Beyond Banizza
Eine Marienfeier und die Schwierigkeiten interkultureller Kommunikation. Johannson erlebt am Wochenende den Höhepunkt seiner Reise nach Bulgarien: Mit einer Freundin geht es zu ihrer Familie nach Rila.
Was haben wir eigentlich zuerst gemacht? Schuhe kaufen? Oder war ich allein? Habe Buchläden und Bazaar nach meiner neuesten genialen Geschenkidee abgeklappert? Ich erinnere mich nur noch, dass Kalina und ich irgendwann gegen Mittag zur ihrer Familie fuhren, wo mit Großvater und Onkel erstmal gegessen wurde. Letzterer fuhr uns dann aus der Stadt. Auf dem Weg wurden mir die verschiedenen Herkunftsorte der Familie gezeigt. Ein Wintersportort; ein kleines Dorf, in dem eine Großtante einen herzzerreißenden Garten mit Brombeeren und Birnen hat; der heißeste Geysir im Land. Schließlich kamen im Dorf der Verwandten bei Rila an. Für die Gäste, besonders für mich, wurde natürlich bulgarische Küche und Rakia rausgeholt ohne Rücksicht auf Verlust. Das nahm dann auch einen wichtigen Teil des Wochenendes ein, zu Hause oder in Gaststätten. Das Wochenende war auch ein ständiger Drahtseilakt interkultureller Kommunikation. Akzeptiere ich den nächsten Gang und sage wie toll er ist, oder unterstreiche ich meine Bescheidenheit als Gast? Trinke ich die nächste Runde mit, oder gehe ich auf Nummer sicher und mute meinen Freunden keine peinlichen Szene zu? Sage ich ehrlich, dass ich müde bin, oder denken die Leute dann ihre Betten sind nicht gut genug?
Rilacja
Am vernieselten Samstag um sechs wurde mobilgemacht für den eigentlichen Besuch von Rila. Dazu hatten wir uns ausgerechnet einen Samstag mit Marienfeiertag ausgesucht. 70.000 Menschen wurden dazu erwartet. Zum Glück kannte unsere Gastgeber die Polizei, die uns einen Parkplatz freihielt. In der Tat war es voll, insbesondere mit Roma-Familien, für die das wohl einer der wichtigsten Feiertage war. Es macht wenig Sinn, das Kloster und die Zeremonie in ihrer Gänze zu beschreiben. Viel Gesang, Gold und Weihrauch. Die Familie kannte den Ort sehr gut und erklärte. Mit Kalina und Elli besuchte ich noch das Klostermuseum, dann nahm man uns mit zum, natürlich, Essen, in einem Restaurant am hübschen kleinen Fluss Rila.
Emigracja
Dieser Ausflug war mir nicht nur wegen Rila wichtig. Ich wollte auch die Menschen weiter privat sowie die Situation auf dem Land kennen lernen. Ich verkürzte den Mittagsschlaf, um mich in den Garten zu setzen. Tomaten, Pfirsiche, Weintrauben, Paprika, Forke, Sense, Butterfass, der Nachbar baut Mais an. Blick auf Hügel am Horizont, Rohbauten von Häusern, eine fallende Pflaume löst einen Massenkampf im Hühnergehege aus. Die Verwandten wohnen in einem offensichtlich wohlhabenden Haus. Überhaupt sah ich viele große, gut gepflegte Anwesen. Meine Vermutung ist, dass diese Familien Angehörige im Ausland haben. In der Tat: bei der Tante der Mutter ist ein Sohn im Ausland, ebenso zwei aus der Familie des Onkels, bei den Aleksievas sind gleich alle drei Töchter in Deutschland.
Exploracja
Dem schloss ich einen Spaziergang durch das Dorf an. Auch hier steht alle paar Schritte ein Brunnen, viele Grundstückseingänge sind sehr pittoresk überwachsen mit Wein. Viele Häuser sind unverputzt, fast jedes hat einen großen Nutzgarten. In einer asphaltlosen Nebengasse kommt mir eine gebeugte alte Frau in schwarz mit Esel entgegen. Im Miniladen nebenan steht eine Ikone im Regal und aus dem Fernseher daneben plärrt schamloser Chalga. Aber auch ich wurde erkundet; kein Bulgare kann der Neugier auf den großen blonden Fremden widerstehen. Mit meinem neu gewonnenen Wissen führte ich später Kalina herum, entlang einer Hochzeit in einem Restaurant in einem verlassenen Park. Auf dem Weg stieß ihre Mutter zu uns. Die lief mit uns am nächsten Tag durch die Mittagshitze zu weiteren Verwandten in einem Nachbarort. Die Siedlung dort war um eine alte Papierfabrik entstanden, dem langjährigen Arbeitsort des Großvaters, der uns in Sofia viele Geschichten von damals erzählt hatte und noch erzählen würde. Auch dort warteten Verwandte, Essen und Getränke. Die Tochter fuhr uns zurück, und bald ging es auch wieder nach Sofia.
Redukcja
Dieses Wochenende markierte den Höhepunkt dieser Reise und jetzt wird es bereits schwierig, die Sommerabende zu ertragen, wenn man weiß, dass man jetzt nur noch die letzten Tage vor der Rückreise erlebt. Außer Sofia sind andere Städte gestrichen, auch wenn ich hier eigentlich alles gesehen habe. Ich werde Besichtigungen zurück stellen und größtenteils einfach nur Zeit mit meinen Freunden verbringen.