Demokratie auffrischen!
Wir stehen kurz vor den Europawahlen und viele Kampagnen versuchen gerade uns, die jungen Wähler, zu erreichen: Trotzdem wird nicht allzu viel Jugendbeteiligung erwartet bei dieser Wahl. Wie kann man Demokratie auffrischen? Wie kann man erreichen, dass gerade junge Leute sich politisch mehr beteiligen?
Unter meinen Freunden löst meine Ankündigung, diese Europawahl wählen zu gehen, keine große Begeisterung aus. „ Warum soll man wählen wenn sich eh nie etwas ändert?“ und „Die Europäische Union ist so undurchsichtig, ich wüsste gar nicht was mit meiner Stimme da passiert.“ sind die häufigsten Reaktionen. Es stimmt schon, das Wahlsystem und die Entscheidungsprozesse in der EU sind sehr komplex, vielleicht auch komplizierter, als sie eigentlich sein müssten. Tatsächlich beunruhigt mich aber die Unwilligkeit meiner Freunde, aber auch generell vieler junger Menschen, sich mit Politik und insbesondere Wahlen zu beschäftigen. Es reicht ja, den Wikipedia-Artikel durch zu lesen oder mal im Wahl-O-Mat herausfinden, welche Partei den eigenen Vorstellungen entspricht. Wahrscheinlich ist der politische Prozess einer Wahl nicht unbedingt zu schwierig, ich glaube eher, dass unsere Generation politik-faul geworden ist.
Wir sind schließlich diejenigen, die im Wohlstand und Frieden aufwuchsen, die nie etwas anderes als ein grenzenloses, prosperierendes Europa kannten - Und es daher nicht zu schätzen wissen? Was passiert aber, wenn die junge Politikbeteiligung noch weiter sinkt? Demokratien legitimieren sich über die Beteiligung der Bevölkerung, nur wenn die Mehrheit wählen geht und so ihre Zustimmung zum System gibt, hat die Demokratie die Berechtigung, zu existieren. Wenn diese Partizipation abnimmt, muss das System flexibler werden und sich den neuen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Begebenheiten anpassen - Diese Evolution von Beteiligung und Repräsentation beobachten PolitikwissenschaftlerInnen schon seit langem: Von direkten Repräsentanten und eingeschränkter Wahlbeteiligung (natürlich nur für Männer..) bis hin zum allgemeinen Wahlrecht und Volksparteien. Bei jedem Wandel schien es der Gesellschaft, die Demokratie, der ganze Staat und das ganze System stecke in einer Krise - Und so scheint es uns heute auch. Donald Trump, AFD, Front Nationale oder die Gilet Jaunes, alle reden vom Ende der Welt, wie wir sie kannten. Das wirkt natürlich erstmal bedrohlich, vielleicht ist diese Krise nur ein Zeichen zum nächsten Wandel? Und vielleicht zeigen all diese Protestparteien, Protestwähler und Protestpräsidenten auch Defizite auf, Missstände in unseren Gesellschaften und Probleme, die wir zu lange ignoriert haben. Von diesem Gedanken inspiriert, recherchierte ich alternative Demokratie-Ideen und Ansätze, gerade junge Menschen mehr in Politik einzubinden:
- Bürgerbeteiligung per Los?
Ein sehr spannender Ansatz kommt von dem Historiker David Van Reybrouck: Man könnte viele politische Repräsentanten einfach unter der Bevölkerung losen. So könnte beispielsweise die eine Hälfte des Parlaments aus gewählten, fachkundigen Politikern bestehen, und die andere Hälfte bunt zusammen gelost aus der Bevölkerung. Das würde Wahlen tatsächlich um einiges attraktiver und interessanter machen, denn so könnte jeder Deutsche/jede Deutsche theoretisch im Parlament und einer entscheidenden Position landen. Das birgt natürlich das Risiko, dass auch Menschen die nicht sehr politisch gebildet sind in diese Positionen gelangen, aber darin liegt auch die Chance dieses Modells: Schließlich hat jeder Erfahrungen und Ansichten, die man in die Politik einbringen sollte, und das sorgt für eine größere Perspektivenvielfalt. Gerade auch für junge Menschen bietet dies eine große Chance, da sie so auch ohne jahrelanges Studium und durch Vitamin B in die Politik kommen. Und ganz so utopisch ist die Bürgerbeteiligung per Los auch gar nicht mehr: In vielen Ländern, so zum Beispiel Kanada, den Niederlanden, Island oder Belgien sind bereits wichtige Entscheidungen mit der Beteiligung zufällig ausgewählter BürgerInnen getroffen worden.
- Ein Bürgerhaushalt?
Wohin Steuergelder fließen, ist oft undurchsichtig, und sie scheinen nie an den wichtigsten Stellen zu landen, so wie in Bildung oder Infrastruktur. Die Idee eines Bürgerhaushaltes will hier entgegenwirken: Die Finanzen sollen offen gelegt werden, und alle Bürger sollen einsehen können, wohin die Gelder wirklich fließen. Sie können aber auch entscheiden, welche Projekte gefördert werden sollen und welche für die Gesellschaft wirklich wichtig sind. Das schafft Transparenz und Vertrauen in die Politik, es gibt aber auch reale Entscheidungsgewalt: Damit können Kommunen ihre Umgebung und ihre Finanzen selber gestalten, was beispielsweise bereits in einigen brasilianischen Kommunen passiert - Mit Erfolg: Die Korruption sinkt, es wird mehr Geld in der Verwaltung gespart und in soziale Projekte investiert.
- Liquid Democracy?
Mangelnde Repräsentation ist eine häufige Kritik an unseren Demokratien - Viele Menschen fühlen sich durch die existierenden Parteien nicht richtig vertreten, sie sehen ihre Interessen in der Politik nicht vertreten. Mit einer Liquid Democracy, einer digitalen Demokratie, versucht man die harten Grenzen zwischen PolitikerInnen und BürgerInnen aufzuweichen. BürgerInnen sollen digital viel häufiger entscheiden dürfen, sie sollen bei allen wichtigen politischen Entscheidungen mitbestimmen dürfen und sogar Gesetzestexte - theoretisch- ändern können. Auch wenn viele Staaten bereits versuchen, ihre Verwaltungen zu digitalisieren und digitale Wahlen zu ermöglichen, ist eine Liquid Democracy bis jetzt nur eine Utopie.
Es ist unglaublich inspirierend, welche Kapazitäten Demokratie insbesondere in Kombination mit moderner Technologie hat - Gerade unsere Generation kann das nutzen, und alle Symptome der Krise in einen positiven Wandel konvertieren.
Quellen und weiterführende Links:
https://www.youtube.com/watch?v=fg0_Vhldz-8
http://www.bpb.de/dialog/netzdebatte/171508/politische-teilhabe-im-netz
https://www.theguardian.com/books/2016/jul/18/against-elections-the-case-for-democracy-david-van-reybrouck-review