Cişliţa - Prut…
Ein Ausflug mitten ins moldawische Leben, ganz am Rande Moldawiens: Lockenjule erhät eine besondere Einladung. Mit anderen Freiwilligen besucht sie die Verwandten einer moldawischen Freundin.
Von Sonntag sehr, sehr früh morgens bis Montag spät abends unternahmen sechs Freiwillige, darunter auch ich, zusammen mit einer Moldawierin unseres Alters einen Ausflug der besonderen Art. Das Mädchen hatte uns eingeladen, sie beim Besuch ihrer Verwandten zu begleiten, welche in einem Dorf ganz im Süden Moldawiens lebten. Wir stimmten natürlich zu; gibt es doch kaum einen besseren Weg, das Leben außerhalb Chisinaus (also im richtigen Moldawien) kennen zu lernen.
Früh um fünf Uhr aufgestanden, saßen wir dann um acht Uhr nach zwei Stunden Treffpunkt suchen und zum Busplatz gelangen endlich im Bus, wenn auch vollkommen durchgefroren. Als dann nach einer Stunde Fahrt in dem klapprigen ‚Reisebus‘ auch endlich Temperaturen über 20 Grad erreicht waren, konnten wir uns endlich richtig auf den Ausflug freuen.
Auf der Busfahrt ereignete sich auch gleich der erste außergewöhnliche Zufall. Neben uns saß irgendein Fernsehreporter, der uns dank unserer Sprache natürlich gleich als Ausländer wahrnahm und unsere moldawische Freiwillige fragte, warum wir hier seien. Als sie ihm dann von unserem Freiwilligendienst erzählte, bat er uns darum, an einer der nächsten Haltestellen nur kurz auszusteigen und ein paar Interviews zu geben, er würde nur schnell das Kamerateam anrufen. Etwas perplex stimmten wir zu und fanden uns zwei Stunden später vor der Bustür wieder, von der Fahrt zerknautscht in Kameras lächelnd und unsere Erlebnisse in Mikrofon sprechend.
Fünf Minuten später saßen wir dann schon wieder im Bus zum nächsten Dorf, angestarrt von sämtlichen anderen Fahrgästen. Auf dem Land ist man schon eine echte Attraktion. Eine Attraktion für uns waren die Toiletten an einer Art Rastplatz. Immerhin, ein aus Stein gebautes Haus mit einer Wand in der Mitte, links die Männer, rechts die Damen. Für beide Geschlechter dann hübsch aneinander gereiht fünf Löcher, aus denen es zum Himmel stank und die von einigen wohl nicht ganz getroffen worden waren. Aber wer muss, der muss, und es ist in meinen Augen immer noch besser, sich über ein Loch zu hocken, als sich auf eine verkeimte Dixi-Klo-Brille setzen zu müssen.
Nach viereinhalb Stunden Fahrt in dem stickigen Bus kamen wir dann endlich in jenem Dorf an der Grenze zur Ukraine und zu Rumänien an, in dem die Verwandten von Alexandra, unserer moldawischen Freundin, lebten. Es sah aus wie jedes Dorf hier: Eine befestigte Straße, sonst Sandwege. Gänse und Hühner auf der Straße, Pferdewagen, alte blaue Eingangspforten und meist schon sehr heruntergekommen aussehende hellblaue oder graue Häuser. Alexandra führte uns zuerst zum Hof ihrer Oma, wo wir schlafen sollten. Er bestand aus zwei kleinen Häusern, einem Gemüsegarten, einer Waschecke, einem Hühnerstall , einem Schafstall und einer Wiese hinterm Haus, wo die Hühner sich vergnügten und jeden auslachten, der tagsüber aufs Klo in das stinkende Lock in der Ecke des Gartens musste.
Immerhin, die Oma hatte Elektrizität, aber kein fließend Wasser. So wuschen wir das Geschirr fürs Mittagessen in einer kleinen Schüssel in der Küche, dem einzigen warmen Ort des ganzen Grundstücks. Schlafen sollten wir in dem anderen Häuschen, in dem es immerhin drei Räume mit fünf Betten gab, sogar Kissen und Decken für alle. Um die Betten herum lächelten diverse Marias mit Kind und verstaubte Wandteppiche zu uns herunter. Und uralte Schwarzweiß-Fotos von jungen Menschen in Rüschen und gebügelten Hosen, aber keiner von ihnen lächelte. In Moldawien wird sowieso sehr selten gelächelt, nur bei Begrüßungen oder wenn jemand einen Witz macht.
Zwischen diesen Wanddekorationen aßen wir dann auch Mittag: In Kraut gekochtes Huhn, mit Reis gefüllte scharfe Paprikas, Fisch, Weißbrot und Marmorkuchen. Es schmeckte hervorragend, auch wenn ich lieber weggeschaut habe, als die Oma das Essen auf dem uralten verkeimten Herd in den krustigen Töpfen zubereitete.
Nach dem Essen bat man uns in den Schafstall, denn uns zu Ehren wurde eines der vier Schafe geschlachtet, und man hatte extra auf uns gewartet, damit wir dabei zusehen konnten. Es war gar nicht so schlimm wie ich dachte. Der Mann, der das Tier enthauptete, tat das aber auch so schnell, dass das Schaf seinen Tod gar nicht so recht mitbekam. Dafür zuckte es aber umso länger. Im Nachhinein fiel mir auf, dass das Schaf im Wesentlichen aus Fell und Magen bestand. Es war schon interessant, mal zu sehen, wie das, was wir auf dem Teller haben, so Stück für Stück auseinander genommen wird. Erst das Fell und die Hufe, dann die Augen, dann der Kopf, dann die Innereien. Man, ich hätte nicht gedacht, dass die Gedärme wirklich dieselben Farben haben, wie immer auf den Anatomie-Lern-Bildern gezeigt wird. War schon spannend.
Danach gingen wir (bepackt mit dem frisch zerkleinerten Fleisch) zum Haus von Alexandras Tante, was das totale Gegenteil des Hauses der Oma darstellte. Es war groß, hatte fließend Wasser und eine Fußbodenheizung und erinnerte stark an ein deutsches Einfamilienhaus. Die Tante, ihr lustiger kugelrunder Mann und die ebenso runden Kinder begrüßten uns sehr herzlich mit selbst gemachtem Wein, den es übrigens auch schon zum Mittag gegeben hatte, selbst gebranntem Schnaps und danach Tee. Ich sag es mal so: Ich war noch nie in meinem Leben nachmittags um zwei Uhr schon sooo besoffen. Aber wer hier zu Besuch kommt, der trinkt mit.
Nachdem ich dann wieder geradeaus laufen konnte, fuhr der Onkel uns zur Grenze zu Rumänien und zur Ukraine. Wir saßen also zu acht in einem fünf-Mann-Wagen, immer noch restbetrunken, auf einer wackeligen Sandstraße tuckernd. Das war eine lustige Fahrt, sag ich euch. An der Grenze angekommen genossen wir die Aussicht auf den Grenzfluss und das Nachbarland, macht hübsche Fotos und fuhren dann, diverse Verbotsschilder ignorierend, noch zu einem anderen Punkt, wo man wunderbar weit auf Rumänien schauen konnte.
Nachdem wir auf den dortigen Sandhügeln ein wenig rumgeklettert waren, ging’s auch schon zurück zum Haus der Tante, dort sahen wir uns ein Video der erst kürzlich stattgefundenen Hochzeit im Nachbardorf an. Ich hab zwar die Hälfte des Films meinen Rausch ausgepennt, hab aber trotzdem alles von der Hochzeit gesehen.
Erst essen und trinken ohne die Braut, dann trinkend zum Haus der Braut ziehen, dort die Trauzeugen schmücken und feierlich Hefeteigbrot übergeben. Das zerreißt die Braut dann in Stück und wirft sie in die Menge. Die Frauen, die das Brot fangen, heiraten als nächste. Dann mit der Braut zur Kirche, trinkend natürlich, dann zum Festsaal. Dort gratuliert jeder der Braut und verkündet laut, was er schenkt und wie viel Geld er noch dazu steckt. Dann wird gegessen und getrunken. Dann wird getanzt, moldawische Volkstänze, einen davon tanzen die Männer auf Stühlen. Dann werden die Braut und der Bräutigam in alle Geschenke eingewickelt: Es werden nämlich traditionell vor allem Decken, Handtücher und Tischdecken geschenkt. Dabei wird der Braut auch der Schleier abgenommen und dafür der Kopf in ein weißes Hausfrauentuch gewickelt, in das dann auch wieder Geld gesteckt wird. Dann ist sie offiziell Teil des Hauses des Mannes. Dabei heult sie natürlich, weil sie jetzt ihre Familie verlassen hat. Den Schleier bekommt die jüngere Schwester oder aber die beste Freundin angesteckt. Dann wird das Brautpaar wieder ausgewickelt und die Braut schneidet, als nun verantwortungsvolle Hausfrau, allein die Torte an. Dann wird wieder gegessen und weiter gesoffen, bis der Morgen kommt.
Nach anderthalb Stunden Video rief die Tante uns dann wieder zum Essen. Das vor drei Stunden geschlachtete Lamm wurde uns nun zusammen mit Kohlsalat, frischen Tomaten und Weißbrot frisch gegrillt serviert. Ich konnte leider kaum etwas von dem Fleisch essen, da es mich geschmacklich zu sehr an das Fleisch vom Weinfest erinnerte, welches mir die meinen wunderbaren Magen-Darm-Infekt bescherte. Aber sonst war das Essen lecker und so frisch, dass man es als Deutscher kaum fassen kann.
Dazu gab es Kompott (dieses Getränk aus Fruchtstücken, ehemals heißem Wasser und Zucker) und danach Wein, viel Wein und Bier und noch mehr Wein. Gegen elf Uhr wankten wir schon wieder sturzbetrunken aus dem Haus, nach vier Stunden essen, saufen und diversen Spielen. Inzwischen waren noch einige Freunde aus der Nachbarschaft gekommen. Mit der Familie und ihnen spielten wir viele lustige, immer blöder werdende Spiele: Zum Beispiel, mit einem Löffel im Mund eine darauf liegende Zwiebel weitergeben (unsere Idee) oder einen an den Hintern gebundenen runterbaumelnden Stift hockend in einen Flaschenhals buchsieren (deren Idee). Man merkt es, der Abend war sehr lustig.
Als wir dann endlich in unseren Betten lagen (Rosi und ich in einem Zimmer) kam auf einmal sturzbetrunken ein Freiwilliger (ein sehr amüsanter Belgier) aus dem Nachbarzimmer rein und hielt und noch zwei Stunden voller Gelächter wach. Zwischendurch ging er kurz weg und kam dann durchs Fenster wieder rein, unter welchem mein Bett stand, sodass ich mich tüchtig erschreckte. Aber irgendwann lag auch er im Bett. Und ich musste aufs Klo. Dringend, nach weiß ich wie vielen Litern Wien, Bier und Kompott. Doch ich traute mich nicht, denn ich hörte Schritte vorm Haus und die Hunde bellten schrecklich aggressiv.
Irgendein fremder Mann schlich auf dem Hof herum, und ich starrte nur angsterfüllt aufs Fenster und konnte nicht schlafen. Irgendwann konnte ich es nicht mehr aushalten und weckte Rosi, die dann geistesgegenwärtig mit mir mitkam, hinters Haus auf die Wiese, um in die Ecke zu pinkeln. Als wir dann wieder im Bett lagen, war es draußen ruhig und ich konnte endlich schlafen. Übrigens: Tatsächlich war nachts ein fremder Mann auf dem Hof rumgeschlichen, der die Hunde verrückt gemacht hatte. Nur war es kein Dieb oder Hausierer gewesen, nein, es war der lustiger Belgier, dem so schlecht geworden war, dass er sich übergeben musste und verzweifelt auf dem Hof rumirrte, um eine Ecke zu finden, wo er dies tun könnte.
Am nächsten Morgen gegen sechs musste ich noch mal aufs Klo, wieder hinten raus auf die Wiese. Die Sonne war bereits am aufgehen, die Oma war schon im Garten beschäftigt und die Hühner auf der Wiese zugange. Eigentlich hätte ich ins Klohäuschen gehen sollen. Aber es stank dort so erbärmlich, dass ich mich doch lieber für eine Ecke entschied, in der die Oma mich nicht sehen konnte. Leider hatte ich dabei in meiner Resttrunkenheit die Hühner vergessen. Als ich also in der Ecke hockte, kamen geschätzte zehn Hühner auf mich zugerannt und gesellten sich mit neugierig ruckenden Köpfen um mich herum. Ich war noch nie so schnell mit meinem Geschäftchen fertig wie an diesem Morgen. Darauf schlich ich zurück ins Bett und schlief noch weitere drei Stunden.
Dann erwachte ich von Rosis lautem Geschnaube, deren Hausstauballergie sich dank der Wandteppiche so richtig auslebte. Da wir nun beide wach waren (und immer noch Restalkohol im Blut war) begannen wir, alte deutsche Schlager und Volkslieder zu singen und damit die anderen in dem Nachbarzimmern zu wecken. Zwei Stunden später zogen wir dann mehr oder weniger verkatert zum Haus der Tante, um uns die Zähne zu putzen und zu frühstücken. Zum Frühstück gab es Cremetorte, ganz frisches helles und dunkles Brot sowie Butter, frischen Honig, Salz und leberwurstähnliche Fleischpastete. Ein richtig uriges Frühstück.
Dann führten Alexandra und ihr kleiner Cousin uns zu einem alten Friedhof am Rande des Dorfes, inmitten hoher bewachsener und zerklüfteter Sandhügel. Dort kletterten wir noch eine Weile herum, dann ging es auch schon wieder zurück zur Tante zum Mittagessen. Damit wir hier nicht vom Fleische fallen. Diesmal gab es das Lammfleisch in zahlreichen Gewürzen gekocht, dazu Brot und eingelegte Tomaten. Das Fleisch schmeckte traumhaft zart und würzig, man kann das gar nicht richtig beschreiben. Die eingelegten Tomaten hingegen schmeckten ziemlich komisch, sowie das meiste Zeug, was man hier in Moldawien einlegt.
Dann packten wir auch schon unsere Sachen, gingen zum Haus der Oma, um uns zu verabschieden und unsere Taschen zu holen. Von allen (sehr zahlreichen) Familienmitgliedern wurden wir für den Winter und den Sommer wieder eingeladen. Zum Schluss zeigte uns Alexandra noch einen schönen Aussichtspunkt am Rande des Dorfes, an dem man auf Rumänien gucken konnte. Doch nach kurzer Ausblickpause ging es schon wieder zurück zur Dorfstraße, wo wir eine dreiviertel Stunde lang dafür beteten, dass ein Bus nach Chisinau kommen möge. Es kam auch einer. Und nach vier Stunden Fahrt in völliger Dunkelheit (denn es wird ja jetzt gegen fünf Dunkel und Licht gibt’s im Bus nur, wenn angehalten wird) waren wir wieder zurück in Chisinau; in dem Bewusstsein, Moldawien jetzt von seiner ursprünglichen Seite kennen gelernt zu haben.
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