Englands strahlende Zukunft 2/2
Im ersten Teil dieses zweiteiligen Artikels haben wir uns mit dem Problem der Endlagerung beschäftigt. Nun wollen wir die britische und deutsche Position zum Atomstrom vergleichen und die Details des Deals betrachten.
Deutschland hat sich nach dem GAU in Fukushima, dessen Folgen bis heute noch lange nicht behoben sind, von der Atomkraft verabschiedet – der Abschied vom Abschied vom Abschied wurde vollzogen, da unter der Regierung Merkel die Laufzeit für die Reaktoren in Deutschland zunächst verlängert worden ist. Anders in England, meiner Heimat seit Juli diesen Jahres, wird im Moment zwei neue Atomkraftwerke geplant. Die Anlagen sollen rund 16 Milliarden Pfund kosten. Gebaut werden die Reaktoren von dem französischen Engeriekonzern Areva, einer der größten Engeriekonzerne weltweit. Die Finanzierung soll ein Konsortium aus dem britischen Energiekonzern EDF und zwei chinesischen Firmen, im Moment laufen noch Gespräche mit weiteren interessierten Investoren.
Die “FAZ”, einer der größten deutschen Tageszeitungen, begleitet dieses Projekt eher skeptisch, aber zustimmend. So schreibt Jochen Buchsteiner, politischer Korrespondent in London, beispielsweise: “Die Kritik, die dem Projekt entgegenschlägt, ist eher schwach, und wo sie aufflackert, nimmt sie nicht die Sicherheitsrisiken in den Blick, sondern die Abhängigkeit von Frankreich und China sowie mögliche Gefahren für den Geldbeutel. (...) Mit Sorge wird eher gesehen, dass Großbritannien, das Mitte der Fünfziger Jahre den ersten westlichen Nuklearreaktor ans Netz anschloss, heute nicht mehr in der Lage ist, Meiler aus eigener Kraft zu bauen.” Buchsteiner führt weiter an, dass er niedrigere Kosten für den aus nuklearen Ressourcen produzierten Strom erwartet, und er durch die Energiewende verursachte steigende Stromkosten prognostiziert.
Aber sind wirklich niedrigere Kosten für die Verbrauer zu erwarten? Der Strompreis für die Schwerindustrie und Großverbraucher ist jetzt schon niedriger als der Preis, den Privat- und Kleinabnehmer zahlen. Außerdem gibt es einen staatlichen garantierten Garantieabnahmepreis für 35 Jahre. EDF, ein französischer Energiekonzern der auch unter anderem das London Eye sponsert, soll etwa 100 Pfund pro Megawattstunde bekommen, diese Summe entspricht etwa dem Doppelten des heutigen Preises für eine Megawattstunde. Der Bau der Anlagen wurde unter anderem mit sinkenden Energiepreisen begründet. Aber wie kann der Strompreis für den Verbraucher sinken, wenn der Staat einen doppelten so hohen Preis dem Energiekonzern garantiert? Die Opposition hier in Großbritannien ist skeptisch und vermutet, dass die Staatsschatulle herhalten muss, was wiederum aber auch den Verbraucher als Steuerzahler belastet.
Doch wenn der Strompreis staatlich subventioniert werden sollte, ist keine natürliche Wettbewerbssituation mehr gegeben. Der subventionierte Strom hätte einen unschlagbaren Wettbewerbsvorteil. Darüber hinaus gibt es kein Energiekonzern der die Prämie für eine Vollkasksoversicherung für AKWs zahlen könnte. Ohne staatliche Garantiezusagen und der „Pariser Konvention“, welche die Haftungsregelungen im Schadensfall beinhaltet, könnte kein Konzern seine Reaktoren ökonomisch effizient betreiben. Die „Pariser Konvention“ sieht eine maximale Deckungspflicht von 700 Millionen Euro vor. Wenn man von einem „GAU“ wie in Tschernobyl oder Fukushima ausgeht, sind 700 Millionen Euro schnell ausgegeben. Evakuierungen, Rettungsdienste, Schadensersatzforderungen, Pensionen für Strahlenopfer etc. In diesem Fall springt dann der Staat helfend zur Seite. Ähnlich verhält es sich mit der Entsorgung bzw. Zwischenlagerung von Brennstäben.
Trotz aller Risiken die Kernenergie offensichtlich hat, begrüßt „The Independent“, eigentlich eine kritische und nachdenkliche Zeitung, die Renaissance: „Twenty years too late, but better late than never.“ Doch mir stellt sich, neben der ungeklärten Finanzierung des staatlichen Garantieabnehmepreises, die Frage der Entsorgung der abgekühlten Brennstäbe. Es gibt bis heute kein sicheres Endlager für diesen Abfall, die oftmals Jahrzehnte langen Halbwertszeiten – wie beispielsweise bei Plutonium-239 24.000 Jahre - stellen die Physiker vor große Probleme. Allein in Deutschland entstehen jedes Jahr rund 280m3 Atommüll.
Laut deutschem Recht sind in Deutschland die Betreiber verpflichtet, für die Endlagerung aufzukommen. Die Rücklagen beliefen sich 2009 auf 28 Milliarden Euro. Allein die Erforschung ob ein Salzstock als mögliches Endlager in Frage kommt kostet mehrere Milliarden Euro. Zur Entsorgung gehört eigentlich auch der sichere Transport vom Reaktor über die Wiederaufbereitungsanlage zum Endlager. Diese Kosten für einen Transport liegen unter Berücksichtigung der Kosten für den Polizeieinsatz etc. bei rund 50 Millionen Euro und werden vom Steuerzahler getragen. Wenn man diese genannten Punkte alle betrachtet kann man von einer „impliziten Subventionierung“ der Atomenergie sprechen. Diese Frage ist in England noch nicht abschließend geklärt, da es noch gar keine große Diskussion über die Entsorgung bzw. Endlagerung gibt.
Mit dem Bau von AKWs liegt eine klassische Dilemma Situation vor: Es gibt keinen, der diese Reaktoren in seiner unmittelbaren Nachbarschaft haben will. Aber auf der anderen Seite gibt es keinen, der Windkrafträder vor seiner Haustür duldet.
Ökonomen gehen von rund 25.000 neuen Jobs aus, die durch den Bau der Kraftwerke entstehen können. Zum einen wird neues Personal direkt im Kraftwerk gebraucht, Ingenieure, Physiker, Verwaltungs- und Sicherheitsangstellte. Diese neuen Angestellten brauchen alle Wohnraum und Einkaufsmöglichkeiten, wollen in ihrer Freizeit vielleicht abends Essen gehen oder im Urlaub verreisen. Zum anderen profitieren indirekt auch andere Wirtschaftssektoren von dem Bau. Wenn der Energiepreis dadurch wirklich sinken sollte, gehen in der Folge die Preise für andere Güter und Dienstleistungen ebenfalls runter bzw. der inflationsbedingte Anstieg fällt moderater aus. Niedrige Energiepreise heizen einen wirtschaftlichen Boom an.
Positiv hervorgehoben werden muss darüber hinaus, dass diese zwei neuen Reaktoren alte, störanfällige Reaktorblöcke ablösen müssen.
„The Independent“ verteidigt den Bau von den beiden neuen Reaktoren mit weiteren Argumenten, die man zwar widerlegen kann, aber dennoch beachten muss:„The very worst nuclear disaster in history killed fewer than 100 people directly and will probably lead to the indirect (and unmeasurable) premature deaths of a couple of thousand more, mostly from cancer. This was bad, but compare it to the hundreds of thousands killed by coal-fired plants, from air pollution and mining accidents, and the millions more expected to die as a result of climate change, largely brought about by burning fossil fuels. Nuclear is, of course, an almost carbon-neutral form of power generation and, wind aside (which is insanely expensive), probably the safest.“ Trotzdem stellt sich die Frage, ob die Anzahl von Menschenopfer durch die Energieerzeugung einfach so gegeneinander aufgerechnet werden darf. Die Folgen von Tschernobyl sind heute außerdem immer noch sichtbar, jedes Jahr besuchen Schulklassen aus den verstrahlten Gebieten Lüneburg für einige Wochen, um sich dort zu erholen. Viele Neugeborenen haben heute, gut 20 Jahre nach dem Unglück, noch Strahlenschäden wie verformte Hände oder Füße oder wuchernder Geschwüre.
Noch bleibt offen, wie sich die Öffentlichkeit in Großbritannien positioniert, möglicherweise ist die „German Angst“ unbegründet, vielleicht aber auch nicht. Ist es das Risiko wert?