Eine verrückte Zeitreise nach Nowa Huta
Nowa Huta, die sozialistische Vorstadt von Krakau, wird sogar von vielen Krakauern selbst gemieden. Doch die Crazy Guides bieten inzwischen sehr populäre Touren in originalen Trabis an. Kommt also mit auf eine Zeitreise in den Kommunismus!
In Krakau muss man sich zum Sightseeing nicht auf seine eigenen Füße verlassen: es gibt die weißen Kutschen auf dem Rynek, die üblichen Busse oder kleine elektrische Wägelchen, die bis zu Schindlers Fabrik fahren. Doch von einem röchelnden Trabant am Hotel eingesammelt zu werden, ist etwas Besonderes. Fleißig kämpft sich der schwarze Trabi durch den Feierabendverkehr aus der prächtigen Altstadt hinaus.
Unser „Crazy Guide“ gibt uns schon eine kleine Einführung in das Auto und die Geschichte, die er selbst auch mehr aus den Erzählungen seiner Eltern kennt. Achteinhalb einsatzbereite Autos (der Trabant erwies sich als verlässlicher als der Polski Fiat) kutschieren regelmäßig neugierige Touristen in die sozialistische Planstadt. Aus einer zufälligen Führung für amerikanische Bekannte hat „Crazy Mike“ – wie seine Mitarbeiter ihren „Großen Führer“ nennen – ein erfolgreiches Geschäftsmodell gemacht.
Vorbei an grauen Plattenbauten aus den 60er und 70er Jahren geht es direkt ins Zentrum von Nowa Huta. Als eigene Stadt gegründet, sollte die „Neue Hütte“ ein Musterbeispiel sozialistischer Planung sein – schöne neue Wohnungen für die fleißigen Stahlarbeiter. Die Siedlung wurde in der stalinistischen Sowjetzeit am Reißbrett entworfen und auch fast jedes geplante Gebäude steht heute. Nur anstelle des Rathauses, welches dem Warschauer Kulturpalast ähneln sollte, befindet sich eine kleine Grünfläche. Das Kulturzentrum am Plac Centralny fiel wesentlich kleiner aus, ist dafür heute noch ein aktives Zentrum für die lokale Bevölkerung. Der Platz ist inzwischen nach Ronald Reagan benannt. Auch sonst sind die meisten Spuren sozialistischer Preisung verschwunden. Die neun Meter hohe Leninskulptur ist inzwischen nach Schweden verschickt, in einen kitschigen Vergnügungspark für sowjetische Nostalgie. Früher war sie der Anziehungspunkt in der prachtvollen Rosenallee. Sommers wie winters blühten hier – natürlich – rote Rosen. Diese Aussicht konnte man insbesondere aus den Wohnungen im ersten Stock genießen. Dort sind Decken und Fenster etwas höher – so mancher Partei-Funktionär war dann doch noch gleicher. Später bietet sich uns noch die Gelegenheit in so eine originale Wohnung hineinzuschauen, doch nun betreten wir erst mal eine Eckkneipe, die noch im sozialistischen Chic eingerichtet ist. Ein Mini-Lenin aus Bronze grüßt die Besucher. So früh am Nachmittag gibt es hier zwar wenige Gäste, aber unser Guide versichert uns bei einem Shot Kirschwodka, dass es hier abends noch immer legendäre polnische Tanzpartys gibt. Sonst hat sich das Leben mit dem Niedergang der Stahlwerke stark verändert. Viele Kinos und Kindergärten wurden geschlossen. Dafür hat sich die Luftqualität eindeutig verbessert. Nur noch die schmutzig-grauen Fassaden zeugen von den ungeheuren Smogwolken, die die Wladimir-Lenin-Stahlhütte früher ausspuckte.
Das ist auch die nächste Station, an die uns der treue Trabi bringt. Der Eingang zeugt noch von den Glanzzeiten als hier über 40.000 Arbeiter beschäftigt waren. Rechts und links befinden sich zwei burgähnliche Gebäude, die im Stil des sozialistischen Realismus Elemente der Tuchhallen nachahmen. Früher füllte die Verwaltung der Hütte alle Büros. Heute stehen die meisten leer, ironischerweise sind einige an eine Bank vergeben. Das Hüttengelände selbst ist im Privatbesitz einer Firma, die weniger als ein Zehntel von der ursprünglichen Mitarbeiterzahl beschäftigt. Der alte Namenszug, den wir bereits bei unserer Anfahrt erblicken, ist noch erhalten. Mit der Leninskulptur aus der Rosenallee verschwanden auch alle weiteren Hinweise auf den kommunistischen Führer. Nun ist die Hütte nach dem polnischen Ingenieur Tadeusz Sendzimir benannt.
Das Stahlwerk war nicht nur des Namens wegen der Mittelpunkt von Nowa Huta – die Stadt wurde einzig und allein für dieses kommunistische Prestigeprojekt errichtet. Ein paar Dörfer mit Holzkapellen prägten vorher die ländliche Umgebung vom kreativ-widerspenstigen Krakau. Weder Kohle noch Stahl sind hier eigentlich zu finden, aber so nah an der alten Königsstadt sollte der Sozialismus in seiner Idealform gelebt werden.
Viele Architekten beteiligten sich an dem Projekt und so findet man kein Haus, das genau dem anderen gleicht. Sie sind alle nicht besonders hoch, keine kommunistischen Plattenbauten, die sofort vorm inneren Auge erscheinen, wenn man an Wohnungen im Ostblock denkt. Die Straßen sind mit Bäumen gesäumt und die Hofanlangen wirken familienfreundlich. Nur eines fehlte: Nowa Huta trug den Beinamen „Stadt ohne Gott“. Denn im idealen Sozialismus gab es die Kirche nicht mehr. Nowa Huta mag zwar von folgsamen Stahlarbeitern bevölkert gewesen sein, aber es waren noch immer Polen. Und untrennbar mit dem Polentum verbunden ist die katholische Kirche. Sie kämpften für ihren Gottesbau unermüdlich bis Papst Johannes Paul II. sie schließlich in den 70er Jahren einweihen konnte. Heute gibt es mehrere Kirchen, auch um die dörflichen Holzkapellen ist die Stadt gewachsen.
Noch heute ist das eingemeindete Nowa Huta eine der größten Siedlungen in Krakau mit mehr als 200.000 Einwohnern. Viele Familien leben auf bescheidenem Raum, aber früher, als Zentralheizung und warmes Wasser noch private Errungenschaften waren, waren die Wohnungen sehr begehrt. Unsere letzte Station führt uns genau dorthin zurück: in eine kleine Drei-Zimmer-Wohnung mit alten Holzschränken und einem winzigen Bad. Unser Guide versichert, dass sie sie genauso vorgefunden hatten, lediglich ein bisschen Dekoration wurde hinzugefügt, um mehr vom damaligen Alltag zu zeigen. Die Zimmer erscheinen sehr großzügig, aber natürlich ist das Sofa im Wohnzimmer ein ausklappbares Schlafsofa, auf dem die Eltern schliefen, während sich die Kinder und manchmal auch die Großeltern die Schlafzimmer teilten. Wir machen es uns auf dem Sofa bequem und bei einem weiteren Schluck Kirschwodka gibt es zum krönenden Abschluss einen alten Propagandafilm. Die schwarz-weiß Bilder aus den vierziger Jahren zeigen glückliche junge Männer und Frauen beim Bau dieser schönen neuen Stadt. So einiges war gar nicht so geschönt, denn für die Leute aus dem Dorf in einem vom Krieg zerstörten und den Sowjets besetzen Polen, war die Aussicht auf eine eigene Wohnung und eine gute Schule in der Nähe verlockend. Die Begeisterung für russische Lektüre und morgendliche Appelle kommt mir hingegen verdächtig vor. Doch so war wohl das ganze Leben in Nowa Huta: ein bisschen sozialistischer Glanz, viel Industrieschmutz und sehr viele normale Polen, die sich ihr Leben in dieser Unfreiheit einrichteten.