Auf Asphalt und Sand
Viele Straßen bin ich nun schon gewalket (seit meinem letzten Blogeintrag und auch generell). Mancher Weg war ein steiniger, mancher Zebrastreifen wurde wie auf mittelmäßig berühmten LP-Covern festgehalten, an manchen Straßen stand auch ein Lemontree (oder Kokosnusspalme). Vieles verband diese Straßen, wie auch sie verbanden viele Menschen und Orte. Dennoch möchte ich einmal auf die Unterschiedlichkeit, der verschiedenen Stadtteile und Hotspots eingehen.
Ich wohne in der Stadt Accra, wie dem ein oder anderen aufmerksamen Leser aufgefallen ist, welche immerhin Hauptstadt von Ghana im Bezug auf politisches System und Bevölkerungszahlen ist. Nun hat jede wachsende Stadt und vor allem so stark wachsende Hauptstadt es an sich, dass sie Menschen von den unterschiedlichsten Orten anzieht, aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten, welche sich dann auch in den verschiedensten Systemen einklinken und die Vielfältigkeit der Stadt wachsen lassen. Man könnte es auch das Berlin-Syndrom nennen. Allerdings geht es gar nicht darum, dass man am „Circle“ sowohl nigerianisch, als auch asiatisch und vegan essen und diverse Kunstveranstaltungen internationaler Künstler besuchen und in eigenem Unwissen kommentieren kann, nein. Außerdem ist dieses Berlin-Syndrom auch viel zu deutsch. Man kann schließlich nicht immer alles mit seiner Heimat vergleichen denn da würde man diesem Land und den Menschen nie gerecht.
Interessant sind aber auch schon allein die Unterschiede in sich. James Town nehme ich ja schon als meine Heimat wahr, werde aber immer noch manchmal gefragt, warum ich mir denn unbedingt diesen Stadtteil ausgesucht habe. Ja puuuh, also hab mit verbundenen Augen auf ne Karte getippt, beziehungsweise bei Maps rangescrollt. Nein so natürlich nicht, aber James Town scheint nach lokaler Ansicht ein Ort zu sein, den man als Tourist einmal gesehen haben sollte, in dem man aber nicht weiterhin verbleibt. Nun ja, nach 3,5 Monaten hab ich ihn nun schon ein paar Mal gesehen und fühle mich immer noch wohl in der Nachbarschaft. Fakt ist aber, dass hier viele Menschen auf engem Raum leben, es ein dichtes soziales Gefüge gibt (was sicherlich auch für manch einen Anwohner mit Stress verbunden ist) und der Stadtteil auch im Vergleich zu anderen deutlich mehr Aufmerksamkeit von städtischer Verwaltung verdienen würde, als er tatsächlich bekommt. Viele Leute haben hier keine Arbeit, es gibt wenig aussichtsreiche Perspektiven für die Jugendlichen und manch einer kämpft sich so durch von Tag zu Tag und schläft nachts vor seinem Shop.
Aber James Town organisiert sich. Die Handelsbeziehungen wirken wie ein in sich geschlossenes System, jeder hat seinen Platz. Ich grüße meinen Elektriker morgens auf der Straße und treffe ihn abends am Nudel-Shop wieder. Generell grüßt sich jeder, aber das erwähnte ich schon einmal vor wenigen Blogs, wenn mir meine grauen Zellen da keinen Streich spielen. Tagsüber ist die Stimmung geschäftig, Pläne werden mit Hilfe der sozialen Kontakte umgesetzt, man hilft dem Nachbarn mal eben dabei Bierkästen auszuladen. Privatleben und Arbeit verschmelzen hier viel stärker, was aber eine generelle ghanaische Beobachtung meinerseits ist. Auf den Straßen Menschen verschiedenen Alters, vertieft in Smalltalk über diverse Neuigkeiten, persönliche Belange und die Premier-League-Ergebnisse vom Wochenende (nein, das Wetter ist kein Thema!). Dies sind nur einige wenige Eindrücke, von einem Stadtteil, dessen Szenerie sich natürlich mit jeder Sekunde verändert. Und jetzt… und jetzt…und jetzt auch. Was unter der Urbanisierung, Städteplanung und unserer Konsumgesellschaft zu leiden hat? Die Natur. Am Strand häuft sich Plastik, welches schon manche Jahrzehnte auf hoher See verbracht hat und fast keine Bäume flankieren die Straßen. James Town ist in dieser Hinsicht ein wenig grau, was die Menschen angeht aber bunt. Quasi wie Magdeburg, nur umgekehrt (kein Hate, nächstes Mal folgt konstruktive Kritik #Magdeboogie).
Ganz anders kommt da der Business- beziehungsweise Partystadtteil Osu daher. Abends fühlt man sich auf dessen Hauptstraße manchmal wie auf einer heimischen großstädtischen Partymeile, nur halt eben die ghanaische Edition. Der Stadtteil ist geprägt von Hotels, Shopping-Malls, Bars & Restaurants und Nacht-Clubs. Hier leben viel weniger Menschen auf viel größerem Raum. Selbst in tiefer Nacht passieren Taxis die Saloontüren im Sekundentakt und bunte Neonlichter in allen Farben erhellen die nächtlichen Häuserfassaden. Sprich: der perfekte Stadtteil für Nightlife. Die Clubs kann man nur weiterempfehlen und es herrscht allgemeine Hochstimmung. Vor allem viele ausländische Gäste und die gut situierten jungen Erwachsenen treibt es hier abends hin, vielen Locals (zumindest aus meinem Stadtteil) sind die Barpreise zu teuer. Aber mit dem Image, das dieser Stadtteil an sich hat, kommen auch die Kehrseiten. In keinem anderen Stadtteil sieht man so viele Prostituierte am Straßenrand, auch Bettler sind vermehrt anzutreffen. Es ist ein Stadtteil, der an viele westliche Innenstädte erinnert, vor allem primär ein Vergnügungsstadtteil ist. Ein Vergnügen, welches aber ein bestimmtes Guthaben voraussetzt, von vorn herein also Leute ausschließt, wobei das bei Vergnügen ja meist der Fall ist.
Als ich das erste Mal nach Osu einfuhr, hat sich in mir das Gefühlsmeer aufgeteilt wie unter Moses Hand das Rote (Bibelvergleiche: Check!). Einerseits kam ich zur Unterhaltung und die Fassaden und Leuchtreklamen fühlten sich so heimatlich an, anderseits war das nach James Town irgendwie unwirklich und ja es wirkte künstlich. Nicht zu verwechseln mit künstlerisch. Ja, es erschien wie aufgesetzt. Wahrscheinlich weil es ein völlig neues Bild von Accra war, was bis dato in mein persönliches „Ghana-Bild“ noch keinen Einfluss gefunden hatte und ich so nicht erwartet hatte, wohl aber auch weil es ein so großer Unterschied zu meinem Heimatstadtteil James Town war. Der Party-Stadtteil Osu, der gerne von herausgeputzten Gestalten aller Herkünfte zum Feiern und Präsentieren genutzt wird, aber halt kein urbaner Wohnraum ist. Vielleicht war ich auch einfach noch nicht oft genug tagsüber dort. Mein Reiseführer beschreibt ihn jedenfalls als „trendy“. Ich denke da kann ich mitgehen. Und eine bessere Pizza findet man nirgendwo sonst. Guten Hunger!
Da unsere Freiwilligentruppe immer weiter wächst, ist vor einigen Wochen ein Mitfreiwilliger in einen neuen Stadtteil (Mamprobi) gezogen, 20 min mit TroTro (googlet doch, ihr Sklaven des Internets) von James Town und der Arbeit entfernt. Dies war natürlich ein Anlass meinen Kollegen dort zu besuchen, beziehungsweise das Haus fachmännischem Stirnrunzeln zu unterziehen und mit der eigenen Unterkunft in den Wettstreit zu stellen. Dies alles mit dem Resultat: Soll doch jeder leben wo er lustig ist, mein Humor liegt jedenfalls noch neben meinem Bett in James Town. Kein Spaß auch bei Seite:
Die Fahrt durch Mamprobi erinnert mich kurzzeitig an einen meiner Ungarn-Urlaube. Dörfliche Gegenden mit trocken-staubigen Fahrbahn-Seitenstreifen und viel mehr Einfamilienhäusern, abgetrennt durch hohe Mauern und Zäune. Das könnte natürlich auch Neuruppin, Clausnitz oder Bielefeld sein, aber die gewisse Komposition, die der van-Gogh von Planer, Architekt und Straßenbauer hier aus dem Boden erhoben hatte, erinnert mich doch an ein ungarisches Stillleben mit Maisfeld im Hintergrund. Wieder ein völlig neuer Eindruck. Mamprobi wirkt nach meinem Städteverständnis wie der dörfliche Vorort, der es sicher mal vor vielen Jahrzehnten gewesen war. Nun aber ist er in die städtische Ordnung eingegliedert und vom TroTro-Verkehrsnetz sowieso durchkreuzt. Dennoch strahlt dieser Stadtteil eine ganz andere Ruhe aus. Keine so große Betriebsamkeit. Ein wenig ausladend erscheinen dennoch die vielen Mauern, deren obere Ränder meist mit Glasscherben oder Stacheldraht gespickt sind. Hier wollen Menschen mehr für sich sein. Vielleicht auch nur eine reine Spekulation und gefährliches Halbwissen, das dabei in die Interpretation meiner Wahrnehmung mit einfließt, aber in Mamprobi spielt sich das Leben weniger vor der Haustür, als mehr hinter der eigenen Fassade ab. Auch mehr grün, mehr Bäume und Gewächse sind an den Kreuzungen zu verorten und ihr Schatten zu genießen.
Wie oft hab ich mir schon selbst die Frage gestellt: "Ist das noch Accra?" Oder ich werde immer öfter gefragt ob ich nicht den Ort „XY“ kenne und nach meiner Verneinung verwundert darauf hingewiesen, dass XY aber immer noch in Accra sei. Nun ja, fairerweise hat Accra auch eine Einwohnerzahl von knapp 2,3 Millionen, da darf ich mich dann wohl doch nicht so sehr wundern, beziehungsweise ich darf mich auf Grund dessen gerade vermehrt wundern. Ist das nicht wunderbar? Ok euer wunder Punkt ist erreicht, ich sehe es ja ein. Accra ist riesig, das wird mir in meinen Unternehmungen immer mehr bewusst, da ich nun schon einige andere Orte bestaunen durfte, aber in meiner Hometown noch längst nicht alle Ecken besichtigt habe.
Apropos andere Orte: Ich will in meine Disparitäten-Vergleich noch einen anderen Ort mit einbeziehen, Kokrobite. Manch einer zählt ihn auch noch mit zu Accra (nein Neukölln ist nicht auch in Accra). Auf jeden Fall ist er das nächste Strandparadies westlich der Hauptstadt, welches sich innerhalb von einer utopischen Stunde von James Town erreichen lässt. Hier ist die Struktur viel dörflicher, wobei man in Strandnähe dennoch den Einfluss des Tourismus merkt. Am Strand sammelt sich die lokale Bevölkerung zum gemeinsamen Fischernetze-an-den-Strand-ziehen, sowie zum kleinen Fußball-Kick unter Jugendlichen bis zur Flut. Dazwischen auch Touristen aus aller Welt, die den Strand & die Wellen genießen und sich in den vielfachen Restaurants die Bäuche vollschlagen. Es ist ein Ort, der in seiner Einfahrt dörfliche Ruhe ausstrahlt, trotzdem Hotspots aufweist und zeigt, wie sich verschiedene Wirtschaftsformen gut mit einander verknüpfen lassen. Wobei, viele der Restaurants sind von Ausländern eröffnet und betrieben. Lokale Strukturen? Sind durchaus vorhanden und Anwohner integriert. Dennoch wirkt der Tourismus eher wie eine Koexistenz zu dem Leben der Anwohner. Das ist vom Prinzip her vielleicht gar nicht so schlecht (je nach Urlaubertyp), aber profitieren tut das Dorf davon nicht. Auch hier reiben verschiedene Vorstellungen aneinander.
Während ich so vor mich hinschreibe und überlege was ein Reiseführer so monatlich verdient, fällt mir auf, dass meinem Blog die Fragestellung, die These und damit auch die Möglichkeit eines Resümees fehlt. Ob ich hiermit noch im Deutsch-Abi mehr Punkte erzielt hätte? Wie dem auch sei, ich möchte trotzdem aus meinen Erfahrungen eins ziehen. Ghana ist vielfältig. Stadt und Land weisen große Disparitäten auf und damit meine ich nicht primär ökonomische Wirtschaftskraft, sondern einfach auch total emotional die Atmosphäre. Das betriebsame Großstadttreiben und die ruhigen Dörfer. Traditionelle Rollenverteilung, die wir in deutscher Stadt-Land-Beziehung nicht anders kennen. Nur sieht das hier alles nochmal anders aus. Besonders eben Accra, die bunte Königin. Allein diese Stadt weist in sich so viele Unterschiede und teils auch Widersprüche auf, dass man mehrfach zwischen unvereinbare Wahrheiten gestellt ist. Noch dazu kommt, dass ich meine eurozentrische Sozialisation und meine 18 Jahre deutscher Lebenserfahrung ja nicht einfach mal kurz weg legen kann wie ein…ein..ähh…. ach lassen wir den Vergleich einfach. Nein, ständig rattert mein Gehirn und setzt Kontexte. Vielleicht auf Grund der eigenen Unsicherheit. Oder aber weil man selber immer das unbewusste Ziel hat der Einfachheit alles zu katalogisieren. In dem Fall kann man es sich einfach machen und sagen: Accra ist eine typische Großstadt. Oder aber man nimmt sich Zeit und erkundet selbst und lässt die Umgebung wirken & handeln, anstatt immer die eigene Wirkungsweise in Vordergründe und Kontexte zu stellen. Hintergedanken aus und wundern. Über das, was so heimisch und doch so anders ist, über Räume in denen verschiedene Menschen verschiedene Leben führen und doch alle über Straßen miteinander verbunden sind. Und sicherlich verbindet all diese noch viel mehr, doch das wird erst in Kapitel 13 erklärt werden!!
Bis dahin kann und will ich euch gar kein Resümee geben, denn ich plane gerade den ebenso riesigen Universitätscampus zu erkunden.
Bis bald
Es grüßt ein kleiner Punkt aus einer riesigen Stadt
KojoThomas
PS: Kapitel 13 fällt vorerst aus, weil wegen ist nicht und aus Angst vor abergläubischen Protesten, aber ich hoffe den nächsten Blog mit weniger Hürden fertig zu stellen, als mein Rührei heute morgen..