vom slowakischen Zoll gecheckt wurden, konnte ich mich dort glücklicherweise erleichtern und und mich wieder in den Bus setzen. Der Busfahrer kam wieder, übergab wie selbstverständlich zwei Wodkaflaschen einer älteren Dame und fuhr uns weiter durch Dörfer, in denen Schilder tatsächlich wieder in lateinischen Buchstaben geschrieben waren. In Michalovce entdeckte ich direkt nach dem Aussteigen einen Bus nach Košice und erwischte ihn gerade noch an der Ausfahrt des Busbahnhofs. In der zukünftigen Kulturhauptstadt Europas stellte ich fest, dass der Bus, der mich direkt nach Banská Bystrica bringen konnte, erst drei Stunden später fuhr. Also brachte ich meinen Rucksack ins Gepäcklager im Bahnhof und ging 5 Minuten in die Innenstadt Košices, von der ich bis dahin viel Gutes gehört hatte.
Die Herz der Innenstadt ist eine lange Straße, die in ihrem mittleren Teil eine Elipse um die Michaels-Kappele, das Staatstheater und den Elisabeth-Dom bildet. Die drei Gebäude sind mit schönen Parkanlagen eingefasst, wo man nach dem Stadtbummel entspannt ein Eis auf einer Bank schlabbern kann. Der Elisabeth-Dom, die größte Kirche der Slowakei, war leider in ein Gerüst gehüllt, was dem Charme der Innenstadt allerdings keinen Abbruch tat. Die kleinen Geschäfte entlang der Straße wechseln sich mit Kaffees oder Bars ab, die ordentlich Tische und Stühle auf die Straße geschmissen haben, wo jeder seinen Feierabend bei einem Bierchen genießen kann. Ich bummelte die Straße auf einer Seite rauf und an der anderen wieder runter und erbeutete dabei einen Döner, ein Eis zum Nachtisch, ein neues Capo für meine Gitarre und mein erstes slowakisches Buch, ein Sammlung von Kurzgeschichten slowakischer Autoren. Ich war also gut zufrieden, als ich meinen Rucksack abholte und in den Nachtbus nach Prag stieg, der mich gegen elf Uhr in Banská Bystrica absetze. Ich war zwar erst spät aufgewacht, aber als ich nach einem kurzen Nachtspaziergang wieder im Hostel war, fiel ich ins Bett wie ein Stein.
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