Bericht aus den Golanhöhen
Ein weiterer Konflikt entsteht im Norden Israels, von deutschen Medien (bislang) weithin unbeachtet, aber auch im Land selbst ist bisher keine Aufregung spürbar. Ein kleiner Lagebericht aus der wenig beachteten Region zwischen internationalen Konflikten und grünem Rückzugsort.
"Beschaulich" ist das erste Wort, das mir in den Sinn kommt, wenn ich an Katsrin denke. In dieser Kleinstadt im Norden Israels lebe ich seit einigen Wochen und arbeite in einem kleinen Hostel, in das sich meistens Besucher des etwa 50 Kilometer entfernten Skigebietes auf dem Berg Hermon, Vogelbeobachter oder Wandertouristen verirren. Es gefällt mir sehr gut - ein kleines Stadtzentrum, in dem man alles Nötige bekommt, die Buchverkäuferin versieht mich und meine hebräischen Bemühungen mit Kosenamen und Menschen treffen sich auf der Strasse und setzen sich für eine kurze Unterhaltung auf eine der vielen Holzbänke. Am Freitagabend, wenn der Schabat beginnt, sieht man Menschengruppen durch den Ort ziehen, entspannt und nicht selten in Kippa, auf dem Weg zum Abendessen mit den Verwandten. Selbst als Dorfkind geboren, fühlte ich mich in diesen doch sehr familiären Verhältnissen direkt wohl.
Von allen Anekdoten aus Katsrin, die mir einfallen, ist mir eine die liebste: Am vergangenen Samstag kam ich von einer Wanderung zurück und traf an der Ecke zu meiner Strasse auf einen Stand und eine kleine Horde Kinder, die dort ihre selbstgemachte Zitronenlimonade anboten. Als sie mich entdeckten, kam gleich ein Mädchen zu mir gelaufen und bot mir mit strahlendem Lächeln einen Becher an. Ich bedankte mich und kostete, bestätigte, dass sie "mamasch ta'im", sehr lecker, sei und nahm gerne den angebotenen Nachschlag. Die Kinder freuten sich riesig, aber als ich ihnen einen Schekel geben wollte (denn aus meiner eigenen Tagen als minderjährige Entrepreneurin erwartete ich, dass sie mit einer kleinen Bezahlung rechneten), sah mich das Mädchen mit grossen Augen an und sagte bestimmt:"Es ist verboten, am Schabat Geld anzunehmen!". In der Annahme, es handle sich um eine Regel von ihren Eltern, die aber eher Bescheidenheit als tatsächliche Ablehnung ausdrücken sollte, fragte ich nach, ob nicht einmal ein einziger Schekel möglich sei. Aber ich hatte mich getäuscht - mit festem Blick sah sie zu mir hoch und wiederholte "אסור לקבל כסף בשבת" - es ist verboten, am Schabat Geld anzunehmen. Aber den Becher würde sie gerne zurück haben, den benutzten sie noch. Etwas perplex und doch gerührt erreichte ich das Hostel - so eine Freunde hatte ich den Kindern gemacht, nur weil ich ihre Limonade gelobt hatte!
Es ist in dieser Geschichte schon kurz erwähnt - in meiner Freizeit tue ich hier vor allen Dingen eines: Wandern, wandern, wandern. Die Region bietet unzählige Möglichkeiten, selbige zu erkunden, und dieser Aktivität vor allen anderen habe ich meine Zeit hier gewidmet. Normalerweise laufe ich zur Stadtgrenze und warte dort, bis mich jemand zur nächsten Kreuzung mitnimmt, von der aus ich meinen liebsten Wanderweg erreichen kann. Trampen funktioniert gut in den Golanhöhen, weil die Busse hier unregelmässig fahren. Und wegen der ganzen Soldaten und Soldatinnen, die hier stationiert sind und am Wochenende nach Hause fahren.
Und das ist die andere Seite - bis zum Sechstagekrieg 1967 gehörten die Golanhöhen vollständig zu Syrien. Die Eroberung und spätere Annektierung sind aber auch fast 50 Jahre später noch spürbar - an der Grenze zu Syrien gibt es eine grosse "Pufferzone", die von der UN kontrolliert wird. In Katsrin sieht man ständig die grossen SUVs mit UNDOF (United Nations Disengagement Observer Force) - Kennzeichen. Im nahen "Tal der Tränen" wird mit einer Gedenkstätte die Geschichte eines der brutalsten Kriege des Landes und die Erinnerung an die gefallenen Soldaten wach gehalten. Und nicht nur auf Grund der Nähe zum nach wie vor verfeindeten (aber derzeit vom Krieg im Inland gebeutelten) Syrien, sondern auch auf Grund der praktischen Tatsache, dass es viel freie Fläche gibt, ist das Gebiet der Golanhöhen Standort unzähliger Militärbasen der Israeli Defense Forces (IDF). Nur wenige hundert Meter ausserhalb Katsrins liegt eine grosse Übungsfläche, und an einem gewöhnlichen Dienstagmorgen erzittern hier manchmal die Häuser von den Schussübungen der Panzer, die man in seltenen Fällen sogar in Begleitung der allgegenwärtigen Armeefahrzeuge über die Strasse fahren sieht. Wer durch die wunderschöne Natur wandert, wird häufig Schüsse hören, und kommt man einmal vom Pfad ab oder findet kein Auto, das einen bis zum Wanderweg mitnimmt (was sehr selten vorkommt), stösst man schnell auf Warnschilder, Sperrzäune oder verlassene Kasernen. Die ständigen Begleiter eines jeden Wanderers: Gelbe Schilder und/oder rote Dreicke und Stacheldrahtzäune, die vor Minenfeldern warnen - ein weiteres Überbleibsel eines Krieges, der kaum an Aktualität verlieren kann. Man sieht Rehe und Erdmännchen, gelegentlich sogar Wildschweine, denen diese Schilder egal sind, aber als literater Naturfreund achten man doch sehr genau darauf, welchen Wegen es sich zu folgen lohnt. Kurzum: Auch im malerischen Umfeld von hunderten kleinen Wasserfällem, atemberaubenden Schluchten und Hügeln und dem Summen der vielen Bäche, die sich durch die Felsenlandschaften ziehen, kann man selten die Bedeutung dieses Ortes vergessen.
Umso weniger, nachdem uns gestern die Nachricht erreichte, im Süden der Golanhöhen nahe der Stadt Odem seien zwei Raketen in offenes Gelände gefallen, vermutlich von einem syrischen Posten herübergeschickt. Später berichten unter anderem Ha'aretz und Jerusalem Post von insgesamt 4 Raketen, von denen 2 Israel erreichten, und einer Antwort von Seiten der IDF, ein "direct hit", wie es die Ha'aretz ausdrückte; will sagen, der Posten wurde zerstört. In Odem und anderen Städten in der Umgebung waren am Morgen Sirenen zu hören gewesen, und das Skigebiet auf dem Hermon wurde evakuiert. Von Panik allerdings keine Spur - ein befreundeter Hostelbesitzer aus Odem besuchte uns am Mittag und klagte gemeinsam mit meinem Chef theatralisch darüber, dass nun wieder zwei Wochen keine Gäste kommen würden. Dann gingen wir alle Humus essen. Und auch 24 Stunden später ergibt die Google News Suche nach "Golan" kaum aktuelle Ergebnisse.
Der Schlag kam auch nicht vollkommen unerwartet. Als Verantwortliche wird die islamistische Terrororganisation Hezbollah verstanden, deren Ziel es ist, Israel beziehungsweise die israelischen Juden zu vernichten. Da es sich nicht um eine Regierung oder sonst einen Verhandlungspartner in jeglicher Form handelt, herrscht kein Waffenstillstand zwischen der Organisation und dem jüdischen Staat, und der Konflikt ist eigentlich immer aktuell, wenn er auch selten offen ausgetragen wird. Genauso verhielt es sich letzte Woche, als im libanesischen Teil der Golanhöhen mit einem gezielten Schlag der IDF vier wichtige Hezbollah- Milizen getötet wurden. Bei ihnen war allerdings eine fünfte Person, die für zusätzlichen Zündstoff sorgt: Ein wichtiger militärischer Berater aus dem Iran, der laut Angaben des Landes dort war, um bei der Ausbildung von Soldaten gegen die ISIS- Milizen zu helfen. Der Iran unterstützt seit Jahren mehr oder weniger offen die Bestrebungen der Hezbollah und fährt eine offen feindliche Linie gegen Israel, was unter anderem immer wieder in Reden von Ex-Präsident Ahmadinedschad deutlich wurde. Die Diskussion um einen möglichen geplanten Atomangriff von Iran auf Israel sorgte monatelang für internationale politische Aufregung - und nun soll Israel mehr oder weniger versehentlich einen (iranische Behörden sprechen gar von 5) militärischen Berater des Landes getötet haben (Israel hat die Anschuldigungen übrigens, wie immer, weder bestätigt noch dementiert).
Die Ha'aretz nannte die Golanhöhen heute morgen das neue Schlachtfeld zwischen Hezbollah und Israel (Vgl. http://www.haaretz.com/news/diplomacy-defense/.premium-1.639425) - hier oben ist die Stimmung weiterhin gelassen. Ich halte euch auf dem Laufenden!