Die liebe Zeit
Für Hausi38 ist nach zehn Monaten selbst in Indonesien der Alltag eingekehrt. Sie reflektiert über das Warten und die verschiedene Vorstellung der Zeit dort und in Deutschland.
Hallo ihr Lieben,
lange nichts von mir gehört, ich lebe noch, wie ihr seht und ich bin auch immer noch in Indonesien. Der Alltag hat hier Einschlag gefunden. Es gibt zwar immer noch jede Menge Geschichten zu erzählen, ich sollte auch viel mehr davon aufschreiben, denn man vergisst so schnell, aber irgendwie fehlt mir mittlerweile das Besondere an diesen Geschichten. Sie sind eben auch alltäglich geworden. So ist das wohl, wenn man nun mittlerweile fast zehn Monate in einem Land wohn. Am Anfang so unterschiedlich und am Ende doch so gleich.
Aber nachdem ich heute 2 ½ Stunden auf meine Referatsgruppe gewartet habe, habe ich nicht nur viel Zeit, euch zu schreiben, sondern es wird auch Zeit, dass ich euch mal was vom indonesischen Zeitverständnis berichte.
Zu Beginn hat mich genau das nämlich in den Wahnsinn getrieben. Jetzt hab ich auch schon ein bisschen de Ruhe weg, warte eben auch einfach mal 2 ½ Stunden, während es in Deutschland nach 2 ½ Stunden nicht nur höchste Zeit ist, zu gehen, sondern auch Zeit die Freundschaft zu kündigen (also nicht wirklich, ihr wisst, was ich meine…).
Aber auch, wenn ich selbst zu spät dran bin, habe ich immer noch eine - Entschudigung - Arschruhe, wo ich früher in Deutschland, wenn ich merkte, dass ich es wahrscheinlich nicht rechtzeitig schaffen werde, alles etwas schneller erledigt habe und manchmal leicht in Hektik verfallen bin. Hier mache ich eines ruhig nach dem anderen, nach dem Motto „Stress, den kenn ich nicht mehr!“ Das nimmt einem zwar die Gefahr an einem Herzinfarkt zu sterben, aber irgendwie raubt es mir auch die Zeit, Zeit, die ich sonst anders verbringen würde… mit was eigentlich? Hier schaffe ich auch alles, was ich mir vornehme, wenn nicht, dann war es nicht so wichtig und es stresst mich dann einfach nicht… so läuft das Leben hier, langsam aber beständig, auch an einem Sonntag an dem ich letztendlich 2 ½ Stunden in der Sonne gesessen habe und gewartet habe... es gibt schlimmeres, würde ich sagen.
Warum das alles so ist? Ich habe da so eine Theorie entwickelt:
Wir Deutschen sehen die Zeit ungefähr so: ----------> Wir teilen die Woche, jeden Tag linear ein, eines folgt dem anderen: um acht gibt es eine Vorlesung, um zehn ein Seminar, gegen zwei treffe ich mich mit Nicole zum Mittag, um vier hab ich Training und um acht kommt meine Lieblingsfernsehsendung. Wenn Nicole dann plötzlich 2 ½ Stunden zu spät kommen würde, würde das den kompletten Tagesplan durcheinander bringen.
Hier ist das etwas anders: Die Zeit sieht eher so aus: (also wie eine Spirale). Mit anderen Worten: der Tag hat 24 Stunden, irgendwann in diesen 24 Stunden schlafe ich, geh ich zum Training, treffe ich mich mit Arka zum Essen usw. Uhrzeiten sind dabei eher Richtwerte und so kommt es, dass manche Indonesier (ich auch manchmal!) erst um fünf Uhr ins Bett gehen, weil sie noch lesen wollten und Arka noch Hunger hatte. So verschieben sich viele Dinge nach hinten oder nach vorne. Wenn etwas dazwischen kommt, man plötzlich eben 2 ½ Stunden Zeit hat, dann nutzt man die eben für etwas, was man sonst an einem anderen UNBESTIMMTEN Zeitpunkt am Tag gemacht hätte. Bei einem solchen Tagesablauf – ich sollte ihn eigentlich nur Tageslauf nennen – kann es dann eben passieren, dass ich, weil ich immer noch nicht komplett daran gewöhnt bin, 2 ½ Stunden warte.
Auch wenn ich mich mit meinen Freunden treffe, kommen sie IMMER (fast ausnahmslos) eine Stunde später als eigentlich gedacht, weil sie erst noch Beten wollten, dann noch kurz ins Internet wollten und dann doch (relativ) pünktlich und ungestresst bei mir ankommen.
Und noch etwas lustiges, was mir hier aufgefallen ist: Die Studenten unter euch werden das kennen, dass man in Deutschland oft einfach ein paar Minuten früher aus dem Unterricht geht, wenn man pünktlich irgendwo sein muss. Das ist fast völlig akzeptiert, während das zu-spät kommen immer nur mit einem Augenbraun-Hochziehen quittiert wird. Es funktioniert gut, weil man eben früher gehen kann, damit man nicht zu spät kommt. Hier ist es genau anders herum: Man darf zu spät kommen, damit bei der zuvorgehenden Veranstaltung nicht früher gehen muss. Das Früher-Gehen ist hier nämlich unglaublich unhöflich und erklärt dem Redner, dass man kein Interesse hat. Dafür darf man aber in der nächsten Vorlesung zu spät kommen. Funktioniert genauso gut, nur eben anders herum. :)
Das ist schon lustig hier. Und dann komme ich aus dem einen System in das andere. Ein paar Monate mixe ich beides, was logischerweise im absoluten Chaos und in Frustration endet, am Ende sehr ich die Dinge so klar und muss über meinen Mischversuch lachen.
Überhaupt finde ich, dass LACHEN oft die beste und einzige Antwort auf alles Verrückte in der Welt ist.
Ich schicke ein breites Lächeln in die Welt. Bis bald.
Julia