Chöre, Käse, Kathedrale – Ein Tag in Durham
Alles Käse oder was? In Durham hat Johannson ein Ziel: Käse finden und Käse kaufen. Denn was macht einen Deutschen in England glücklich? Französischer Käse und ein ordentliches Schwarzbrot! Danach kann es auch in der Kathedrale von Durham mit der geistigen Suche weitergehen.
Irgendeine mir bekannte, wenn auch minder wichtige Person schrieb mir gerade etwas von fünfunddreißig Seiten alle drei Tage, da wollen wir doch niemanden enttäuschen. Aktueller Anlass: Gestern war ich mit Debby, Joanna und Hanni in Durham. Wie Ihr ja gelesen habt war dieser Besuch eigentlich schon vor zwei Wochen geplant, aus Termingründen aber immer wieder verschoben und letztendlich auf Mittwoch, den 23.02., gelegt worden. Was den Vorteil hatte, dass alle oben erwähnten Personen teilnehmen konnten. Wobei es dann doch nicht so organisiert wie zuerst vermutet war, da mir am Vorabend noch von allen Seiten geschrieben wurde, wie und wann und wo denn nun überhaupt. Letzten Endes haben wir uns erstmal im Sprachkurs getroffen und den dann auch größtenteils mitgemacht, bevor wir zum Busbahnhof gelaufen sind. Nach Peterlee hat mich zum Glück Paul gefahren, obwohl dieser Tag ja eigentlich meine Freizeit und damit auch meine Verantwortung war. Aber so musste ich wenigstens nicht über den inzwischen gefrorenen Schnee und durch die Kälte zur Bushaltestelle laufen. Das kam erst abends. Die letztens beschriebene Landschaft ist inzwischen größtenteils wieder verschwunden; obwohl es immer wieder schneit, nimmt die Schneedecke beständig ab. Zum Glück habe ich meinen Spaziergang gemacht, als noch Zeit war. Allerdings war der Mittwoch als kältester Tag des Jahres angekündigt worden und so zog ich lieber meine schweren Arbeitsstiefel an, mit denen ich mich in diesen Bedingungen am sichersten fühlte.
Ziege im Schafspelz
Wie dem auch sei, im College stellte ich erstmal fest, dass Joanna von überhaupt nichts wusste, Gott sei Dank aber den Tag frei und so trotzdem Zeit für Durham hatte. Schulisch hat sich nicht soviel abgespielt. Ich hab mich wieder durch einige irrwitzige Zischorgien gekämpft und nebenbei ein paar von Mareen geschickte Sachen heruntergeladen. Das waren zum einen einige Fotos, darunter eins von Sheila, das mich verstehen ließ wie Leute heute staunen, die sie vor einem Jahr, also noch ganz jung gesehen haben. Sogar in Mareen’s Armen sah sie winzig aus. Kaum zu glauben, dass dieses wirklich treffend beschriebene „Häufchen Elend“ heute drei Ziegen herum schubst. Wir haben gerade wieder von der Clarences Farm gehört (die sitzen zur Zeit auch möglichst im warmen Büro am Telefon) und offensichtlich lebt sich Sheila nicht so rasend schnell ein. Liegt vielleicht daran, dass sie ihr Leben lang nur mit Ziegen zusammen gewohnt und nicht mal ihr Mutterschaf länger als zehn Minuten gesehen hat. Sie hat so gar kein Interesse an den anderen Schafen und nicht einmal der Bock konnte sie beeindrucken. Also entweder ist sie lesbisch oder hält sich für eine Ziege. Oder beides. Wäre ja nicht die erste Wahnsinnige von der Farm.
Studienvorbereitung
Neben diesen Bildern also kamen noch verschiedene Dokumente einer recht großen Untersuchung Mareen’s, die hier aber anscheinend etwas in Vergessenheit geraten ist. Zumindest wenn ich das richtig einschätze. Jedenfalls erwäge ich die Möglichkeit, sie etwas fortzuführen und so ihren Standard ein wenig herabzusetzen. Genau wie ich ja dieses Infoblatt über die Küstenflora machen wollte. Aber ohne Digitalkamera wird das wohl schwierig. Ach ja, ich wollte und will so vieles machen. Neben Sprachkursübungen sitze ich gerade an meinem „mid-term-report“, der wohl eigentlich eher für eine kurze Beschreibung des jeweiligen Projektstandes vorgesehen ist, aber gerade von mir auf unermessliche Dimensionen aufgebläht wird, dabei bin ich gerade mal beim ersten Punkt im ersten Abschnitt. Irgendjemand in der Organisation wird mich bald hassen.
Völkerverständigung
Mareen und ich sind ein wirklich gutes Team, wenn es um das Aufpolieren des deutschen Images geht. Joanna hat gestaunt, als sie die polnischen Elemente in der Mail meiner Vorgängerin las. Ich dachte ja es würde gar nicht so schlimm um uns stehen und in Britannien hat man als Deutscher ja eher einen Vertrauensvorschuss, aber was mir die Polinnen und Hanni erzählten war nicht so sehr schmeichelhaft. Nun ja, wenigstens mögen sie mich oder sagen es zumindest, mehr will ich ja gar nicht. Wir haben das College etwas früher als gewöhnlich verlassen, um den Bus rechtzeitig zu erwischen und um endlich wieder etwas ordentliches Schwarzbrot aus dem Aldi zu holen. Mit uns ist dann noch jemand anderes gekommen, der sich als Debby’s derzeitige Hausherrin vorstellte. Sie hat zwar anscheinend inzwischen ihr Haus gekauft, aber aus irgendeinem Grund die Schlüssel noch nicht erhalten und musste so erstmal auf diese Zwischenlösung zurückgreifen. Mir war diese Frau ja irgendwie ein wenig suspekt, vor allem als sie mir erklären wollte, wie man hier Bustickets kauft, sie ist aber scheinbar keine uninteressante Person. Hat auch ein Jahr in Südafrika gelebt und beherbergt nun in ihrem Haus so eine Art UN-Vollversammlung.
Zelluloidvernichtung
Trotzdem habe ich mir vom Bus aus meist eher die Landschaft draußen angeguckt. Irgendwie habe ich erst jetzt, durch die auf den Feldern liegende unberührte Schneeschicht, gemerkt, dass County Durham doch gar nicht so flach ist. In dessen Hauptstadt angekommen sind wir recht zielstrebig, aber trotzdem langsam, über die Wear, den Fluss Durham’s, Richtung Marktplatz gelaufen. Langsam zum einen, weil wir massenhaft Fotos gemacht haben (wir auf der Brücke, wir mit Schloss im Hintergrund, wir mit Kathedrale im Hintergrund, wir vor roter Telefonzelle, wir vor Denkmal... es war nicht meine Idee), und zum anderen, weil ich auf der Suche nach gutem Brot in jede Bäckerei gerannt bin (war allerdings meine Idee). Wie ihr ja wisst war ich auf der Suche nach guten, teuren Geschäften für Esswaren.
Schatzhöhle
Die habe ich dann auch gefunden. Den von Paul erwähnten Deli gleich gegenüber von dem Busbahnhof haben wir zwar nicht entdeckt, aber dafür hatte ich im Zweitziel, den Markthallen, Glück. Durham hat auf dem Marktplatz den Eingang zu solchen und nachdem ich ganz am Anfang, vor einigen Monaten, nur einmal kurz dort reingeschaut habe, rief sie mir Grainger Market mit verstärktem Interesse wieder ins Gedächtnis. Denis Frazer hat mir letztens außerdem von einem Baurmarkt in der Stadt erzählt, was auch sehr interessant klingt. Das Schneetreiben draußen war ohnehin Grund genug, etwas Überdachtes aufzusuchen. Denn auch wenn Durham, wie erwartet, als mittelalterliche Stadt im Winter einfach toll aussieht, war es natürlich auch verdammt kalt.
Die Rückkehr des Königs
So sind wir alle ein wenig an den Ständen vorbei geschlendert, wobei es mich etwas Zeit kostete, den gewünschten Stand zu finden. Erst habe ich nur schnell ein bisschen Petersilie und Knoblauch geholt, aber dann ganz am Schluss entdeckte ich die Käsetheke! Die Bedienung konnte zwar offensichtlich nicht viel Verständnis dafür aufbringen, dass man sie erst störte und dann auch noch Waren für sein Geld verlangte, aber dafür hat es sich gelohnt. Zu Beginn sah es ja nicht so gut aus, da die Auswahl nicht gerade begeisternd war und dann auch noch vorwiegend aus verdächtig aussehendem Abgewöhnungskäse bestand. So Sachen, wahrscheinlich von Einheimischen für Einheimische, die vermutlich mit Essig und warmem Bier genossen werden. Aber dann! Fast war ich enttäuscht mit dem Lesen aller Schilder fertig, als meine Augen ganz zum Schluss auf die fünf Buchstaben und den einen Akzent der Hoffnung fielen: Comté! Initialgeschmack von Edinburgh, Glück dieser Welt, hier war es zu haben und das für nur £ 1.15 die hundert Gramm. Davon zweihundert Gramm und weitere hundert vom Brie du Pays in Papier in eine Tüte in meinen Rucksack, jetzt in meinem Kühlschrank und bald in meinen Magen; kein Abendbrot kann mich mehr schrecken.
Großer Glaube
Selbstverständlich fährt man nicht primär für Käse nach Durham, auch wenn das natürlich allein Grund genug wäre, sondern vor allem der Kathedrale und des Schlosses wegen. Zu selbigem lenkten wir nun unsere Schritte, damit Debby beides zum ersten Mal sehen konnte. Durham ist an sich schon schön genug mit seinem Fluss, den Brücken, Gassen, Cafés und vielen Studenten, aber die riesige Kathedrale ist einfach außergewöhnlich. Seit jeher halb Kirche, halb Festung gegen die Schotten, steht sie auf dem höchsten Platz der Stadt, oder besser die Stadt steht um sie herum; eine große Wiese zwischen sich, dem jetzt als Universitätsinternat dienendem Schloss und diversen anderen umfunktionierten historischen Gebäuden. Hier haben früher die Prinzbischöfe residiert, die im Nordosten politische und geistliche Macht in ihrer Hand versammelten. Wir entschieden uns zuerst für die Kathedrale, in die wir gingen nachdem wir natürlich noch einige Fotos gemacht hatten. Für mich und mit Sicherheit für die meisten Besucher ist sie jedes Mal ein Erlebnis und das nicht nur, weil ich schon lange nicht mehr dort gewesen war. Allein ihre Größe, selbst ohne das anschließende Kloster, ist beeindruckend. Der richtige Platz auch, um eine Polin zu erleben, denn Joanna ist, wer hätte das gedacht, gläubige Katholikin. Auch wenn die Kathedrale ja zur englischen Kirche gehört und damit nicht katholisch sein dürfte, andererseits aber auch nicht wirklich protestantisch sondern eben etwas ganz und völlig anderes, - wozu sind wir denn auch in England. Ich habe die meiste Zeit in einer kleineren Kapelle mit Hanni geredet, bis es irgendwann plötzlich verdächtig still wurde und uns die Beiden Anderen nach vorne riefen.
Kinderchorgeist
Ein Kaplan sammelte die letzten Besucher aus dem hinteren Schiff ein, da vorne ein Schulchor anfing zu singen. Leider sind wir vorher gegangen, da wir um zwei eine Führung durch die Burg mitmachen wollten. Ich mag Chöre, besonders den in Durham, und auch wenn es zu diesem Zeitpunkt nicht der der Kirche war, hätte ich ihn mir gerne etwas angehört. Bedauerlicherweise sagte uns der Pfarrer auch, dass der richtige Chor erst kurz nach Fünf proben würde, wenn wir wahrscheinlich schon auf dem Rückweg sein würden.
Argumentationshilfe
Aber gut, mir wurde die Tour durch das College gerade erst empfohlen und wir bekamen auch noch Schülerrabatt, selbst Debby mit ihren fünfzig Lenzen, aber als Sprachschüler kriegt man eine NUS Card (National Union of Students; nationaler Schülerverband) und damit an bemerkenswert vielen Stellen Ermäßigungen. Hier sage und schreibe fünfzig Prozent, auch wenn wir erst sparen durften nachdem uns ein nicht hundertprozentig freundlicher Pförtner zurückgerufen hatte, weil wir sein kleines Büro übersehen hatten. Eine Schande, beim ersten Mal hat mich noch keiner verdächtigt, als ich hineingegangen bin. Dafür konnte ich Hanni und auch Joanna beweisen, dass es neben mir durchaus noch andere nette Deutsche gibt. Denn wie mit jedem, mit dem ich mich hier gut verstehe, verbringen wir viel Zeit damit, uns gegenseitig der Nichtsnutzigkeit unserer Heimatländer zu versichern. Aber mit den Tickets in der Hand wussten wir immer noch nicht, wo wir sie denn nun in eine hochinformative Führung umsetzen konnten, woraufhin ich eine Studentin fragte, die mir mit einem meinen fremdsprachlichen Stolz tief untergrabenen „Bist Du Deutscher?“ antwortete. Nun gut, aber sie war das auch und wusste außerdem, wo ich hinmusste, was sie uns auch verriet und zwar weit freundlicher als der Pförtner, sogar noch mit einem Wunsch für viel Spaß.
Bei Harry zu Hause
Sie dirigierte uns etwa zwei Meter neben sich, wo eine kleine, schwarz gekleidete Person mit grob geschätzten drei Millionen Karteikarten in der Hand stand. Naja, so etwas übersieht man von meiner Höhe eben ab und zu mal. Diese neue Studentin war unsere Führerin und ein einziges Nervenbündel. Wegen Dacharbeiten begann die Tour nicht auf dem Burghof, sondern im Haupteingang, wo sie hektisch zwischen ihren Karten hin und her wechselte und vor Nervosität wahrscheinlich am liebsten weg gerannt wäre. Diese Option dann aber verwerfend bombardierte sie uns lieber mit genug Namen, Zahlen und Daten für zwei Telefonbücher und eine Biographie. Immerhin habe ich das meiste verstanden, wie sie über die fliegenden Treppen und das Schlossgespenst redete und wie die ganze Anlage irgendwann zusammen brechen wird, wenn nicht schnell was gemacht wird. Was schade wäre, denn die Burg stammt noch aus normannischer Zeit und ist wirklich hübsch; wenn ich da jetzt nichts durcheinander bringe, wurde dort der letzte Harry Potter Film gedreht. Leider war die Führung etwas kurz, aber dafür war die Studentin am Ende wieder gefasst genug, um noch ein paar mehr Fotos von uns zu schießen. Außerdem ist die Hälfte der Anlage ohnehin vom eigentlichen Internat belegt und bei aller Sympathie sind die Schlafsäle der Studenten für mich weniger interessant. Danach sind wir im Schneegestöber noch einmal rüber zur Kathedrale gelaufen, an Studenten mit zuviel Zeit und ihrem Schneemann vorbei, und in das hinter der Kirche sich anschließende Kloster. Nicht etwa um Debby noch etwas kulturell Wertvolles zu zeigen, sondern vielmehr, um auf den zugeschneiten Innenhof des Kreuzgangs zu laufen. Und Fotos zu machen. Falls das noch extra erwähnt werden muss. Das Gleiche setzte sich dann wieder außerhalb der Kathedrale fort, wo Joanna eine dieser in Polen offenbar Heiligenstatus besitzenden roten Telefonzellen entdeckte und davon ein paar Beweisbilder wollte.
Freiwilliger fressen Büfett auf
Jetzt wollten wir alle ein wenig ausruhen und etwas Warmes trinken und essen. Eigentlich hatte ich ja vor, dieses von Jasmina empfohlene „Brown Sugar“ Café zu suchen; aber als es nicht sofort zu entdecken war, sind wir langsam die Gassen wieder zurück zum Marktplatz geschlendert. Nachdem sich auch dort nichts Passendes fand (und Joanna mehr Fotos von mehr Telefonzellen gemacht hatte)gingen wir weiter zum Busbahnhof. Dort hatte Hanni auf dem Hinweg ein chinesisches Take-away Restaurant entdeckt und schlug Selbiges begeistert vor, da sie scheinbar eine ganz besondere Affinität zu asiatischen Essen hat. So gingen wir dort hinein und zahlten eine Pauschale von fünf Pfund. Man kann billiger essen, aber ich habe diesen Preis für mich äußerst ökonomisch gestaltet. Ich habe eine gewisse Hassliebe für diese Selbstbedienungsläden, vor allem wenn man soviel nehmen kann wie man will. Immer landet zuviel auf meinem Teller, denn alles sieht so interessant aus wie es riecht und meist auch schmeckt. Nachdem ich meine Portion von Nudeln gemischt mit Reis, Fleischspießen, Chips, Geflügelstücken, Gemüsebeilage, verschiedenen Soßen und Sachen, für die ich noch nicht mal einen Namen kenne, beendet hatte, ging ich zum Entsetzen der Anderen noch einmal los, um die gleiche Menge all der Dinge aufzunehmen, für die beim ersten Mal der Teller nicht reichte. Joanna war fassungslos. Vor allem, als danach noch ein paar Kostproben der Desserts kamen. Bei dieser Gelegenheit gab ich einige Bilder meiner Familie herum und auch wenn ich die unterstellte äußerliche Ähnlichkeit mit meinem Vater vehement bestreite, sehe ich sie bei den Essgewohnheiten selbst mit wachsender Sorge. Aber ich habe es wirklich genossen, zu viert dort zu sitzen, zu essen und zu reden; es hat mich sehr an Edinburgh erinnert, an das Leben was ich hier ab und zu vermisse.
Neue Familie
Außerdem stellte Hanni verblüffende Gemeinsamkeiten zwischen ihrem Bruder und mir fest, und da ich ja sowieso an der gemeinsamen Herkunft mit meiner Familie zweifle, gab mir das zu denken. Später sah ich noch Bilder von ihrem Bruder, und auch wenn ich natürlich leicht besser aussehe, hat sie nicht ganz Unrecht. Wer weiß, vielleicht habe ich eine türkische Schwester. Und Verwandte in ganz Europa, die ich jederzeit und unbegrenzt lang besuchen fahren kann. Auf jeden Fall habe ich jetzt Lokalverbot in einem chinesischen Restaurant, denn an diesem Tag sind diese Leute mindestens Pleite gegangen. Aber gut war es, daran gibt es keinen Zweifel. Hanni berichtete mir, eine syrische Sprachschülerin macht in naher Zukunft einen arabischen Take-away ganz in der Nähe von Easington auf. Ich glaube, ich kenne die sogar und hatte schon mal gehört, dass sie in meinem Dorf wohnt, aber ihr Englisch war so rudimentär, dass ein Gespräch nichts brachte. Hanni muss da irgendwie erfolgreicher sein, dabei spricht sie meines Wissens kein Arabisch. Aber sie ist auch so ein Mensch, der leicht Zugang zu anderen findet.
Alte Bekannte
Den lassen andere Leute ja bekanntlich gerne vermissen. Nach dieser Mahlzeit machten wir uns auf den Weg zurück zum Busbahnhof, um noch Hannis zu Hause zu besuchen, was knapp außerhalb von Peterlee in Whitley Hill zu finden ist. Leider konnte Joanna nicht mit uns kommen, da sie kein Tagesticket gekauft hatte und nicht für neue Fahrkarten bezahlen wollte. So mussten wir uns auf dem Bahnhof von ihr verabschieden, wenigstens kamen unsere Busse kurz hintereinander. Allerdings gab es vorher noch ein unangenehmes Intermezzo. Obwohl die Briten bisher einen sehr toleranten Eindruck gemacht hatten, gibt es in solch einer heterogenen Gesellschaft natürlich immer wieder Konflikte. Wir stellten uns leider direkt neben eine ganze Gruppe davon, mit einem Wortführer, der Debby und ihre Hautfarbe verbal ins Visier nahm. Scheinbar versteht sie weniger, als ich ursprünglich annahm, sodass sie zumindest einige Bemerkungen nicht verstand, aber den neben ihr aufgeführten Tanz konnte sie nicht missverstehen. Zum Glück ist sie eine chronische Frohnatur und ließ sich zumindest nichts anmerken. Dreißig Jahre Apartheid sind wahrscheinlich ein gutes Training. Mich hat das aber merklich verstimmt. Nein, ich habe nichts gemacht oder gesagt. Genauso wenig wie der direkt neben uns patrouillierende Polizist. Und hier hat sich gerade das ganze Land über spanische Fans beim letzten Länderspiel aufgeregt. Ärgerlicherweise nahm diese Gruppe dann auch noch den gleichen Bus wie wir. Es handelte sich wirklich um diese unterste und dumpfeste, mental resistenteste und wahrscheinlich zufriedenste Schicht der Gesellschaft; Ausländer hassende, Studenten hassende, Großstadt hassende; alles hassende und anpöbelnde Charver, die beim Anblick einiger Rastalocken sofort das Ziel wechselten und uns für den Rest der Fahrt in Ruhe ließen. Ich fühlte mich nicht besser dadurch, zu gut kenne ich dieses Volk. Sie stiegen dann auch noch in Whitley Hill aus, zum Glück einige Stationen vor uns und damit war dann auch der einzige negative Aspekt des Tages verschwunden.
Meerschwein hui, Menschen pfui
Hannis Haus lag direkt auf der anderen Straßenseite und war sogar für deutsche Verhältnisse nicht viel weniger als ein kleiner Palast. Von der Familie haben wir nicht viel gesehen und wenn, waren sie nicht besonders gastfreundlich, Hanni hatte ja anfangs scheinbar ohnehin einige Probleme mit ihnen zu klären. Was interessieren mich die Menschen, auch wenn sie ein Meerschweinchen haben! Anders als auf Clarences Farm konnte ich es zwar nicht aus seinem Käfig nehmen, aber das konnte ich verkraften. Wir haben uns in eines der drei (!) Wohnzimmer gesetzt, was Hanni für Besucher nutzen kann. Die muss sie nämlich vorher ankündigen, bzw. um Erlaubnis fragen. Was sowieso nicht so oft vorkommt weil sie nur einen Tag in der Woche frei hat. Ab Juni wird sich das wohl stark verbessern, aber da bin ich ja nicht mehr allzu lange hier. Dasselbe Dilemma wie mit den geplanten Freiwilligen in Gibside, wobei ich letztens mit den Leuten dort telefoniert habe und sie mir sagten, dass sie bisher nicht mal eine Bestätigung für die haben. Hmm. Wenn sie noch im September händeringend nach einem Freiwilligen suchen sollten...
Anwerbung & Abschreckung
Ich konnte Hanni stark für das EVS Programm begeistern und habe sie mit Melis in Stirling in Verbindung gesetzt, da ich bei Bewerbungen aus der Türkei mit einigen Besonderheiten rechne. Im Gegenzug versuchte Hanni uns für ihre Musik zu begeistern, was bei mir als völliges Fiasko endete. Oh. Mein. Gott. Hätte ich nicht meine Abi-Party mitgemacht, was ich leider tat; ich hätte gedacht, die schlimmsten Töne, einen besseren Ausdruck war es nicht wert, meines Lebens gehört zu haben. Wenn es doch nur bei türkischer Folklore und norwegischer Gitarrenmusik geblieben wäre, aber nein am Ende holte sie den widerwärtigsten Ekelschlager des Universums raus. Aber diesen Umstand hatte ich ja schon letztens im Zusammenhang mit Joanna kommentiert. Tini...sogar Du hättest Reißaus genommen.
Kleine Familienkunde
Bei dieser Gelegenheit haben wir natürlich auch Unmengen von Fotos gesehen, darunter auch das ihres Bruders sowie von ihren diversen Gastländern. Ihr Arbeitsplatz in Norwegen letztes Jahr hätte genauso gut ein Feriendomizil sein können, direkt an einem Fjord gelegen, und auch wenn sie von der Kälte berichtete, habe ich kein einziges Bild ohne strahlenden Sonnenschein aus wolkenlosem Himmel gesehen. Ihre Familie entspricht in mancher Hinsicht so einigen Klischees, bei anderen Sachen wieder überhaupt nicht und es gab einige Dinge, über die ich nur gestaunt habe. Sie ist eines der jüngsten von acht Kindern einer Familie, deren Eltern scheinbar regelmäßig zwischen Istanbul und Deutschland pendeln und dort unten eine Yacht besitzen, was allerdings nicht für Reichtum sprechen soll, meinte Hanni. Einige ihrer älteren Geschwister leben bei Karlsruhe, andere Verwandte sind in Norwegen, Frankreich und diversen anderen Ländern Europas. Was man vielleicht weniger erwartet hätte: der Großteil ist griechisch-orthodox und, wo ich wirklich nicht schlecht geguckt habe, Hanni selbst ist Zeugin Jehovas. Verrückte Welt. Naja, aber ich hab es ja auch geschafft, als erste mir persönlich begegnete Polin eine aus den drei Prozent Protestanten des Landes zu treffen. Ich muss zugeben, mir ist diese Truppe ja suspekt und ihr Image passt so gar nicht auf Hanni. Immerhin bin ich wieder aus dem Haus gekommen ohne ein einziges buntes Flugblatt im Rucksack. Aber bis dahin war es ja noch einige Zeit hin, die wir wieder unten im Wohnzimmer verbrachten, wo uns dann eins der vier Kinder besuchen kam und Hanni noch das allerjüngste, ca. zwei Jahre alte Baby hinbrachte, in das ist sie absolut vernarrt war. Sie hat es alle paar Minuten geküsst, wovon der Empfänger nur bedingt angetan war. Er war ziemlich verängstigt und musste sich erst an die zwei neuen Gesichter gewöhnen, hat darin aber später gute Fortschritte gemacht.
Kommunikationsprobleme
Ja, so haben wir den Rest des Abend verbracht und über alles und nichts geredet. Man sieht, jetzt fehlt nur noch das Abendessen. Dann habe ich hier meine eigene kleine feine „Wie-in-Edinburgh“-Truppe. Und dann ist es nicht mehr weit bis zur Weltherrschaft. Nur Debby musste ständig beruhigt werden, da sie am liebsten schon um sechs aus Sorge um den letzten Bus gegangen wäre. Wir haben ihr das bis um neun ausgeredet, dann mussten wir aber wirklich gehen, was schade war. Manchmal nervt sie mich ja ein bisschen, weil ihr Englisch offensichtlich doch nicht so gut ist wie ursprünglich gedacht. Was an sich nicht das Problem ist, nur gleicht sie das dadurch aus, als Redebeitrag gerne einfach die letzten drei oder vier Worte ihres Gegenübers zu wiederholen. Das klappt oft und ich habe es lange Zeit gar nicht gemerkt, aber ab und zu wird einem klar, dass sie absolut keine Ahnung hat, wovon man gerade spricht. Auch das ist nicht ihr eigenes Verschulden, schließlich passierte mir das auch ständig mit Deutschen. Das eigentliche Übel ist ihre Tendenz, sich in Gespräche einzuklinken, indem sie einem ins Wort fällt und den jeweiligen Satz selbst zu einem offenbar von ihr vermuteten Ende führt, das mit dem Kontext oder der geplanten Aussage überhaupt gar nichts zu tun hat.
Hilfsbereitschaft
Den Bus haben wir dann tatsächlich verpasst. Hanni wird sonst immer mit dem Auto gefahren, wenn sie denn mal weg darf, sodass sie von den Bussen keine wirkliche Ahnung und nicht mal Pläne hatte. Letzteren vermutete sie an der nächsten Haltestelle, was aber nicht den Tatsachen entsprach und so liefen wir durch die Eiseskälte bis zum nächsten Stopp. Leider sagte uns der letzte dort durchkommende Busfahrer, dass er nicht nach Peterlee ginge, womit wir nun zum ersten Mal auf ein Taxi angewiesen waren. Hilfreicherweise wurde uns in einem noch offenen Geschäft die Richtung gewiesen und nachdem wir uns alle geeinigt hatten, dass das alles nur Hannis Schuld war, fanden wir dort tatsächlich ein Unternehmen. Zwar mussten wir noch mal in einem Kebab nachfragen, aber zum Glück hatten wir ja eine Türkin dabei und so zeigte man uns, dass wir nur nach nebenan gehen mussten.
Erste Klasse
Ich glaub ich habe mir noch nie selbst ein Taxi bestellt, aber es ging ziemlich einfach und zehn Minuten später stand der Wagen vor der Zentrale. So verabschiedeten wir uns von Hanni und ließen uns nach Peterlee kutschieren, zuerst zu Debby und dann zum Busbahnhof, wo mir gesagt wurde, dass Debby bereits alles bezahlt hatte. So setzte ich mich dort auf eine Bank und wartete in der Hoffnung, dass der letzte Bus zur Colliery kommt und ich in diesem Eisschrank von Wetter nicht eine der späteren Linien nehmen muss, die mich nur bis ins Village bringt. Was zuerst nicht gut aussah und mich bereits moralisch auf eine drei viertel Stunde Laufen durch fast gefrorene Luft vorbereiten ließ. Aber zum Glück erschien der gewünschte Bus dann fünfzehn Minuten später doch noch, und zum Trost war es sogar einer dieser neuen mit gepolsterten Sitzen. Mit dem bin ich dann nach Hause, wie immer über den Hügel zur Farm ins Bad ins Bett; ihr kennt das ja inzwischen. Diesen Tag habe ich sehr genossen, es war ja wie gesagt auch der erste freie Tag in zwei Wochen. Im Sommer wollen wir uns mal ein Boot mieten und ein bisschen auf der Wear fahren. Trotzdem bin ich mir noch nicht so sicher, ob ich der Einladung zu irgendeiner Veranstaltung zum Frauentag nachkommen soll. Gut, wahrscheinlich werde ich es machen.
Beförderung
Von der Farm gibt es nicht viel Neues zu berichten, ich verbringe immer noch viel Zeit mit Abschleifen und Streichen. Aber letztens haben wir Linoleum in den Büroteil des Caravan’s gelegt und sind uns alle einig, dass wir etwas wirklich Ansehnliches aus diesem Haufen Schrott gezaubert haben. Davon abgesehen bin ich inzwischen scheinbar direkt auf die Liste für Assistenzleiter für Working Holidays gesetzt worden. Ich hätte auch gleich als Leiter eingestuft werden können, aber das wollte ich ohne Ahnung von gar nichts dann doch noch nicht so schnell machen. So bald wie möglich will ich aber an einem Wochenend-Holiday teilnehmen, um Erfahrung zu sammeln. Soweit ich das verstanden habe, würde ich den sogar kostenlos mitmachen können.
Autrefois, c’était plus dur!
Ach ja, in zwei Wochen sind die ersten Französischprüfungen. Die Bedingungen sind zwar lächerlich einfach, trotzdem muss ich zusehen, rechtzeitig meine beiden schriftlichen Übungen zu Hause fertig zu stellen. Wir müssen neben dem Audiotest nämlich nur einen Text im College selbst schreiben und sogar da dürfen wir Kursbuch, Hefter, selbst das Wörterbuch benutzen. Auch wenn die GCSE Examen eigentlich für 16-jährige gedacht sind, wenn sie uns in der zehnten Klasse auch nur mit so etwas ähnlichem wie einem beschriebenes Blatt erwischt hätten, hätten sie auf dem Schulhof einen ganz großen Scheiterhaufen aufgebaut.
Gute Ideen, schlechte Ideen
Was ich nicht ganz so toll finde, sind die EVS Bewerbungen für den nächsten Freiwilligen. Am achten März fahre ich mit zu den an diesem Tag statt findenden Interviews. Das wird mich mit Sicherheit in tiefe Depressionen stürzen. Allerdings sind einige Sachen ganz lustig, vor allem wo offensichtlich viele Leute einfach Standardschreiben an das halbe EVS Programm schicken. Was ich irgendwo verstehen kann, wo die Chancen für den Einzelnen meist sehr gering sind. Aber auf diese Art und Weise wird uns dann über eine halbe Seite von einer Begeisterung für Sport, besonders Schwimmen, und Arbeit mit Kindern berichtet, um dann zu sagen, dass deshalb eine einsame Farm im tiefsten Nirgendwo genau das ist, wovon man immer geträumt hat. Eine andere trägt ganz zufällig denselben Vornamen wie meine Vorgängerin, auch ein Grund zur Heiterkeit bei uns. Geheiratet, um den Namen zu wechseln? Ich mein... ich würd’s machen.
Keine Kompromisse
Was wie schon seit Wochen meine Moral bei der Stange hält, ist aber vor allem die sich intensivierende Korrespondenz mit Oktawia wegen Ostern. Ein Glück, dass ich länger mit dem Buchen der Tickets gewartet habe, ein letzter Blick offenbarte auf einmal, dass deren Preis plötzlich um ca. 60% gefallen ist. Einen hysterischen Freudentanz um den Computer später habe ich aber immer noch nicht bestellt. Vielleicht geht’s ja noch ein paar Pfund weiter runter. Außerdem hat mich Oktawia gebeten zu warten, um noch einige Dinge zu klären. Armes Mädchen, ich glaub zu wissen wie es ihr geht, nachdem ich letztens selbst in völliger Panik die ersten Gäste bereits vor der Tür sah. Andererseits habe ich etwas Angst, dass die begrenzten Fahrkarten dieses billigen Typs dann vergriffen sind und ich wieder die sechzig Pfund hinblättern muss. Allerdings wäre es mir das wert.
Johannson