Chinesisches Neujahr. Wieso der Vergleich mit Weihnachten hinkt.
Es wird oft gesagt, man könne chinesisches Neujahr mit Weihnachten vergleichen. Nach letzter Woche muss ich sagen: Eher weniger.
Seit vorletzter Woche Samstag bin ich bei der Familie einer chinesischen Freundin zu Gast. Von Montag bis Freitag war Großfamilienzeit. Am Montag waren wir bei der Familie des Vaters zum Essen. Von Dienstag bis Freitag haben wir bei einer Tante und den Großeltern gewohnt. Wir haben sehr viel Zeit in der Wohnung der Eltern verbracht. Nur am Mittwoch verließen meine Freundin und ich das Haus, um eine ihrer Freundinnen zum Kino und KTV zu treffen. Die restliche Zeit waren wir mit der Familie zusammen.
Es ist unfassbar wichtig, dass die Familie am Neujahr zusammenkommt. Viele Chinesen reisen durch das halbe Land, zurück in ihre Heimat zu den Eltern. In dieser Woche herrscht an Bahnhöfen und Flughäfen Ausnahmezustand. Fast alle Geschäfte sind geschlossen. Viele Siedlungen stehen halbleer. Die Familie kommt zusammen. Das stimmt. In diesem Sinne entspricht chinesisches Neujahr dem deutschen Weihnachten. Die Atmosphäre, der Ablauf, die Traditionen sind jedoch sehr unterschiedlich.
In den Tagen, die wir bei der Familie verbracht haben, gab es keinen festen Plan wie bei uns zum Beispiel an Heilig Abend. Treffen mit entfernten Verwandten oder Freunden fanden spontan statt. Man lebte mehr in den Tag hinein. Am wichtigsten war, dass die Familie zusammen ist. Was man macht, steht weniger im Vordergrund. An drei Nachmittagen endete diese „Planlosigkeit“ (leider) mit Fernsehen. Am wichtigsten Abend, dem Donnerstag, schauten wir zusammen eine Show mit Tanz- und Gesangseinlagen. Das ist eine Tradition der Familie. Um Mitternacht passierte nichts von dem, was wir von unserem Silvester kennen. Kein Feuerwerk, kein „xin nian kuaile!“ (frohes neues Jahr!), kein Anstoßen mit Sekt, keine Umarmungen. Ich lag zu dem Zeitpunkt schon eine Stunde im Bett. Chinesisches Neujahr wird über mehrere Tage gefeiert und es geht nicht, wie in Deutschland, um den exakten Jahreswechsel um Punkt 12. So kommt es auch, dass man sich auch noch zwei Wochen nach Neujahr mit Bekannten zum Essen verabredet, um gemeinsam zu feiern.
Natürlich gibt es Traditionen, die während dieser Zeit gepflegt werden. Ein ganz entscheidender Punkt sind die gemeinsamen Mahlzeiten. Am wichtigsten sind Jiaozi (Maultaschen), typisch für Neujahr. Sie werden gemeinsam zubereitet (~1,5 h). Wenn man ins Restaurant geht, sind sie ein Muss bei den Bestellungen.
Eine weitere Tradition sind rote Schilder mit chinesischen Schriftzeichen drauf, die an Tür und Türrahmen geklebt werden. Sie sollen Glück bringen.
Ein kleiner Vergleich, der sich noch zu Weihnachten ziehen lässt: Geschenke. Jedes Jahr bekommt die jüngste Generation von der ältesten ein Geschenk. Allerdings kein personalisiertes, sondern einen roten Umschlag mit Bargeld („hong bao“). Auch ich habe dieses Jahr von den Großeltern meiner Freundin einen Umschlag erhalten.
Für gläubige Buddhisten gehört zum chinesischen Neujahr außerdem das Beten dazu. Es werden Opfergaben für Verstorbene abgelegt. Am ersten Tag des Neujahrs verzichtet man auf Putzen, Waschen, Schneiden, Kehren etc.
Ein kleiner, aber für mich doch wichtiger Punkt, durch den die Atmosphären an Weihnachten und chinesischem Neujahr nicht zu vergleichen sind: Kleidung und Dekoration. In Deutschland ziehen wir uns schick an, zumindest keine Jogginghose. Wir holen das schicke Geschirr und hübsche Tischdecken. Vielleicht machen wir noch ein paar Kerzen an, um es gemütlich zu machen. Am chinesischen Neujahr spielen solche Dinge keine Rolle. Jeder soll sich anziehen, wie er sich wohlfühlt. Auch das Benehmen am Essenstisch ist unwichtig. Auf Schick oder Tischdekoration legt man keinen Wert.
Ich finde, einem Deutschen die Bedeutung des chinesischen Neujahrs zu erklären, ist sehr schwierig. Ich bin froh, dass ich die Chance hatte während diesen besonderen Tagen in das Familienleben einzutauchen. So konnte ich die Traditionen miterleben. Dennoch blieb vieles für mich etwas fremd bzw. weniger feierlich. Es ist eben sehr anders. Die Familie ist im Zentrum. Das ist eine sehr schöne Tradition, die sicherlich noch ewig fortgeführt werden wird.