Der Schatten
Moin!
Moin!
Ich lebe wieder. :) Nach fast drei Monaten Funkstille bin ich wieder in der Lage, zu berichten :)
Also die Erklärung für das Schweigen: In meiner letzten E-Mail hatte ich ja schon angedeutet, dass ich Probleme in der WG habe. Ende letzten Jahres war ein neuer Mitbewohner eingezogen. Goff, 57 Jahre, Luxemburger.
Am Anfang verstanden wir uns super. Ich hab ihn bestimmt so etwas wie vergöttert. Endlich mal einer, der nicht nur redet, sondern auch macht. Außerdem hatte er die Luxemburger durchschaut... Er zeigte mir sehr viel vom Land und erklärte mir auch viel. Dafür bin ich immer noch sehr dankbar.
Mitte Januar brach dann die Katastrophe über die WG her. Er schrie teilweise täglich in der WG rum. Drohte die WG zuzumachen. Beschimpfte die Leute. Das Brüllen war am schlimmsten, bei unserem hellhörigen Haus. Hier kann man nicht mal niesen oder stöhnen ohne dass es jemand hört. Und Goffs Stimme ist vergleichbar mit einem Opernsänger in der tiefsten Tonlage
Das steigerte sich alles immer weiter. Ende Februar war meine Grenze dann erreicht. Erst beleidigte er abends eine sehr gute Freundin von mir aus Utrecht (ich glaube nicht, das sie je wieder kommt!). Sie war von der gesamten WG eingeladen worden und half im Garten. Ich finde sein Verhalten immer noch unverzeihlich - vor allem, weil er ständig vom Gastrecht spricht.
Am nächsten Morgen knöpfte er sich dann mich vor. Im Anschluss daran meinen Freund. Ihn warf er auch gleich aus dem Haus! Er war bis dahin der Einzige gewesen, den Goff nie beleidigt und beschimpft hatte. Er meinte auch, dass keiner im Haus ihn leiden könnte. Inzwischen wurde Mex von den anderen Mitbewohnern mehrmals wieder eingeladen.
Als außenstehender würde ich an dem Punkt nachfragen, was ist denn so schlimm an Beleidigungen? Sie kamen am Ende fast täglich und ich lasse mich nicht unter der Gürtellinie beschimpfen.
An dem Abend ging ich dann zu meinen anderen Mitbewohnerinnen und meinte, meine Grenze sei erreicht und ich ziehe aus. Sie sagten, ich solle bleiben, wenn dann geht er. Und der andere alte Mann (eine andere Geschichte) auch gleich. Na ja, es ging dann hin und her. Ich nahm Urlaub, weil ich nicht mehr in der Lage war, zu arbeiten. Außerdem wollte ich weg.
Immer, wenn ich weg war, um Abstand zu bekommen, kam eine SMS von der WG mit der Botschaft: „Komm sofort zurück. Dringend." Zu dem Zeitpunkt bestimmte das mein gesamtes Leben. Immer, wenn ich versuchte, rauszukommen und ruhig zu werden, holten sie mich zurück.
Ende März kam dann eine Entscheidung: Sie schmissen den anderen alten Mann raus. Und ich war ihr Vorwand. Verständlicherweise macht er mir jetzt Vorwürfe. Goff hingegen blieb, weil er Besserung versprach. Nachdem ich wieder drei Tage da war, machte er erneut meinen Freund dumm an. Morgens versuchte ich einzulenken, worauf er wieder rumbrüllte und mich beschimpfte.
Das schlimmste war aber die Reaktion von Sandra, einer Mitbewohnerin, von der ich viel halte. Sie tat so, als würde ich total überreagieren. Als bilde ich mir sein erneutes Brüllen nur ein. Nix nur meine Einbildung. Ich habe viel rausgelassen, weil die Einzelheiten eigentlich egal sind. Ich hoffe, es ist dennoch verständlich.
Résumé: Die Mädels konnten auch nichts dafür, aber sie hätten mir nicht versprechen sollen, Goff ändere sich. Ich habe gelernt, dass man NIE jemandem versprechen kann, ein Anderer würde sich ändern.
Es wäre nur schön, sie hätten mich beim ersten Mal gehen lassen. Ich habe nämlich erst beim zweiten Mal einen Knacks wegbekommen. Ich versuche, es nicht zu sein aber ich bin total enttäuscht. Ich habe das Gefühl, keiner aus Luxemburg habe mir geholfen. Das stimmt aber nicht.
Sie haben sich darin erschöpft, Goff und ihr Verhalten zu entschuldigen. Dabei wurde es manchmal echt grotesk: „Du musst die Vernünftige sein, weil er es ja nicht ist. Verzeih ihm, es ist seine Art. Du musst lieb sein, das ist deine Art." Ich kann dazu nur den Kopf schütteln und hoffen, ich werde mich in der gleichen Situation anders verhalten.
Ich bin sprachlos.
Ich hätte nicht gedacht, solche Dinge zu sehen und zu lernen während meinem Freiwilligendienst. Ich habe immer vermutet, andere Grenzen zu entdecken.
Ich habe unglaublich viel über mich (wieder) entdeckt.
Damit ist das Thema Goff hoffentlich abgeschlossen. Und damit endet auch diese Mail
Der zweite Streich folgt sogleich.
Lydi