Cartera robada- y ahora qué?
Es gibt Arschlöcher, die Geldbeutel in der Metro klauen und Retter, die alles tun, was man danach tun muss. Wie ich den beiden Sorten Mensch begegnete und wie ein blöder Tag doch noch ein gutes Ende nahm.
Morgens war ein Mädchen in der Bibliothek, dem vor zwei Wochen der Geldbeutel geklaut wurde und die deshalb nicht ihren Ausweis vorzeigen konnte. Ich dachte noch, Gut, dass mir das noch nicht passiert ist.
Nach der Arbeit verabschiedete ich mich freudig, ich ging auch etwas früher los als sonst, damit ich nicht zu spät zu der Ferienwohnung käme. Meine Familie sollte am Abend zu besuchen kommen und ich wollte die Schlüssel der Wohnung abholen. Ich hatte den Laptop dabei, um noch die Zeit bis zur Ankunft zu vertreiben. Bei Alonso Martínez stieg ich in die Linie 5, es waren viele Leute in der Bahn. Ich stand an der Tür, dreht mich irgendwann etwas um, weil ein älterer Mann hinter mir stand und er mir unangenehm nahe kam. Bei Gran Vía muss er ausgestiegen sein, kurz darauf wurde ein Platz frei und ich setzte mich hin. Den Rucksack setzte ich ab und da bemerkte ich es: die vordere Tasche war zur Hälfte auf. Ich wusste sofort Bescheid. Trotzdem guckte ich natürlich gleich nach. Der Geldbeutel war weg. Diesen Anblick von der halboffenen Tasche hat sich mir eingeprägt, den werde ich nicht mehr vergessen. Ich wusste auch sofort, wer es gewesen sein musste. Der alte Mann hinter mir. Ich weiß nicht mehr, was ich zuerst tat: ob ich meiner Gastmutter Bescheid sagte, zu heulen anfing oder mich ärgerte, dass ich den Rucksack nicht abgesetzt und auf mein Gefühl gehört hatte. Nach meiner Gastmutter sagte ich meinen Geschwistern Bescheid, die kurz davor waren, ins Flugzeug zu steigen. Der Mann gegenüber guckte mich mitleidig an, aber niemand fragte mich, was los sei, als ich da so heulend in der Metro saß. Inma rief mich sofort an, nachdem ich an meiner Zielhaltestelle angekommen war und versuchte mich zu beruhigen. Ich erklärte, dass ich zu der Wohnung müsse und sie sagte, Sperr deine Karte und geh zur Polizei! Und guck, dass du von dem Vermieter etwas Geld bekommst. Ich drehte mich im Kreis, hatte komplett die Orientierung verloren und fragte einen vorbeikommenden Herrn nach dem Weg. Er sagte, Komm mit, aber brachte mich doch nicht bis zur Straße, sodass ich nochmal fragen musste und total abgehetzt ankam. Die Hausnummer wusste ich auch nicht mehr, sodass ich den Vermieter anrief. Schnell rannte ich die Treppen hinauf, kam außer Atem zur Tür und sagte als erstes: Tschuldigung, aber mir wurde gerade der Geldbeutel geklaut. Sofort griff er zum Telefon, um eine Sperrnummer herauszufinden, während ich in der Warteschleife bei meiner Bank feststeckte. Er fand eine Nummer raus, die man jedoch nur per Festnetz anrufen konnte. Ich gab Inma die Nummer, sie rief an. Zwischen Tür und Angel erklärte mir der Vermieter alles in der Wohnung, die total schön war. Dann rief Inma wieder an und brauchte Daten von mir, die ich ihr einzeln buchstabieren musste, sie gab es am anderen Hörer an die Dame von der Hotline weiter. Sie bestellte gleich eine Ersatzkarte, die montag Abend per Kurier kommen sollte. Ich war erstmal erleichtert. Es war mir etwas peinlich, aber ich fragte den Vermieter, ob er mir etwas mehr Geld leihen könnte, als die 10 €, die er mir gleich auf den Tisch gelegt hatte, damit ich gleich eine neue Monatskarte kaufen könnte, wie mir Inma geraten hatte. Wir gingen zum Geldautomaten, er gab mir 30 € dazu, dann gingen wir zusammen zur Polizei, die gleich um die Ecke war. Wir füllten das Protokoll am Eingang aus, doch ich hätte eine Stunde warten müssen und das wäre knapp geworden. Also gingen wir wieder. Ich sollte doch noch schnell zum Kiosk bevor der schließt, um meine Anzeige aufzugeben. Der Vermieter brachte mich zur nächsten U-Bahn-Station. Ein schnelles "Dankeschön für alles" und los. Wie ungewohnt, dort erst noch ein Ticket kaufen zu müssen! Als ich im Kiosk ankam, schien der Mann dort schon alles zusammenzuräumen. Kann ich noch schnell meine Karte machen? fragte ich. Klar, aber ohne Anzeige oder Kopie des Ausweises läuft nichts. Unverrichteter Dinge muss ich wieder gehen und bis Montag warten. Völlig fertig setze ich mich vor eine Bank und überlege, was ich jetzt machen soll. Ich entschließe mich, kurz nach Hause zu fahren, meine Sachen abzulegen und dann zum Flughafen zu fahren, für direkt hin wäre es noch zu früh. Unterwegs bin ich immer noch total angespannt und muss immer wieder an das Bild denken von meiner halboffenen Tasche und dem Mädchen in der Bibliothek und dass ich dachte, mir könnte so etwas nicht passieren. Zuhause schließe ich die Tür auf und da kommt Inma mit offenen Armen und nimmt mich erstmal in den Arm, was mich wieder zum Weinen bringt. Ich bin so dumm, murmele ich an ihren Hals. Nein, das ist nicht deine Schuld. Wir sind froh, dass du nicht noch einen Messerstich abbekommen hast. Ich bitte Eduardo meinen Ausweis zu kopieren, damit ich wenigstens wieder etwas dabei habe und bin froh, dass ich nicht das Original dabei hatte, sondern von Anfang an nur eine Kopie, so wie Inma mir geraten hatte. Ich packte meine Tasche um, trank schnell etwas und schnappte einen Apfel. Zum Abschied sagte Inma, richte dich etwas her, du musst doch hübsch aussehen, wenn deine Familie kommt und du musst lächeln! Das Lächeln verrutschte etwas auf meinen Lippen.
Hastig ging ich die Straße hinunter, auf dem Weg zum Bahnhof Chamartín, von wo ein Zug zum T4 fährt. Irgendwo bog ich ab, wo ich meinte, dort ginge es zum Bahnhof. Irgendwie sah doch alles komisch aus, aber ich hatte keine Zeit, ich musste weiter. An einer Straßenkreuzung schrieb mein Bruder: Wir sind jetzt gelandet. Nein! Das durfte nicht sein, 20 Minuten vor der Zeit! Ich irrte immer noch umher, war auf einmal bei einer großen Straße. Rechts und links im Graben saßen Leute, lachten und tranken. Ich glaube, es waren Obdachlose. Ich versuchte meinen Bruder zu erreichen, aber nichts. Scheiße, ich fing wieder an zu heulen, nicht mal das klappte. Ich hatte auf ihren Wunsch extra ein Goethe-Abholschild gebastelt. Und jetzt könnte ich sie gar nicht so am Flughafen empfangen. Ich rannte über die Straße, in der Mitte war ein Grünstreifen. Würde ja passen, wenn ich jetzt noch vor ein Auto laufe. Nochmal über die Straße und dann stand da schon Bahnhof. GottseiDank, ich rannte den Gang entlang. In der Wartehalle dann wieder die Enttäuschung- der Zug kam erst in 20 Minuten. 18 Minuten stand ich gebannt vor der Tafel, wo das Gleis erst zwei Minuten vor Abfahrt angezeigt wurde. Schnell runter und in den Zug, der auch noch Verspätung hatte (wie immer). Am T4 angekommen rannte ich die Rolltreppen hoch, durch die Schranken, die Rolltreppe hoch- zum Glück wusste ich den Weg. Da standen sie, noch nicht lange zum Glück. Ich entfaltete noch mein Plakat und lief ihnen entgegen und einem nach dem anderen in die Arme. Diesmal heulte ich nicht, ich war einfach nur erleichtert.
Der Weg zu der Wohnung war lang und von vielem Umsteigen begleitet. Alle hatten Hunger und Durst. Vor der Wohnung dann ein kurzer Schreckmoment, als die Schlüssel klemmten. Das würde den Tag jetzt noch komplett machen, wenn ich die falschen Schlüssel mitgenommen hätte. Doch da ging die Tür auf. Koffer in den Aufzug und hoch. Rein in die Wohnung, ein kurzes Oh, Ah, wie schön und dann gingen wir wieder los, auf den kleinen Platz 50 Meter entfernt. Dort hatte ich im Vorbeilaufen eine nette Bar gesehen. Der Kellner brachte die Karten und wir lehnten uns entspannt zurück. Bei Patatas Bravas, Bier, Tinto de Verano und Bocadillos mit Tortilla de Patatas saßen wir lange zusammen, flirteten mit dem Kellner und genossen Spanien. Um 2 Uhr gingen wir wieder in die Wohnung. Mein Papa war total dagegen, dass ich jetzt noch nach Hause fahre und überredete mich schließlich dadurch, dass er sich auf der Couch ein Bett aus Kissen machte und ich in dem 4. Bett schlafen konnte. Ich glaube, ich schlief mit einem Lächeln auf den Lippen ein. Die Anzeige bei der Polizei konnte ich noch am nächsten Tag machen.