Die Roma - ein wanderndes Volk, Diebe, Hexen und Gauner?!
Jeder von uns hat schon einmal etwas über Sinti und Roma gehört. Negative sowie auch positive Vorurteile, doch was stimmt davon? Ich habe meine eigenen Erfahrungen mit Roma in der Ostslowakei gemacht und möchte nun davon berichten.
Seit September 2016 absolviere ich einen Europäischen Freiwilligendienst im Community-Zentrum Roskovce in der Slowakei. In diesem Dorf leben 600 Menschen, alle sind Roma. Im Folgenden werde ich zunächst über die Romadörfer berichten, die ich bei meinem Auslandsaufenthalt kennengelernt habe und schließlich im zweiten Teil mit diesem Hintergrundwissen die Vorurteile gegenüber Roma beleuchten.
In der Slowakei leben nur 500.000 der weltweit 9 Millionen existierenden Roma und selbst davon sehe ich nur einen winzigen Teil. Der Großteil der Roma in der Slowakei lebt zwar im Osten des Landes, jedoch bestehen selbst hier große Unterschiede in den verschiedenen Roma Dörfern (slowakisch: Osadas). Demzufolge werde ich im Folgenden nur über Roma sprechen, die ich kennengelernt habe. Es ist nur meine Auffassung und sollte nicht verallgemeinert werden.
In jedem Dorf liegen die Probleme an anderer Stelle. Roskovce ist in Bezug auf die Arbeitssuche ein sehr engagiertes Dorf, die Leute sind willig eine Arbeit zu finden und die Teenager sind sehr aktiv, z.B. in Projekten im Community-Zentrum oder sie erlernen einen Beruf. In Sverzov dagegen ist das Dorf eher passiv, die Teenager versuchen so schnell wie möglich eine Familie zu gründen und haben wenig Interesse an Arbeit. Hier herrscht allerdings sehr gute Hygiene und ein Dialog mit der slowakischen Bevölkerung, wovon man in Roskovce nur träumen kann. Spissky Hrhov, das Dorf, wo ich einen Deutschsprachkurs gebe, fasst beide positive Seiten auf und ist damit weit voraus. Dort leben die Roma zwar auch in einem eigenen Gebiet des Dorfes, doch sie wohnen mit den Slowaken zusammen. Der Bürgermeister, welcher Slowake ist, ist sehr engagiert und hilft den Roma bei der Jobsuche. Wenn sie einen Job haben, erhalten sie daraufhin Unterstützung beim Hausbau. Gehen die Kinder jedoch nicht in die Schule, erhalten die jeweiligen Familien auch keine Unterstützung. Dadurch hat der Großteil eine Arbeit und die Kinder erhalten Bildung, was ihnen später den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern wird. Ein positives Beispiel, welches zeigt, dass durch den Dialog die Integration der Roma in die Gesellschaft sehr gut möglich ist.
Die verschiedenen Probleme machen es schwer, ein allgemeines soziales Programm für Roma festzulegen, was dann z.B. in Community Zentren umgesetzt wird. Dadurch ist es auch für die Roma-Gemeinschaft schwer, eine gemeinsame politische Stimme zu erlangen. In den Osadas gibt es immer einen Bürgermeister, meistens erlangt er seine Position nur durch Geld und dadurch fallen seine Entscheidungen nicht immer zum Wohl des Dorfes aus. Eine Person, die für alle Roma spricht und somit genug Stimmen erlangen kann, um in das Parlament einzutreten, ist nur schwer zu finden, da es zu unterschiedliche Interessen gibt.
Und noch ein Wort zur Religion: Roma nehmen meist die Religion der Mehrheitsgesellschaft an. Zudem ist es für sie sehr schwierig ihre eigene Identität zu verstehen, da sie der Roma Gruppe angehören und keiner Mehrheitsgesellschaft. Weiterhin leben nicht alle Roma in Osadas! Ich kenne hier in Spisske Podhradie einen Roma, welcher fast nur Slowaken als Freunde hat und nicht mal mehr Romanes sprechen kann. Hier wirft sich mir die Frage auf: Geht bei einer vollständigen Integration der Roma in die Mehrheitsgesellschaft ihre Sprache und Kultur verloren?
Nun zu den Vorurteilen, die ich von Slowaken und Deutschen gehört habe:
Roma
…sind ein reisendes Volk - Das stimmt heutzutage nicht mehr, reisende Roma sind die Ausnahme. Es war nur in der Vergangenheit der Fall, was auch durch die Vertreibung begründet sein kann.
…stehlen - Nicht mehr als in anderen Kulturen. Wer das Stehlen von Holz aus dem Wald jedoch als großes Vergehen ansieht, der sollte dieses Vorurteil bestätigen.
…betteln - Leider ja und es kann sehr nervig sein, aber was macht man nicht alles für Geld? Außerdem ist es nur ein sehr geringer Teil, der bettelt.
…haben viele Kinder um mehr Geld zu bekommen - In der Roma Kultur ist es üblich eine große Familie zu haben, der Hauptgrund ist dafür sicher nicht das Geld, sondern Unwissenheit über Verhütung oder kulturelle Gründe, sowie Altersvorsorge.
…haben keine Lust zu arbeiten - Nein, vielmehr bekommen sie durch Rassismus keine Arbeit oder es liegt an mangelnder Bildung.
…wollen nur Spaß haben und feiern - Die Roma mögen dies ohne Zweifel, aber es ist nicht ihr einziger Lebensinhalt.
…sind musikalisch - Sie mögen es zu singen, doch es klingt nicht immer gut. Sie sind nur selbstbewusster und haben mehr Übung, daher kann es erscheinen, dass sie musikalischer sind als andere Völker. Doch ich denke, in Deutschland sind genauso viele Leute musikalisch talentiert.
…können gut tanzen - Dies mit Sicherheit und sie üben es auch schon von Kindheit an.
…sind unhygienisch - In Roskovce leider ja, dagegen kann es in anderen Osadas schon ganz anders aussehen.
…haben Läuse - Nicht anders als in Deutschland auch.
…lügen - Das ist ein interessanter Punkt, denn natürlich lügen einige Roma, um z.B. beim betteln mehr Geld zu bekommen, aber das ist die Ausnahme! Ansonsten erzählen sie gerne Fantasiegeschichten, was manchmal echt lustig sein kann. Zum Beispiel erzählt mir ein Junge öfter, dass er der Gendarm im Osada ist und als Chauffeur arbeitet. Natürlich wissen alle, dass es nicht stimmt, aber die Roma haben dabei viel Fantasie und es ist schön zuzuhören und anschließend zusammen zu lachen.
…sind laut - Ja, wer singt und tanzt, ist laut.
…schlagen ihre Kinder - Teilweise, zumindest häufiger als in westlichen Ländern.
…sind dumm/müssen auf Sonderschulen - Eine der größten Fehlurteile.Roma sind genauso schlau wie jeder andere, sie haben allerdings schlechtere Lernbedingungen: Fast keiner in Roskovce hat einen eigenen Schulranzen und sie erhalten zudem kaum Frühförderung von elterlicher Seite.
In der Kultur der Roma spielt die Zeit eine ganz andere Rolle. Es wird das erledigt, was gerade erledigt werden muss. In der Schule sind die Kinder pünktlich, aber ansonsten gibt es keinen genauen Zeitplan. Deshalb ist es für die Kinder auch schwierig, zur richtigen Zeit im Zentrum zu erscheinen. Letzte Woche habe ich eine Situation erlebt, die mich sprachlos gemacht hat. Ein 18 jähriges Mädchen konnte nicht die Uhrzeit lesen, nicht mal ansatzweise. Dadurch ist auch nachzuvollziehen, wie schwer es für sie sein muss, außerhalb des Osada klarzukommen.
Doch um ehrlich zu sein: Ein Leben ohne Zeit, das kann sich von uns keiner vorstellen und wir können uns in diese Situation wenn überhaupt nur ansatzweise hineinversetzen.
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