Die Pariser Invasion
Seit Juli fährt der Schnellzug TGV in nur zwei Stunden von Paris nach Bordeaux. Die Bewohner*innen der schönen Metropole an der Gironde fühlen sich durch den Zuzug der Pariser*innen zunehmend bedroht. Denn mit dem Parisanisme kommen auch Mieterhöhungen, Wohnungsknappheit und Gentrifizerierung.
Seit Juli 2017 braucht der TGV nur noch zwei Stunden von Paris nach Bordeaux. Durch die neue Anbindung können die Pariser*innen auch am Feierabend noch einen Abstecher in die beliebte Metropole in Frankreichs Südwesten machen. Um die Fahrtzeit von 3 Stunden und 14 Minuten auf 2 Stunden zu reduzieren, mussten 24 neue Viadukte und sieben Tunnel gebaut werden, was insgesamt rund acht Millionen Euro kostete. Doch es sind nicht die immensen Kosten für den Ausbau der Strecke, die den Bordelais, wie die Einwohner*innen von Bordeaux genannt werden, Sorgen bereitet. Es sind die Pariser*innen, die nach Bordeaux strömen und die Mietpreise in die Höhe treiben. Denn seit es die neue Verbindung gibt, zieht es mehr und mehr Bewohner*innen aus der Hauptstadt nach Bordeaux. Das hat schwerwiegende Auswirkungen für die Stadt an der Garonne: Wohnungsknappheit, fehlende Schulplätze, mehr Verkehr auf den Straßen. Vor allem Studierende sind betroffen. Noch nie war bezahlbarer Wohnraum so knapp, wie in diesem Jahr. Selbst Monate nach Studienbeginn haben Studierende keine eigene Wohnung gefunden, wohnen bei Freunden oder Verwandten.
Alle wollen nach Bordeaux
Dass Bordeaux ein gefragte Stadt ist, ist kein Geheimnis Die Schönheit an der Garonne wächst seit Jahren. Die 250.000 Einwohner*innen Stadt überzeugt mit einer tollen Lage, herausragender Gastronomie und historischer Architektur, die seit 2007 zum UNESCO Weltkulturerbe zählt. Bordeaux gilt nicht umsonst als eine der schönsten und entspanntesten Städte Frankreichs. Das findet auch das Reisemagazin Lonley Planet und krönt Bordeaux zur schönsten Stadt, die man 2017 besucht haben sollte. Aber Bordeaux ist nicht nur bei Tourist*innen beliebt. Die Stadt, die als bedeutende Universitätsstadt mit rund 53.000 Studierenden gilt, zieht vor allem Studierende an. Durch die Ansiedlung großer Unternehmen wie beispielsweise Dassault und Thales, die unter anderem Luft- und Raumfahrtzeige herstellen, kommen in den letzten Jahren auch zunehmend Menschen aufgrund der neun Arbeitsplätz. Das Fazit: Alle wollen nach Bordeaux. Das treibt die Mieten in die Höhe. Im Jahr 2016 war Bordeaux die Stadt, in der der Preis pro Quadratmeter am meisten anstieg, um 15 Prozent, wie France Culture berichtet. Und das ärgert vor allem diejenigen, die schon lange in der Stadt leben.
Kein bezahlbarere Wohnraum in der eigenen Stadt
Théo Beigbeder ist in Bordeaux geboren und lebt mit seinen Eltern außerhalb des Zentrums, wo es ruhiger ist. Das wird der Familie nun zum Verhängnis, da durch das Bevölkerungswachstum gerade am Morgen, wenn Théo in die Universität und seine Eltern zur Arbeit müssen, mehr Verkehr auf den Straßen herrscht und weniger Zeit bleibt. Deshalb suchen sie eine Wohnung, die näher im Zentrum gelegen ist. Die Suche bleibt erfolglos-über Monate. Bei jedem Immobilienhändler bekommen sie wieder und wieder das Gleiche zu hören: Es gibt keine Wohnungen oder sie sind unglaublich teuer. „Wir können einfach keinen bezahlbaren Wohnraum in unserer eigenen Stadt finden“, sagt Théo. Das Problem verschärft sich mit den Parisier*innen, die nach Bordeaux kommen, meint er: „Die Pariser kennen die Viertel in Bordeaux nicht und kaufen die Immobilien nahe des Bahnhofs: St. Michel, la Victoire, Nansouty und St. Genes.“ Das ist deshalb problematisch, weil diese Viertel zu den bunten, alternativen Vierteln zählen, in denen hauptsächlich Migrant*innen und Studierende wohnen.
"Parisien rentre chez toi" - „Pariser geh nach Hause“
Es ist diese beginnende Gentrifizierung, die die Bordelais in Unmut stimmt. Dort in St. Michel beginnt auch der erste offizielle Widerstand gegen den Parisiainisme, wie die Französ*innen sagen. Seit kurzem sind dort im Viertel von St. Michel nahe des Bahnhofs zunehmend Kelber mit dem Spruch "Parisien rentrez chez toi" zu finden, was so viel heißt wie „Parsier geh nach Hause". Die Aufkleber stammen vom Kollektiv FLBP, le Front de libération bordeluche, die für die "Befreiung Bordeaux‘ von der Pariser Invasion“ kämpft die regelmäßig gegen die zuziehenden Pariser*innen stichelt. Bisher findet dieser Kampf vor allem auf Facebook und twitter statt - mit zynischen Kommentaren und bezeichnenden Bildern. Wie zu Beispiel das Profilbild des Kollektivs, das eine Grußkarte des Bürgermeisters zur Eröffnung der neuen Bahnstrecke von Paris nach Bordeaux zeigt. Im Hintergrund ist der Place de la Bourse mit dem Miroir de l´eau zu sehen, dem Touristenmagnet und Markenzeichen der Stadt. Im Wasser spiegelt sich aber nicht das über 250 Jahre alte Gebäude, sondern der Eiffelturm, der mit einem roten Stift fett durchgestrichen ist. Die Nachricht ist klar: Wir wollen die Pariser*innen hier nicht haben. Auch Théo ist genervt von den Pariser Allüren: „Sie fahren wie die Wilden, sind unfreundlich und lassen ihren Müll überall liegen." Die Gruppe scheint einen Nerv getroffen zu haben: Mehr als 7.300 Likes hat die FLBP auf Facebook und jeden Tag werden es mehr.
Als Pariserin in Bordeaux
Aber wie fühlt sich diese Situation für die Pariser*innen an, die frisch nach Bordeaux gezogen sind? Alice Innocenti lebt seit zwei Monaten in Bordeaux, um hier Wirtschaft zu studieren. Dass sie aus Paris kommt, war bisher kein Nachteil. Das Problem ist aber präsent. Freunde, erzählt Alice, vermeiden oft offen zu sagen, dass sie aus Paris sind, weil sie sonst mit negativen Reaktionen zu rechnen haben. Vorurteile würden ausgepackt, der Service im Restaurant würde unfreundlich. „In Bordeaux gibt es noch einen kleinen Teil der Bourgeoisie, die sich dem Anderen nicht öffnen wollen“, erklärt Alice.
Die Aufkleber machen das, was schon lange unter der Oberfläche brodelt, plötzlich öffentlich sichtbar und bringen so mediale Aufmerksamkeit. Der Radiosender France Culture berichtet genauso, wie Spiegel Online. Und auch Bürgermeister Alaine Juppé meldet sich via twitter zu Wort: Die ablehnende Haltung von FLPB sei zu verurteile, denn Bordeaux sei eine Stadt, die ihre Zuziehenden willkommen heiße. Für Juppé bedeutet der Zuzug vor allem wirtschaftliche Vorteile. Auch Théo ist überzeugt, dass die jüngsten Entwicklungen ihr Gutes haben: Die heruntergekommenen Viertel St. Michel und Victoire würden renoviert und die Wirtschaft angekurbelt, sodass die Stadt mehr investieren könne.
Und trotzdem muss sich die Stadt zwei grundsätzliche Fragen stellen: Wie viel Fremdenfeindlichkeit steckt hinter dem zynischen Auftritt der FLBP und was wird Bürgermeister Juppé konkret gegen die steigenden Mietpreise und drohende Gentrifiezierung unternehmen? Bis dahin, sagt Théo, ist am wichtigsten, dass Bordeaux das behält, was die Stadt so lebenswert macht: Seine Menschlichkeit.
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