Deutsche Sprache – Facettenreiche Sprache
Durch meinen Freiwilligendienst kam ich zum ersten Mal in meinem Leben nicht nur langfristig mit Personen aus anderen Ländern in Kontakt, sondern auch mit Gleichaltrigen aus anderen Regionen Deutschlands. Ein sprachlicher Wirrwarr, wie ich feststellen musste.
Willst du noch eine „Semmel“? Schon beim Frühstück verziehe ich, aus Südniedersachsen stammend, häufig das Gesicht. Ja, ich nehme gerne noch ein Brötchen, hatte ich die ersten Wochen mit besonderer Betonung auf das letzte Wort meine bayrische Mitbewohnerin zu verbessern versucht. Sprich doch normal, war mir manchmal in den Sinn gekommen. Aber was bedeutet eigentlich normal?
Das standardisierte Deutsch
Deutsch ist für fast 100 Millionen Menschen die Muttersprache. Würde man jede von diesen Personen nach ihrer Definition von einem normalen Deutsch fragen, würde man wohl fast genauso viele verschiedene Antworten erhalten. Deutsch wird nicht nur in Deutschland gesprochen, auch in der Schweiz, Österreich, Luxemburg, Italien und Belgien ist es eine offizielle Amtssprache. Aber nicht nur in den unterschiedlichen Staatsgebieten, sondern auch innerhalb Deutschlands sind Sprachvariante in Form von Dialekten weit verbreitet. Eine Festlegung von Regeln bezüglich Aussprache, Rechtschreibung und Grammatik, die sogenannte Normung, war damit unausweichlich. Es entstanden Richtlinien, wie die deutsche Sprache „offiziell“ und „korrekt“ funktioniere. Dieses genormte Deutsch ist heutzutage als Hochdeutsch oder Standarddeutsch bekannt.
Allein in Deutschland haben Sprachwissenschaftler insgesamt 20 Dialektgruppen erfasst, welche ähnliche Dialekte in eine Gruppe zusammenfassen. Die meisten dieser Dialekte sind weitaus älter als das noch relativ junge Hochdeutsch und insbesondere im Süden Deutschlands verbreitet. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass Süddeutschland noch lange ländlich und weniger industrialisiert geprägt war, was die Ausbreitung von Dialekten begünstigt. Erhöhte Mobilität und ausgeprägte Handelsbeziehungen mit anderen Regionen, führen nämlich dazu, dass eine einheitliche Sprache als Kommunikationsmittel viel dringender benötigt wird. Diese einheitliche Sprache, das Hoch- oder Standarddeutsch, basiert größtenteils auf mitteldeutschen Dialekten. Dabei spielte Martin Luthers Bibelübersetzung aus dem Jahr 1522 eine nicht zu unterschätzende Rolle. Luthers Übersetzung war im mitteldeutschen Dialekt verfasst und wurde in ganz Deutschland gelesen. Ungewollt prägte der Theologe damit die Zukunft einer ganzen Sprache.
Im Alltag spricht heutzutage jedoch keiner wirklich „reines“ Hochdeutsch. Selbst Tagesschausprechern, die eine umfangreiche Sprechausbildung absolvieren müssen, unterläuft bei durchschnittlich jedem 40. Wort eine Abweichung von der standardisierten Norm. Nichtsdestotrotz ist zu erkennen, dass die Menschen in Niedersachsen im Raum Hannover und Braunschweig dem Standarddeutsch am nächsten kommen. Nuancen gibt es natürlich aber auch hier.
Ist Hochdeutsch das bessere Deutsch?
In den letzten Jahren wird in Deutschland ein Verschwinden der Dialekte beobachtet. Gefährdet sind dabei nicht die großen und allgemein bekannten Dialekte wie beispielsweise Bayrisch oder Sächsisch, wie Sprachwissenschaftler betonen, sondern insbesondere die kleinen, unbekannten, welche die Vielfalt der deutschen Sprache prägen. Eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 2008 kam zu dem Ergebnis, dass in Ostdeutschland nur noch 33% der Befragten regelmäßig in ihrem Dialekt sprachen, während dies im Westen sogar nur 24% angaben. 1991 waren es zum Vergleich noch 41% beziehungsweise 28%. Laut Stefan Kleiner vom Institut für Deutsche Sprache sind für diesen regelrechten Schwund der Dialekte vorwiegend die drei großen M: Mütter, Medien und Mobilität verantwortlich. Demnach sprechen immer weniger Mütter mit ihren Kindern regelmäßig im Dialekt, zum einen aus Prestigegründen, aber auch weil sie vermuten, dass ihre Sprösslinge dadurch Nachteile in der Schule widerfahren. Auch Medien wie überregionale Radiosender oder Fernsehsender, in denen meist Hochdeutsch gesprochen wird und die tagtägliche Begleiter für viele Menschen sind, prägen die Sprache in hohem Maße. Ebenfalls, wie bereits vorher angesprochen, sieht auch Kleiner einen nicht zu ignorierenden Einfluss auf das Schwinden der Dialekte in der gesteigerten Mobilität, daraus resultierenden Einflüssen aus anderen Regionen und Benötigung einer gemeinsamen Kommunikationsgrundlage.
Unter den drei großen M ist speziell das Vernachlässigen des Dialekts auf Grund von Prestigegründen besorgniserregend. Hochdeutsch, so der allgemeine Eindruck, wirkt gebildeter und wie der Name vermuten lässt, gehobener. Dabei bezieht sich die Silbe „Hoch“ im Wort Hochdeutsch keineswegs auf Klasse oder Rang, sondern sollte nur zur geographischen Verdeutlichung dienen. Ursprünglich im bergigen Mitteldeutschland entstanden und gesprochen, wurde es zur Abgrenzung zum flachen Norden daher als Hochdeutsch bezeichnet. Um Irreführungen zu vermeiden, empfiehlt es sich daher, das einheitliche, genormte Deutsch besser als Standarddeutsch zu bezeichnen.
Von der Vielfalt profitieren
Mit jedem Dialekt, der in Deutschland ausstirbt, stirbt auch ein wenig Kultur, Identität und Vielfalt unwiderruflich aus. Sprachforscher sind sich einig, dass mehr unternommen werden sollte, um dies zu stoppen. Anfänge wurden in den letzten Jahren bereits gemacht, zum Beispiel durch das Wahlpflichtfach Plattdeutsch in Hamburger Grundschulen oder durch vermehrte Kurse in Volkshochschulen. Gerade aber in Familien sollte ab der Geburt mehr auf den regionalen Dialekt gesetzt werden, sodass Kinder von klein auf mit ihm aufwachsen. Sorgen um dialektsprechende Sprösslinge sollten sich Eltern dabei nicht machen. In den 70er Jahren setzte sich zwar noch das hartnäckige Vorurteil durch, dass der Dialekt in Verbindung mit einem niedrigen Bildungsstand und schlechteren Schulleistungen stehe. Neuere Forschungsergebnisse zeigen aber, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Mundart hilft Kindern beispielsweise Fremdsprachen zu erlernen, da sie in einer Form der Mehrsprachigkeit aufgewachsen sind. Auch die Rechtsschreibung gelingt ihnen im späteren Verlauf ihrer Schulzeit häufig besser, da sie von Beginn an damit konfrontiert wurden, dass gesprochene und geschriebene Sprache nicht identisch sind und sich somit schon früher als viele Klassenkameraden beim Schreiben damit auseinandersetzen.
Sprachliche Vielfalt ist ein Gewinn, den wir mehr schätzen und würdigen sollten. Und wenn meine Mitfreiwillige aus Dresden mich das nächste mal fragt, ob ich ihr den Weg zur „Kirsche“ (Kirche) erklären kann oder die Freiwillige aus Österreich meine Cordhose als wunderschöne „Schnürlsamthose“ bezeichnet, werde ich nur grinsen und mich freuen, ein Stück ihres Dialektes zu verstehen. Bis ich beim Frühstück aber selber nach einer „Semmel“ frage, werden wohl noch so einige Jahre vergehen.
Quellen:
https://www.zeit.de/2000/24/200024.stimmts_hannover.xml
https://www.allgemeine-zeitung.de/panorama/leben-und-wissen/dialekte-in-deutschland_18166486
https://www.welt.de/wissenschaft/article113938439/Muetter-Medien-Mobilitaet-Warum-Dialekte-sterben.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Standarddeutsch
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