Arbeiten bis zum Umfallen - Karoshi
Karoshi ist ein Begriff im Japanischen, der Suizid oder krankheitsbedingten Tod ausgelöst durch zu viel Arbeit beschreibt. Auf einer Reise durch Japan wurde ich mich der Problematik konfrontiert und seither beschäftigt mich folgende Frage: Leben wir in einem Arbeitssystem, das krank macht?
In Japan ist Burnout eine Volkskrankheit, nach Angaben der Regierung ist jeder fünfte Arbeitnehmer bedroht, an den Folgen seiner Überlastung zu sterben. Wie kann es soweit kommen? Ist es das extreme Pflichtgefühl vieler Japaner*innen, welches sie soweit stresst, dass sie ernsthaft erkranken Mich persönlich hat die Beschäftigung mit diesem Thema sehr geschockt, und zum allerersten Mal hörte ich in Japan davon. Nun beschäftigt mich die Problematik wieder, diesmal im anderen Kontext - Im türkischen Schulsystem.
Zurück zu Japan: Eine normale Arbeitswoche beträgt 40 Stunden, allerdings gibt es keine Grenze für Überstunden. Fatal, weil auch noch gleichzeitig eine unbezwingbares Klima zur Extra-Arbeit herrscht: Viele japanische Arbeitnehmer arbeiten darum bis zu 30 Überstunden im Monat, weniger aus Finanzellen Aspekten als aus Pflichtbewusstsein und sozialem Druck. Erst der Tod einer jungen Journalistin, die über die nationalen Wahlen berichtete, regte einen öffentlichen Diskurs an. Nach monatelangem Durcharbeiten ohne Wochenenden und über 150 Überstunden im Monat, erlag sie einem Herzstillstand, das Handy immer noch in der Hand. Immer erreichbar, immer verfügbar sein? Das Bild dieser jungen Frau gibt dem Ganzen einen sehr bitteren Zug.
Auch die japanische Regierung erkennt das Problem mittlerweile, und viele Firmen verpflichten sich selbst dazu, die Gesundheit ihrer Arbeiter*innen zu beachten. Aber der gesetzliche Rahmen und alle Selbstverpflichtungen sind viel zu lasch, vor allem weil es keine wirklichen Sanktionen gibt. Auch die japanische Öffentlichkeit ist zwar erschüttert über die tragischen Fälle von Karoshi, das gesellschaftliche Klima ändert sich aber nicht. Die Strukturen, die diese tödlichen Arbeitszwänge bedingen, sind schwer zu brechen - Was aber unbedingt nötig ist, wenn diese Strukturen nicht die Menschen brechen sollen.
Auch hier in der Türkei fällt mir gerade im Bildungssystem der enorme Stress auf: Die ganze Schulzeit ist von nationalen Examen geprägt, bei welchen die Schüler*innen auf landesweiten Listen vergleichen werden. Gemäß dem Platz auf der Liste dürfen sie dann bessere oder schlechtere Universitäten besuchen - Was mit total absurd scheint. Natürlich gibt es auch in Deutschland Einschränkungen, was die freie Studienwahl betrifft, aber deutsche Universitäten unterscheiden sich nicht dramatisch in ihrer Qualität und ein Abschluss von einer staatlichen oder privaten Uni wiegt gleich. Der Druck auf Schüler*innen und Student*innen ist enorm, nach ihren Erzählungen mir gegenüber scheinen sie nur auf die nächste Klausur hinzuleben.
Auch der Anspruch an den türkischen Universitäten ist viel formaler als beispielsweise in Deutschland, und viel mehr auf bloßes Wissen ausgelegt. Während unsere Bildung darauf ausgelegt ist, kritisch zu reflektieren und sich eine Meinung zu bilden, geht es hier mehr darum, eine große Maße an Daten und faktischen Wissen auswendig zu lernen, und das unter großem Druck.
Das diese Strukturen nicht effizient und produktiv sind, beweisen die Beispiele Japan und Türkei: Der hohe Druck und die große Arbeitsleistung sorgen nicht für gute Ergebnisse und Denkleistung, sondern führen in einen Teufelskreis. Ich als Einzelperson und Ausländer kann in diesen Fällen natürlich nicht viel tun, es dient mir nur als abschreckendes Beispiel: Individualismus kann und muss kritisiert werden, aber sein Leben Firmen und Chefs zu opfern ist eine Hingabe an den Kapitalismus, die keine Gegenleistung erfahren wird.
https://diepresse.com/home/ausland/welt/5298104/Japanische-Journalistin-stirbt-nach-159-Ueberstunden
Interessante Arte-Doku: https://www.arte.tv/de/videos/080453-000-A/japan-tod-durch-zuviel-arbeit/