Die Welt ist flach - Leczyca & Tum
"Wie vollkommen flach das Land ist, und wie frei man sich fühlt. Bis zum Horizont Grenzen. Und über allem scheint die Sonne." Johannson macht einen der schönsten Ausflüge seit Hexham...
Tag zwei des verlorenen Wochenendes bringt Leczyca und Tum, zwei winzige Fleckchen nördlich von Lodz, gerade noch im Reiseführer entdeckt. Im ersten Burgreste, im zweiten die größte romanische Kirche des Landes. Ein echtes Verlegenheitsziel... und einer der schönsten Kleinausflüge seit Hexham.
Zur Sonne, zur Freiheit
An Informationsschaltern stirbt der Sozialismus nie. Am Busbahnhof Nord will man mir erzählen, der im Internet ausgespähte Bus führe nur vom Zentrum. Zum Glück vertraute ich lieber dem Netz als der Schalterdame. So fährt mich der Bus aufs Land. Schön früh, schön schnell, einmal Reisen ohne Uhr.
Eigentlich genau was ich heute brauche. Die Sonne scheint, noch ist alles grün. Ein leichter Herbstwind weht durch die Pappeln auf der flachen Wiese. Alles so schön klein und ruhig und unter Kontrolle.
Die Burg ist gleich neben dem Busbahnhof. Nicht viel mehr als das Wirtschaftshaus mit einer hohen Mauer drumrum. Die Stadt bietet auch einen hübschen, kleinen Marktplatz mit dem hübschen, kleinen, geschlossenen Rathaus und hübschen, kleinen Bürgerhäusern.
Dazu eine Kirche und ein Kloster. Ein Café ist auch da und vor dem Waffelladen steht eine Schlange. Hier komme ich nochmal zurück, das ist der richtige Tag für einen faulen Kaffee.
Sonntag auf dem Land
Das Schloss bietet das Heimatmuseum: Tonscherben, Begräbnisriten und das Modell eines Forts aus dem 6. Jh. Vom Turm aus sieht man noch der Ringwall auf dem Feld, nicht weit davon die Kirche im nahen Tum.
Außerdem, wie vollkommen flach das Land ist, und wie frei man sicht fühlt. Bis zum Horizont Grenzen. Und über allem scheint die Sonne.
In der Kirche am Markt liest der Pastor seiner Gemeinde gerade die Leviten: weniger Kippen auf dem Friedhof! Die Kirche... klein und hübsch. Ich ziehe weiter zum Kloster, das ist aber vom Sonntagsgottesdienst noch zu voll ist. Dafür ist nebenan Kleidermarkt und ich erstehe, endlich, mein persönliches, lang gesuchtes Moherowy Beret, wollenes Feldzeichen der katholischen Omas und Radio Maryja Hörer.
Bis die Klosterkirche frei ist, gehe ich ins Cafe, wie in den guten alten Zeiten. Überraschend stilvoll für so ein Nest; schade, dass man nicht draußen sitzen kann. Das Kloster ist danach gleich ganz abgeschlossen, darum mache ich mich auf nach Tum.
Das ist so nah und die Welt flach, zu Fuß gar kein Problem. Nach einem Abstecher durch einen Park will ich über einen Graben und ein Feld ohne Umweg zur Straße. Nur steht der Bauer da, und ruft mir natürlich etwas unverständliches zu.
Aber er fragt nur, ob ich zur Kirche will, und dann irgendwas von wegen 'hinter dem Feld, über den nächsten Graben'. Na wenn ich einfach übers Feld laufen darf...? Klar!
Querfeldein
Auf der anderen Seite sehe ich was er meint: ein Weg läuft quer durch die Wiesen direkt zur Kirche. Über ein Fließ, vorbei am alten Fort, zwischen Kohl und drei Kühen. Es ist vierzehn Uhr, die Sonne scheint, es ist eine Freude mal wieder durch die Wiesen zu stiefeln.
Die romanische Kirche kommt in Sicht, und noch mehr: daneben eine kleine, wunderhübsche Holzkirche. Beide sind zu, aber in ersterer sind ein paar sehr wertvolle Dinge zu sehen, und neben zweiterer mache ich etwas Rast. Es ist um vier und dämmert. Zurück laufe ich einen Umweg, komme noch an einem Friedhof auf dem Feld vorbei, mit Soldatengräbern vom September 1939.
Pferdefuß
Der Weg zurück wird länger als gedacht, selbst auf der Straße. In der Dunkelheit rasen die Autos an mir vorbei. Zum Glück kommt bei Ankunft am Bahnhof bald ein Bus nach Lodz... und alles könnte so schön sein, wenn ja wenn bei meiner Rückkehr das Fahrrad noch da stehen würde wo ich es morgen gelassen hatte. Aber nichts da, ein Blick macht klar: das Ding ist weg.