Die ostdeutsche Jugend - Abgehängt?
Auch nach über zwanzig Jahren Wiedervereinigung ist die Lebensqualität in den neuen Bundesländern immer noch bedeutend schlechter als in den restlichen Bundesländern Deutschlands - das liegt vor allem an der schlechten Wirtschaftsentwicklung und einer strukturellen Benachteiligung Ostdeutschlands. Am meisten leiden junge Menschen darunter, die für sich nur noch wenig Perspektiven in ihrer Heimatregion sehen.
Auf dem Campus der Universität Leipzig tummeln sich viele junge Menschen, die hier, in den eindrucksvollen Neubauten einer ehrwürdigen Universität studieren. Aber auch wenn es hier immer mehr Studierenden gibt, kann man sich manchmal einsam fühlen - denn ich bin einer der wenigen Ostdeutschen hier. Tatsächlich bietet sich ein sehr paradoxes Bild in vielen Städten im Osten: Die Unis werden meistens renoviert und besser ausgestattet, neue Institutionen geschaffen und Vereine gegründet, diese werden aber fast ausschließlich von Westdeutschen geführt. Das ist an sich kein Problem, wenn es nicht das Symptom einer tieferen, strukturellen Diskriminierung der ostdeutschen Region ist.
Ob in der Wirtschaft, in der Politik, an den Hochschulen oder im Gericht, fast überall führen Westdeutsche: Das liegt vor allem daran, dass die meisten Menschen nach der Wende ihre Vollbeschäftigung verloren, aber auch, dass die Arbeitserfahrung und der Erfolg dieser Menschen meistens abgewertet wurde. Viele Fachkräfte aus dem Westen sollten mithelfen, die neuen Bundesländer umzustrukturieren, eine Transition von oben nach unten. Natürlich generiert das Frust. Und Ärger. Und durch diese gefühlte Benachteiligung, die fehlende Anerkennung und die Nachteile einer globalisierten Wirtschaft wurden viele Bürger ins Abseits gedrängt. Es ist höchste Zeit, die Nachwendezeit aufzuarbeiten, sich mit den strukturellen Problemen des Ostens auseinander zusetzen, die Gesellschaft zu öffnen und Dialoge zu initiieren.
Dass es vielen Menschen hier schlecht geht, wird im gesellschaftlichen Diskurs bisher wenig thematisiert: Die Renten sind niedrig, gute Jobs selten, die Bezahlungen sind im Bundesvergleich schlechter und der Wohnraum wird aufgekauft. So gaben in einer Umfrage des letzten Jahres zwei von drei Sachsen an, sich wie „Bürger zweiter Klasse“ zu fühlen. Und tatsächlich, gerade wenn man sich die Wirtschaftsstruktur Deutschlands ansieht, ist der Osten deutlich schlechter gestellt. Die Menschen verdienen aber nicht nur durchschnittlich weniger Geld, es gibt beispielsweise auch kein einziges DAX-Unternehmen, was im Osten angesiedelt wäre und über 70% der Führungskräfte in den neuen Bundesländern sind Westdeutsche oder aus dem Ausland.
Die Arbeitslosigkeit ist hier auch höher: Auch wenn sich die Prozentzahl aus den neuen und alten Bundesländern langsam anpasst, gibt es noch einen schwerwiegenden Unterschied: Man schätzt, dass circa 40% der Arbeitslosen in Ostdeutschland Langzeitarbeitslose sind, also Menschen, die seit vielen Jahren nicht mehr gearbeitet haben und es sehr schwer haben, sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Und das betrifft indirekt die Jugend: Wer in so einem Umfeld aufwächst, hat es viel schwerer, eine erfolgreiche Schullaufbahn zu absolvieren und den Job zu ergreifen, den er oder sie gerne machen würde. Ich bin selber in Halle Neustadt aufgewachsen, und weiß, wie sehr das Umfeld Menschen beeinflusst und vor allem einschränkt
Wir, als die neue Generation, können allerdings auch versuchen, diese Struktur aufzubrechen: Wir haben bereits viele Vorteile und Stereotypen über den Osten und Westen vergessen, eine ideale Grundlage für mehr Austausch und Mobilität zwischen den Regionen. Es müsste aber auch eine politische Anerkennung des Problems geben, sodass mehr Fördermaßnahmen und strukturelle Unterstützung ermöglicht werden könnte.
Die Transition der Wiedervereinigung muss besser aufgearbeitet werden und den Menschen muss Gehör verschafft werden, denn sonst flüchten sie sich nach Innen, in eine heile Welt der Traditionen und der "eigenen Kultur“. Und das kann sehr problematisch sein, wenn es sich gegen andere Kulturen und Menschen richtet. Dies ist nicht nur ein Thema, das Deutschland allein betrifft: Auch in der Europäischen Union lassen sich immer größere Diskrepanzen beobachten, immer größer werdende Unterschiede zwischen den Regionen. Im Sinne der nächsten, europäischen Generationen müssen wir diese Prozesse jetzt aufdecken und die Regionen in ihrer Vielseitigkeit und mit ihrer eigenen Geschichte integrieren.
Meine Quellen:
https://www.berliner-zeitung.de/politik/bundesministerien--wer-ostdeutsch-ist--muss-draussen-bleiben--28445254
https://www.zeit.de/2018/22/ostdeutschland-deutschland-mdr-dokumentation
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/915315/umfrage/arbeitslosenquote-in-west-und-ostdeutschland/