Eine ereignisreiche Woche
21 10 2012
5 Tage Athen, 44 Freiwillige, ein 4-Sterne Hotel, Temperaturen bis zu 31 Grad: Nein, ich war nicht unmittelbar nach meiner Ankunft in Griechenland schon im Urlaub. Was ich diese Woche in Athen gemacht habe, nennt sich “On-Arrival Training Course”. Dabei treffen sich Freiwillige aus ganz Europa, die gerade ihren Europäischen Freiwilligendienst in Griechenland begonnen haben. Die Bezeichnung “Seminar” wird dem, was ich in dieser Woche gelernt, was ich mit vielen unglaublich netten Menschen erlebt und wieviel Spaß ich gehabt habe, aber nur bedingt gerecht.
Das Seminar ist dazu gedacht, den Teilnehmern Informationen zu Freiwilligendienst, der Griechischen Kultur und wertvolle Tipps für ihren Aufenthalt zu geben – wie organisiert man sich am Besten, an wen wendet man sich in Problemfällen, welche Möglichkeiten gibt es, sich neben dem EFD als Jugendlicher in der Europäischen Union zu engagieren. Außerdem soll jeder einzelne die Möglichkeit zur Selfreflexion bekommen, sich seiner Rolle bewusst werden, sich Ziele setztn für die Zeit, die er in Griechenland ist. Darüber hinaus – und dieser Aspekt ist mindestens genauso wichtig – geht es darum, mit den anderen Freiwilligen in Kontakt zu treten und sich mit ihnen über die ersten Erfahrungen auszutauschen. Wo in Griechenland machen gerade andere ihren Freiwilligendienst? Welche anderen Projekte gibt es? Man lernt natürlich nicht nur die Projekte, sondern auch die Personen an sich im Lauf des Seminars sehr gut kennen – und das ist eine wirklich außergewöhnlich tolle Erfahrung, die ich gemacht habe!
44 Freiwillige aus 15 europäischen Ländern traf ich am Montagabend in Athen, wo ich am Vormittag mit dem Flugzeug angekommen war. Natürlich konnte ich mir nicht gleich am ersten Abend alle Namen merken. Aber im Lauf der fünf Tage habe ich – durch Gruppen- und Partnerarbeit während der Seminare und vor allem auch in den Pausen, während Frühstück, Mittag- und Abendessen sowie bei unseren nächtlichen Streifzügen durch Athen – viele der Freiwilligen sehr gut kennengelernt. In meinem Fall kam es sogar zu einer Verlobung – aber davon später mehr. Es ist von Anfang an von den Trainern geplant, dass die Freiwilligen ein “Netzwerk” bilden, was auch immer wieder betont wurde. In unserem Fall war diese “Mission” ein voller Erfolg. Doch dazu muss man sich nicht anstrengen, die Neugier auf das, was andere – über ihr Heimatland, sich selbst oder ihre Erfahrungen in Griechenland zu erzählen haben und die Faszination der Vielfalt der Dinge, die man erfährt und der Menschen, die man kennenlernt, reichen völlig aus um die Teilnehmer zum Knüpfen von Kontakten anzuregen. Am Ende der Woche sind viele der Jugendlichen für mich nicht mehr andere Freiwillige, sondern Freunde, mit denen ich in Kontakt bleiben werde und mit denen ich mich sicher während meines Aufenthalts in Griechenland noch das ein oder andere Mal treffen werde – im Moment planen wir schon eine Silvesterparty in Thessaloniki. Wer die Leute sind, die ich dort wiedertreffen werde, dazu jetzt ein paar Sätze:
Bereits im Voraus des Seminars war den Teilnehmern aufgetragen worden, einen kurzen Steckbrief zu verfassen, damit wir die Möglichkeit hatten, schon etwas über die anderen zu erfahren. Bei der großen Teilnehmerzahl war das auch sehr hilfreich. Anderenfalls hätte ich am ersten Abend von den Namen der Teilnehmer vielleicht nur ein Viertel im Gedächtnis behalten können. Über die Steckbriefe erfuhr ich schnell, dass es eine sehr buntgemischte Gruppe sein würde: Bei den Nationalitäten waren unter anderem Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien, Estland, Lettland, Polen, Finnland und Island vertreten. Die Teilnehmer haben zum Teil dieses Jahr erst die Schullaufbahn beendet, was vor allem in Nordeuropa, Deutschland, Frankreich und Teilen Frankreichs der Fall ist. Unter den Italienern und Spaniern haben bereits einige abgeschlossenes Geschichts- oder Tourismusstudium und sogar bereits ein Auslandsjahr absolviert – so wie der Italiener Gianluca, der fast zehn Jahre älter ist als ich. Die Hobbys der Teilnehmer reichen von Surfen, Reiten, Fahrradfahren oder Tennis über Lesen, Tanzen, Singen, Gitarre spielen bis zu professionelem Rugby, American Football oder einfach nur Essen. Am Kennenlernabend stand aber keines der genannten Kriterien im Vordergrund, sondern zuerst sollten wir einen Überblick darüber bekommen, wo in Griechenland die Freiwilligen während ihres Dienstes zu Hause sind: Athen, Thessaloniki, Kalamata, die Inseln Samos und Lefkada sowie die Peloppones waren vertreten. Unter allen Orten war ein kleiner, der sehr viel mit Dadia gemeinsam hat: Prespa ist ein 150-Einwohner-Dorf im Nordwesten des Landes. Dita, Maria und Dani wohnen hier für ein Jahr – sehr isoliert, wie sie mir erzählt haben. Diese drei lernte ich gleich am ersten Tag beim Abendessen sehr gut kennen. Dita ist eine 20-jährige, stets lächelnde, blonde Lettin, in jeder Hinsicht “süß” – sie liebt Süßspeisen über alles. Maria kommt aus Spanien, ist bereits 27 Jahr alt und hat einen Bachelor in Tourismus. Im Moment arbeitet sie an einem Ökotourismusprojekt. Dani kommt ebenfalls aus Spanien und hat eine beachtliche Größe, die jedoch noch geschlagen wurde von einem Deutschen, Andreas. Er stellt im Moment in Lefkada sein eigenes Projekt auf die Beine, bei dem es um die Integration der Roma in die lokale Gemeinschaft geht. Seine Heimatstadt in Deutschland ist Aachen und er ist der begnadete Rugbyspieler, weswegen er auch versucht, in Lefkada eine eigene Rugbymannschaft zu gründen. Mit ihm habe ich mich in manchen Pausen und während einem nächtlichen Besuch auf den Felsen nahe der Akropolis unterhalten.
Gestern Mittag haben wir die Akropolis vor unserer Abreise noch gemeinsam besichtigt – ich konnte ihm trotz Zeitmangel ein bisschen was über die Geschichte der Akropolis erzählen, da ich während der diesjährigen Osterferien bereits eine Städtereise nach Athen unternommen hatte und einiges von den zahlreichen Besichtigungen antiker Bauwerke behalten hatte. An dieser Stelle ein kleiner Exkurs über Athen:
Die Hauptstadt Griechenlands ist Wohnort von 5 Millionen Griechen – das Land hat insgesamt fast 11 Millionen Einwohner, was bedeutet, dass gut die Hälfte in Athen wohnt. Die Stadt ist groß, aber leider nicht besonders schön. Die Häuser ähneln sich und ihre Architektur ist nicht besonders ansprechend. Wirft man von oben einen Blick auf die Stadt – was man von erwähntem Felsen aus sehr gut kann, sieht alles aus wie ein großer Haufen sandsteinfarbenen Schutts. Wer also eine ästhetische Stadt sucht, sollte nicht unbedingt Athen als Ziel wählen. Wer jedoch etwas für die griechische Geschichte und Kultur übrighat, wird sich in Athen wohlfühlen. Denn die Höhepunkte der Stadt sind tatsächlich die Überbleibsel der früheren Zeiten, zum Teil als Ruine, zum Teil als restauriertes oder rekonstruiertes Bauwerk zu bestaunen. Auch wenn man vor Ruinen steht, lässt sich einiges über die Bauwerke herausfinden. Tafeln oder ganze Museen verfollständigen die Originale, erklären ausführlich die Bedeutung und Funktion der Gebäude sowie darüber hinaus einiges zur griechischen Geschichte allgemein. Diese Museen sind die Schätze der Stadt – im Akropolismuseum zum Beispiel finden sich nicht nur Modelle der Akropolis zu unterschiedlichen Zeiten, sondern auch Originale von Skulpturen, die auf dem Akropolisfelsen ersetzt oder entfernt wurden, einen Nachbau des Parthenon, größter, wichtigster und bekanntester Tempel auf der Akropolis, sowie viele Details der griechischen Geschichte. Als Schüler oder Student kommt man in die staatlichen Museen, worunter auch viele wissenschaftliche oder Kunstmuseen sind, meist kostenlos.
Leider blieb uns für all das während unseres Seminars wenig Zeit – wir verbrachten die meiste Zeit im Hotel, erkundeten die Stadt meist bei Nacht. Eine Ausnahme war die “Odyssee”, bei der wir in Gruppen ein Stadtquiz machen mussten, wozu wir Athener interviewen mussten, uns von Passanten griechische Traditionen und Konventionen erklären liesen, Gruppenbilder von uns vor einigen der wichtigsten Plätze der Stadt sowie von Athenern schossen, etc. Dieses Quiz war definitiv eine neue Art, sich mit der Stadt und ihren Bewohner auseinanderzusetzen – sie war eine Herausforderung (nicht jedes griechische Paar ist bereit, sich von einer Gruppe Jugendlicher ablichten zu lassen und nicht jeder Kioskbesitzer erzählt bereitwillig von der Liebe seines Lebens), sie forderte von uns Mut und Kreativität, hat, um es zusammenzufassen enorm viel Spaß gemacht!
Allgemein war das Seminar sehr abwechslungsreich gestaltet: Kennenlernspiele, Aufgaben zum “Group Building”, Gruppen- und Partnerarbeit, bei der Schiffe gebaut, Videos gedreht und Städte entworfen wurden, das Präsentieren des eigenen Projekts in einer “Ausstellung”, Diskussionsrunden sowie kleinere Spiele als “Energizer” zu Beginn jeder Session waren nicht nur willkommene Abwechslung, sondern einer der Hauptbestandteile des Seminars, die sinnvoll verteilt zwischen den “trockeneren” Teilen des Seminars platziert wurden, wie allgemeine Informationen zum Freiwilligendienst, dem speziellen Ausweis, den alle Freiwilligen bekommen, den Möglichkeiten, sich weiterhin zu engagieren, Interkulturellem Lernen, der Griechischen Sprache etc. Doch auch dieser Teil der Sessions war meist interessant und wurde gut vermittelt: Für die 44 Freiwilligen waren uns von der National Agency, die für die Organisation des Seminars verantwortlich ist und direkt der Europäischen Kommission untersteht, vier Trainer zur Verfügung gestellt wurden: Evi und Costas aus Athen sowie Sakis und Elias aus Thessaloniki. Die vier waren professionel im Vortragen, Motivieren und konnten alle unsere Fragen beantworten. Darüber hinaus hatten sie ein äußerst freundschaftliches Verhältnis zu den Freiwillgen. Sie aßen mit uns gemeinsam im Hotel, waren in den Pausen immer für uns da und auch für einen Spaß zu haben. Elisas, der mich zu seinem “Favourite Volunteer” erklärt hat, hat schon einen Besuch in Dadia angekündigt…
Vieles spielte sich aber auch neben dem Seminarplan ab; für einen Barbesuch waren die meisten von uns zu haben – wobei es nicht immer zu einem BE-such kam, sondern durchaus auch bei der Suche nach einer Lokalität blieb, wie zum Beispiel am letzten Abend, für den eigentlich ein Konzert geplant war. Doch Komplikationen ergaben sich dadurch, dass im ersten Anlauf der Veranstaltungsort nicht gefunden werden konnte, der Kontakt zu Costas, der nachkommen wollte, abbrach, und sich letzten Endes herausstellte, dass das Konzert abgesagt worden war. Als das bekannt wurde, waren aber schon lange nicht mehr alle gemeinsam unterwegs – manche hatten sich zu einem anderen Konzert abgeseilt, einige suchten eine Bar in der Gegend, die meisten aber hatten sich auf einem kleineren Platz niedergelassen, darunter auch ich. In der Gruppe waren einige Franzosen, wie unter den Teilnehmern allgemein – auch meine Zimmergenossin Marianne stammt aus Frankreich. Um in Übung zu bleiben, versuche ich mit ihnen Französisch zu reden, was sehr gut klappt und die Franzosen ungeheuer freut – denn Englisch sprechen sie zwar, jedoch nur, weil es notwendig ist und dementsprechend ungern bedienen sie sich der englischen Sprache. Auch in der Gruppe derjenigen, die am Freitagabend zusammen auf dem Platz saßen, waren einige, die sich gerne mit mir unterhielten, weil sie wussten, dass ich Französisch spreche. Erstaunlicherweise scheinen sie mit meinen fünf Jahren Französisch zurechtzukommen, loben meinen Sprachstil und meine Aussprache. Dorian erklärte mir, dass die Bewunderung daher komme, dass mein Französisch “plus litteraire” sei, als jenes Französisch, das sie selbst sprächen. Er selbst meinte, mein Französisch sei sogar besser als seines. Das wagte ich zu bezweifeln, was ihm wiederum gar nicht gefiel. Er entgegnete daraufhin, dass mein Französisch ihm so gut gefalle, dass er mich deswegen heiraten würde. Dass ich darüber lachte, war der Auslöser dafür, dass er kurz darauf vor mir auf der Straße kniete und mir einen Heiratsantrag machte… Ich bat ihn um Bedenkzeit bis zum nächsten Morgen. Seit gestern, dem 20.10.2012, sind wir offiziell verlobt… ;)
Sehen werden wir uns frühestens wieder bei der Silvesterparty. Bis dahin bin ich in der Gesellschaft von Bony, Maria, Alba, José, Giacomo, und Malte. Die scheinen inzwischen auf den Geschmack gekommen zu sein: Gestern gab es bei uns im “Nest” eine 80er-Party: Dekoration, Kostüm und Musik waren auf das Motto abgestimmt. Mit Haarband, bunten Ohrringen, Sonnenbrillen und Peace-Symbolen geschmückt hatten wir eine lange Nacht. Ich durfte feststellen, dass Giacomo ein begeisterter Tänzer ist – heut morgen hat er mir erzählt, dass er am liebsten zu Funky tanzt. Aber gestern Abend war er auch für eine kleine Balletteinlage zu haben: Er tanzte mit mir zu Céline Dions “The Power of Love”.
Das Fazit dieser Woche also: Ich habe eine Menge erlebt, einiges gelernt, eine Menge netter Leute getroffen und – sehr viel Spaß gehabt. Was die nächste Woche bringt, werden wir sehen. Gespannt bin ich auf meine erste Griechischstunde morgen.
Liebe Grüße aus Griechenland
Jasmin