Eine schicksalhafte Begegnung oder keine Angst vor Fremden
Während eines kleinen, spontanen Abstechers nach Prag treffen cocosjuli und ihre Freundin Cathi einen faszinierenden Menschen: Lucien ist nicht nur Sänger und Dichter, sondern auch Weltreisender. Die Begegnung mit ihm hat einen tiefen Eindruck bei cocosjuli hinterlassen.
In den Sommerferien entschied ich mich, der deutschen Luft zu entfliehen, denn ich hatte genug vom rumdümpeln in der Berliner Vorstadt. Ich wollte weg, fremde Kultur erleben und neue Leute kennen lernen. Kurzerhand schnappte ich mir meine liebste Freundin, Cathi, die ich als den offensten und tolerantesten Menschen meines Freundeskreises bezeichnen würde. Als ich ihr erklärte, Kurzurlaub in Prag zu machen, war sie begeistert. Sie warf ihre dunklen Dreadlocks zurück und ihre honiggelben Augen strahlten.
Mit dem Zug ging es in die schönste Stadt der Welt! Bereits als wir durch die tschechische Landschaft fuhren, fühlte ich mich frei und fröhlich, denn „ Praha“ lag vor mir. Wenn ich den Namen der tschechischen Hauptstadt hörte, fielen mir tausend Dinge ein: der Altstädter Ring mit der Teynkirche, dem Rathaus und den vielen, vielen Cafés, das Nationalmuseum am Wenzelsplatz, die Karlsbrücke, die Prager Burg und die, vielen kleinen Geschäftchen, in denen es von typisch tschechischen Souvenirs wie Oblaten und Marionetten bis hin zu indischen Klamotten und Accessoires alles gibt! Auch Cathi freute sich, sie als „Taschenfreak“ wollte unbedingt ein neues Exemplar in einem der Shops erstehen.
Nachdem wir in Prag angekommen waren, ging es quer durch die Stadt mit der Metro zu unserem Hostel. Dort wohnten wir während unseres Aufenthaltes mit einem ungarischen Ehepaar und drei Engländern in einem großen Zimmer. Jeden Tag fuhren wir in die Innenstadt und besichtigten berühmte Orte, gingen shoppen oder setzten uns einfach in einen der vielen Parks, um die Mittagshitze zu verschlafen. Auch eine Tasche bekam Cathi.
Eines Tages beschlossen wir, die berühmte John-Lennon-Mauer zu besichtigen. Fast anderthalb Stunden suchten wir und fanden sie nicht. Als Cathi ein vorbei gehendes Ehepaar nach dem Weg fragen wollte, meinte die Frau nur zu ihrem Mann in breitem Amerikanisch: „ Come darling, she maybe just wants money!“ Cathi war sprachlos und wusste gar nicht, womit sie diese spöttische Bemerkung verdient hatte. Lachend riet ich ihr, sich von unfreundlichen Touristen nicht den Tag verderben zu lassen.
Nachdem wir einige Zeit allein nach der Mauer gesucht hatten und langsam total sauer waren, da wir sie einfach nicht fanden, bemerkte ich einen Mann auf der anderen Straßenseite. Er hatte verfilzte Dreads, zerrissene bunte Kleidung und einen alten, schmutzigen Rucksack. Lächelnd kam er zu uns und fragte, ob er uns helfen könne. Cathi erklärte, dass wir die John Lennon Mauer suchten, und er forderte uns auf, ihm zu folgen. Nach zwei Minuten standen wir direkt davor: eine große, voll gesprayte und voll geschriebene Wand, voll von Wünschen, Sprüchen und Botschaften für einen der besten Musiker aller Zeiten.
Nun stellten wir uns erstmal dem Mann vor. Wir erfuhren dass sein Name Lucien Zell war und er seit vielen Jahren auf der Straße lebte. Er berichtete, in den USA geboren worden zu sein und schon halb Europa bereist zu haben. Doch das war längst nicht alles, was Lucien uns erzählte. Sein „ Hauptberuf“ sei Sänger und Dichter. Er zeigte Cathi ein Buch, was von ihm verfasst wurde, darin standen wunderschöne Gedichte. Außerdem beinhaltete das Buch eine CD, auf der Lucien mit seiner Band über Gott, Liebe und Schicksal, über das Leben und das Zusammenleben der Menschen sang.
Begeistert entschied sich Cathi das Buch, obgleich es Lucien selbst gehörte und schon ziemlich mitgenommen aussah, zu kaufen. Er erzählte uns, dass eine Reihe von Geschäften und kleine Läden seine Bücher verkaufen würden, war aber sofort einverstanden, Cathi sein Exemplar zu verkaufen, da unsere Zeit in Prag fast vorbei war und wir keine Zeit mehr hatten, nach einem der Geschäfte zu suchen.
Zuletzt schrieb Lucien Cathi noch eine persönliche Widmung auf die erste Seite und erklärte sich bereit, ein Foto von uns beiden zu machen. Erst als der auf den Auslöser drückte fiel uns auf, dass Luciens rechter Arm fehlte. Beim Abschied lud er uns auf ein jüdisches Konzert am Abend ein, auf dem er mit seiner Band spielen würde.
Wieder im Hostel unterhielten wir uns über die seltsame Begegnung. Wer diesen Mann einmal gesehen hat, wird von ihm fasziniert oder verängstigt sein. Ich war letzteres, keine Ahnung warum. Cathi fand mich albern, fand es aber okay, am Abend nicht auf das Konzert zu gehen. Wir saßen auf unseren Betten und hörten Luciens CD, lasen im Buch. Darin standen neben den Gedichten und Songtexten seine Biografie und die Länder, die er bereits bereist hatte.
Am Morgen der Abreise bummelten wir zum letzten Mal durch Prag, aßen Eis und machten Fotos. Auf einmal blieb Cathi stehen. „Juli, guck mal! Ist das nicht Lucien?“ Er war es, mit seinem Rucksack über der Schulter und in seinen bunten Klamotten eilte er durch den Alltagsdschungel Prags, den Blick nach vorn gerichtet und mit einem Lächeln auf den Lippen.
Wir sahen uns an und waren uns einig: die Begegnung mit Lucien war kein Zufall, sondern Schicksal. Er hat mit seinen Gedichten und Texten unser Leben bereichert und uns verzaubert. Ich schämte mich für meine Ängstlichkeit und beschloss, fremden Menschen offener und mutiger gegenüber zutreten. In Cathis Buch steht auch Luciens Email Adresse und beim nächsten Pragbesuch werden wir ihn hoffentlich wieder sehen!
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