Cambridge – ein Traum von Unistadt
“62 Nobelpreisträger, 13 Premierminister, und neun Erzbischöfe von Canterbury haben in Cambridge studiert, entsprechend ausgeprägt ist die Rivalität mit „the other place“, wie man Oxford hier despektierlich nennt. In Sachen Schönheit liegt Cambridge für die meisten Engländer ohnehin vorne…“ (aus „Nord – und Mittelengland“ von Dorothea Martin)
Nachdem uns jeder Brite von dieser berühmten Universitätsstadt vorgeschwärmt hatte und uns jedes Mal versichert wurde, sie sei um ein vielfaches schöner als Oxford (welches Soraya und mich bereits sehr beeindruckt hatte) war ein Besuch der Kleinstadt im Südosten Englands natürlich ein Muss. Als ich vor einiger Zeit freudig erfahren durfte, dass Ari mich besuchen kommen möchte, dachte ich sofort daran, dass ihr dieser Trip sicher gut gefallen könnte: und ich hoffe und glaube, dass ich mich da nicht getäuscht habe ;) Sie kam bereits Samstagnacht an, sodass ich die Gelegenheit hatte ihr auch noch etwas von meinem liebgewordenen North Yorkshire zu zeigen (die Moors mit Roseberry Topping am einen und die Küste mit Saltburn am anderen Tag), bevor es am Dienstag früh gemeinsam mit Soraya per Bus gen Süden ging. Mit Megabus und National Express ist dies zwar eine recht günstige, jedoch quälend lange Angelegenheit…entsprechend k.o. waren wir alle drei, als wir gegen Abend unser Ziel erreichten. Nachdem wir erst einmal in unserem Hotel (ja, wir hatten ein Hotel – klingt „posh“, aber war doch tatsächlich günstiger als ein Aufenthalt in der Jugendherberge) eingecheckt hatten, streckten wir unsere durch die lange Fahrt steifgewordenen Beine und verschafften uns einen ersten Überblick über die doch recht überschaubare Innenstadt, entspannten in einem der weitläufigen Parks, stärkten uns mit leckeren Burgern und ließen schließlich den Abend mit einem Spaziergang entlang der Cam ausklingen (einen kurzen Stopp auf dem Spielplatz eingeschlossen…die Schaukeln waren einfach zu verlockend und wir sind halt alle im Geiste Kinder geblieben ;)).
Am nächsten Morgen schellte der Wecker früh, wir hatten uns einiges für den Tag vorgenommen – es war ja der einzige, den wir hatten. Und Punting stand dabei ganz oben auf unserer Liste! Ich hatte gelesen, dass es DIE Tradition in Cambridge ist und eine tolle Möglichkeit, die verschiedenen Colleges, welche zum Teil für Besucher unzugänglich sind, vom Flussufer aus betrachten zu können. Darunter vorstellen kann man sich flache, lange Boote, welche von einem am Ende stehenden Fahrer mithilfe eines langen Holzstockes, mit dem er sich vom Grund des Flusses abstößt, fortbewegt und gesteuert werden. Ein bisschen wie die Gondolieres in Venedig…klang durchaus anspruchsvoll, aber auch nach nem Riesenspaß für uns. Auf dem Weg zum Fluss begegneten wir bereits haufenweise Touristenfängern, welche uns heillos überteuerte gesteuerte Puntingtouren andrehen wollten. Wir lehnten mutig ab, obwohl uns einer der Typen, nachdem wir ihm sagten, wir wollten selbst ein Boot leihen und steuern, versicherte, dass dies uns als Anfänger unmöglich sei und wir alle im Wasser landen würden. Die Punting company schien allerdings nichts problematisches daran zu finden und so stachen wir mit unserem Boot „Emma“ in See (äh pardon, Fluss) – umgeben von Booten zum Bersten voll mit Asiaten, welche von fitten Studenten mit Sixpack gesteuert wurden – also diese Aussicht war schon mal nicht schlecht ;) Wir kamen dann doch erstaunlich gut mit dem Punting zurecht (von dem einen heiklen Moment, als der Stock im Grundschlamm feststecken blieb und wir mit unserem Notruder zurückpaddeln mussten, mal abgesehen :D) und hatten ausgiebig Zeit die wunderschönen Gebäude und Innenhöfe der Colleges bei Sonnenschein zu bestaunen. Auch die berühmte „mathematical bridge“, welche laut Legende von Isaac Newton (auch ein Cambridgestudent) vollständig ohne Nägel und Schrauben konstruiert worden war, passierten wir – besonders für Ari als Mathematikstudentin war das natürlich ein Muss ;)
Wieder festen Boden unter den Füßen genossen wir frischgemixte Smoothies, Falafeln und echte belgische Waffeln auf dem Wochenmarkt, streiften durch die verwinkelte Innenstadt mit ihren antiquarischen Buchläden und Straßenmusikern, verirrten uns in einen Fudgeladen, in dem wir Zeuge von Fudgeherstellung direkt vor unserer Nase wurden (welche uns sicherlich dorthin geführt hatte :P) und erholten uns mit Chai Tee und Wizard in einem süßen Kaffee, welches auf die falsche Verwendung des Wortes „literally“ eine Geldstrafe von einem Pfund ausgesetzt hatte, wie ein Schild im Eingang groß verkündete – Nerds halt, aber doch irgendwie symphatisch :D
Eines der Colleges, Trinity, das größte von ihnen, besichtigten wir dann doch noch von innen, spazierten über den ausladenden Innenhof und bestaunten die uralten Schriften der Bibliothek. Was für eine schwere Vorstellung, dass in diesen majestätischen Gebäuden tatsächlich Vorlesungen stattfinden und Studenten wohnen sollen. Und doch was für eine verlockende Vorstellung, dort selbst studieren zu können. Ich glaube, ich habe meine neue Traumunistadt gefunden :D Und ich muss mich meinen englischen Vorrednern anschließen: während Oxford irgendwie unreal erscheint, wunderschön gepflegt und wie auf einer Postkarte daher kommt, ein bisschen wie extra für die Touristen aufgebaut, wirkt Cambridge trotz seiner palastähnlichen Gebäude wirklicher, wie eine echte Stadt mit echten Bewohnern. Und mit seinen Parks, dem gemächlich dahinfließenden Fluss und den zahllosen Studenten auf ihren Fahrrädern hat es einfach einen ganz eigenen, entspannten Charakter :)