Einsatz am Kardon
Kurz nach meiner Rückkehr musste ich gleich ans Kardon, um dort einen Inspektor zu vertreten, der wegen Alkoholkonsums nicht mehr arbeitsfähig war.
Mittwoch, 1.12.2010:
Am gestrigen Tag meinten Vera und Susan, dass man fürs Wochenende noch Jemanden suchte, der am Kardon (die Rangerhütte 10 Kilometr außerhalb von Esso mitten in der Natur) den wegen Krankheit ausgefallenen Inspektor vertritt.
Ich befürchtete also, dass Igor Anatolewitsch mich am Wochenende ans Kardon schicken würde, wozu ich recht wenig Lust hatte, denn ich wollte mal wieder ein volles Wochenende zu Hause verbringen. Als Igor dann auf mich zukam ahnte ich übles. Ich hatte aber noch mal Glück gehabt: Er teilte mich nur zum Schneeschippen ein. Darüber war ich sogar froh, denn dann wusste ich wenigstens, was ich tun konnte. Kurz nachdem ich damit fertig war kam Igor, der gerade von einer Kontrollfahrt zum Kardon zurückkam, mit der Aussage: “David, wir haben ein Problem” auf mich zu. Jetzt musste ich aber sicher dran glauben, zweimal konnte das nicht gut gehen. Und tatsächlich sagte er, dass man Jemanden fürs Kardon brauchte und ob ich nicht Zeit hätte. Allerdings nicht erst fürs Wochenende, sondern jetzt sofort.
Nach einer kurzen Rückbesprechung mit Vera und Susan (es musste alles schnell gehen) einigten wir uns darauf, dass ich heute losfahren würde und bis Freitag dort bleiben würde, dann würde mich aber irgendjemand ablösen (notfalls Vera und/oder Susan selbst), damit ich am Wochenende wieder daheim wäre. Denn Susan und Vera zeigte vollstes Verständnis dafür, dass ich mal wieder ein Wochenende zu Hause wollte.
Nachdem Mascha mir noch gesagt hatte was für Ausrüstungsgegenstände ich fürs Kardon brauchte und mir so noch ein paar Tipps gab, zog ich los um mir schnell den Proviant und die Ausrüstungsgegenstände wie Kerzen und Batterien, für die zweieinhalb Tage Kardon zu kaufen.
Danach fuhr mich Igor Anatolewitsch zur Baßa, dort klaubte ich schnell meine Klamotten zusammen und packte meinen Rucksack, dann schnell noch etwas Essen und warten bis Igor wieder kam und mich ans Kardon fuhr. Er kam dann wie immer zu spät (30 Minuten). Aber ca. 2 Stunden nachdem ich erfuhr, dass ich ans Kardon musste saß ich auf dem Schneemobil und wurde ans Kardon gebracht.
Im Park hatte ich von Judith noch erfahren, warum plötzlich jetzt schon eine Vertretung am Kardon gebracht wurde: Eigentlich sollte Walodja, der dort gerade Vertretungsdienst hatte, noch bis zum Wochenende bleiben. Allerdings hatte man ihn am Morgen komplett besoffen und arbeitsunfähig am Kardon vorgefunden. Deshalb brauchte man schnellstmöglich einen Ersatz.
Ich musste also einen wegen Alkohol ausgefallenen Inspektor ablösen.
An dieser Stelle möchte ich mal kurz etwas zum Thema Alkohol in Russland sagen:
Vor meiner Abreise wurde ich von vielen Leuten gewarnt, dass die Leute dort viel trinken würden. Als mich meine Mutter nach ca. 2 Wochen Kamtschatka fragte, wie es denn hier tatsächlich um den Alkohol steht und ob die Leute hier tatsächlich soviel trinken würden meinte ich noch, dass das nicht so schlimm wie befürchtet sei. Die Russen (damit meinte ich die Inspektoren die ich bis dahin kannte, Walodja war da noch im Urlaub) wären meistens Antialkoholiker, zwar gäbe es auch einige die Alkohol konsumieren, aber die einzigen mit denen ich mal ein Bier oder andern Alkohol konsumierte waren die deutsche Volontäre.
Inzwischen muss ich diese Aussage allerdings zurücknehmen. Mir ist doch schon öfter ein Besoffener/eine Besoffenen über den Weg getorkelt und ich habe einige Geschichten gehört über die Leute hier. Daraus muss ich leider schließen, dass der Alkohol hier doch ein großes Problem darstellt und einige Personen Alkoholiker sind, teilweiße auch Leute, die ich bereits kennen gelernt habe.
Der Fall mit Walodja war mein bisher krasseste Erlebnis was den Alkohol hier angeht. Vielleicht auch nur deshalb, weil es mich direkt betroffen hat.
Als wir (das waren Igor Anatolewitsch der Direktor, Pjotr Petrovitsch und Alexander (Inspektoren) und Ich) am Kardon ankamen, konnte ich dann sehen, warum man Walodja ablösen musste. Ihm selbst sah man an, dass er in den letzten Tagen zu viel Alkohol getrunken hatte, er war einfach fertig, kaum fähig zu denken und seine Sachen zusammenzupacken. Die Kardonhütte selbst sah wie eine Müllhalde aus. Überall standen Essensreste herum, die Schnapsgläser und der Wodka standen auch noch auf dem Tisch, beinahe das gesamte Geschirr war total verdreckt und seit langem nicht mehr gewaschen worden.
Nachdem Igor dann ein ernstes Gespräch mit ihm geführt hat und ihm einen Vertrag hinhielt (später erfuhr ich, dass dieser Vertrag wie vermutet Walodjas Kündigung war) trieben ihn die Männer zum Einpacken, es brachte allerdings ein Weile bis er das geschafft hatte. Den Inspektoren war anzumerken, dass sie ziemlich genervt waren von der Situation. Als letztes suchte Walodja dann seine Mütze, er fand sie nicht und ging ohne, natürlich erst nachdem er seinen Rucksack, den er beinahe vergessen hätte, noch geholt hatte.
Nachdem die Männer Walodja dann auf den Schlitten gesetzt hatten und abfuhren wollte ich erstmal Feuer im Ofen machen, da es hier draußen ja weder Strom noch fließend Wasser gibt und es nur warm wird, wenn der Ofen angeheizt wird. Als ich dann die Ofentür öffnet sah ich verdutzt in den Ofen. Mit einem zweiten Blick erkannte ich dort Walodjas Mütze. Scheinbar musste er sie in seinem Rausch in den Ofen geschmissen haben.
Ich holte die Mütze dann aus dem Ofen, da sie nun eh schon angeschmort war, verwendete ich sie zum öffnen der heißen Ofentür.
Für meinen ersten Feuerversuch benötigte ich noch fünf oder sechs Streichhölzer, erst als ich dann etwas trockene Birkenrinde als Zunder verwendete brannte das Feuer dann. Es ist halt doch etwas schwieriger, ein Feuer ohne die Luxusausstattung wie Feuerzeug, Zündwürfel oder Ähnliches zu entfachen. Für die nächsten Anfeuerungen habe ich dann aber auch schon deutlich weniger Streichhölzer gebraucht, weil ich dann gleich zur Birkenrinde gegriffen habe.
Nachdem das Feuer dann entzündet war begann ich erstmal damit die Hütte wieder einigermaßen aufzuräumen und mein Nachtlager zu richten. Alles natürlich schon im Halbdunkel, da es hier Strom nur aus einem Akku gibt, welcher über Sonnenkollektoren aufgeladen wird aber schon wieder recht schnell entladen ist. Andere Lichtquellen sind dann die Taschenlampe, Petroleumlampen oder Kerzen.
Fließend Wasser gibt es am Kardon nur im kleinen Fluss vor der Hütte. Von dort muss man dann mit dem Eimer Wasser holen. Das Plumpsklo befindet sich draußen hinter der Hütte.
Als ich dann einigermaßen aufgeräumt hatte, war es bereits Stockfinster und ungefähr 18 Uhr. Die restliche Zeit des Abends verbrachte ich dann mit Abendessen, Essen für die Katze und den Hund, die am Kardon leben, zu machen und vor allem mit nachdenken und warten. Denn viel kann man nicht machen, wenn man alleine in einer Hütte sitzt, in der es kein Licht gibt. (Es gibt zwar die Petroleumlampen und die Kerzen, aber die reichen für ein Dämmerlicht) Man kann sich noch den Sternenhimmel anschauen, der hier wirklich gut aussah, da es kein störendes Licht gab. Aber nach einer Weile wird dass auch langweilig. Um ca. 21.15 beschloss ich dann ins Bett zu gehen und hoffte, dass ich durchschlafen würde bis es hell war.
Donnerstag, 2.12.2010:
Nach dem Frühstück zog ich mich erstmal warm an und ging Schneeschippen. Nachdem dies getan war fing ich damit an einen Haufen Brennholz unter einem Vordach aufzustapeln.
Zwischendurch kam noch Pjotr Petrovitsch vorbei und setzte einen Touristen ab, der hier in der Nähe ein paar Fotos schießen wollte. Nach einem Tee fuhr er dann wieder zurück und nutze dass Tageslicht erstmal zum lesen. Holz stapeln konnte ich auch noch, wenn es in der Hütte schon recht war, draußen aber noch dämmerlicht war.
Neben Lesen und Holzstapeln räumte ich noch in der Hütte weiter auf. Es standen noch immer verdreckte Töpfe herum und der Herd sah total verdreckt aus.
Außerdem schnallte ich mir zum ersten mal in meinem Leben Ski an die Füße. Igor Anatolewitsch hatte mir extra noch welche auf das Schneemobil geladen, damit ich am Kardon mal das Skifahren ausprobieren kann. Die Ski waren Jagski, das heißt, dass die Jäger hier verwenden, um im Winter auf die Pirsch zu gehen. An der Unterseite haben diese Ski einen Fellstreifen befestigt. Der dient als Bremse, wenn man den Hang hoch fährt. Denn dann stellen sich die Haare auf und bremsen. Bewegt man sich vorwärts legen sich die Haare wieder hin und man kann wieder über den Schnee gleiten.
Da es für mich das erste mal war, dass ich auf Skiern stand, klappte es natürlich nicht wirklich gut, ich hatte auch niemanden, der mir erklärt, wie man Ski fährt. Außerdem hatten diese Ski eine sehr einfache Bindung. In die schlüpft man einfach mit dem normalen Stiefel rein, so Hightech - Bindungen mit dazugehörigem Skistiefel gibt es hier selten. Nach etwa 30 Minuten beendete ich meinen Skiversuch.
Abends, als es wieder dunkel war, konnte ich wieder nur dasitzen und mir Gedanken über Gott und die Welt machen. Auch heute ging ich gegen 21.15 Uhr ins Bett, obwohl ich noch nicht sonderlich müde war.
Freitag, 3.12.2010:
Auch heute morgen schippte ich erstmal Schnee. Da ich bereits gestern alles Holz aufgestapelt hatte, gab es für mich nichts mehr zu arbeiten und ich legte mich aufs Bett und las. Für ein paar Minuten suchte ich auch den Berghang auf der anderen Talseite mit dem Fernglas nach etwas Interessantem ab, vielleicht irgend ein Tier. Gesehen habe ich nichts, ich habe es eigentlich auch nicht erwartet, aber wenn es einem langweilig ist, macht man halt solche Dinge.
Gegen 14 Uhr kam dann Pjotr Petrovitsch mit Vera auf dem Schneemobil angefahren und ich wurde abgelöst. Nachdem ich Vera noch ein paar Dinge erklärt hatte, die sie zu beachten hatte und meine Sachen auf dem Schneemobil verstaut waren, ging es für mich wieder zurück nach Esso.
Gegen 15.30 Uhr kam ich dann wieder im Parkgebäude an. Um 16 Uhr gab es dort noch einen Vortrag über die verschiedenen Waldarten Kamtschatkas von einem Experten aus Petropavlovsk.
Als ich dann wieder in der Baßa war erfuhr ich, dass Sergej momentan auf dem Sofa schläft, da in unserem Zimmer der Waldexperte übernachten würde.
Warum warten jedes Mal, wenn ich nach ein paar Tagen Abwesenheit wieder nach Hause komme, irgendwelche unangenehmen Überraschungen auf mich?
Warum Sergej auf dem Sofa schlief kann ich nur vermuten. Wahrscheinlich wollte er dem Gast ein Einzelzimmer anbieten, denn Platz für drei hätten wir in unserem Zimmer.
Diese Gastfreundlichkeit ist ja schön und gut, vielleicht etwas übertrieben, aber ich sah nicht ein, dass ich mein Zimmer räumen sollt und irgendwo im Schlafsack schlafen sollte.
Oder würdet ihr euer Schlafzimmer räumen, wenn ihr Nachhause kommt und dann plötzlich ein Gast eures Vermieters, den ihr (ich meine den Gast) überhaupt nicht kennt, da steht und sagt, das euer Vermieter sagte, dass er, der Gast, hier übernachten kann?
Wieder etwas genervt von der Situation hier ging ich dann ins Bett. Vielleicht war ich auch nur genervt, weil ich nicht wusste, was ich zu tun habe, vielleicht gehört es sich ja in Russland so und Sergej hält mich jetzt für einen absolut unhöflichen Menschen, dabei bin ich nur Deutscher.
Wochenende, 4. und 5.12.2010:
Das Wochenende, das ich endlich mal wieder komplett zu Hause verbrachte, nutzte ich vor allem, um dieses Tagebuch wieder auf den aktuellen Stand zu bringen, zu kochen, Wäsche zu waschen und halt liegengebliebene Dinge der letzten Zeit erledigen.
Am Samstag erfuhr ich auch, dass der neue russische Volontär Kostja am 14.12. kommen würde. Ich werde wahrscheinlich mit Vera nach Petropavlovsk fahren (naja, schon wieder, aber diesmal aus erfreulicheren Gründen), um ihn dort abzuholen.
Am Samstag Abend fand noch die Abschiedsfeier von Kay statt. Kay, der für zwei Monate hier war, um einen Dokumentarfilm für seine Abschlussarbeit in visueller Anthropologie zu drehen, verlässt uns am Montag wieder.
Am Sonntag Vormittag stand noch ein gang zum Bassin an. Es ist echt toll, das warme Bassin. Man kann da echt oft hingehen, zumal es nichts kostet. Ansonsten stand noch Erholen auf dem Plan und ein Internettelefonat mit meiner Familie.
So jetzt habe ich es geschafft, ich bin wieder auf aktuellem Stand mit meinem Tagebuch. Ich bin schon gespannt, was mich nächste Woche erwartet.
Bis dahin macht’s gut und einen schönen Nikolaustag
David