Almanya Hosgeldiniz! Türkische Gastarbeiter in Deutschland
Eine kleine pragmatische politische Entscheidung, die die deutsche Gesellschaft nachhaltig verändern sollte: 50 Jahre Anwerbeabkommen zwischen der Türkei und Deutschland
1961 wurde nach verschiedenen Verträgen mit Italien, Griechenland und Spanien auch ein Vertrag mit der Türkei abgeschlossen, der es türkischen Arbeiter*innen erlaubte, sich auf Stellen in Deutschland zu bewerben. Schließlich gab es im Wirtschaftswunder nach der entbehrungsreichen Nachkriegszeit eine Konsumgesellschaft zu unterhalten und Infrastruktur aufzubauen. Insgesamt bewarben sich zwischen 1961 und 1973, dem Anwerbestopp, über zweieinhalb Millionen Menschen um eine deutsche Arbeitserlaubnis, von denen gut 25% genommen wurde. Zunächst wurden nur kurze Verträge von 1,2 Jahren vergeben, später folgten längere, da es sich für die Betriebe nicht lohnte, so viele –fremdsprachige- Menschen immer wieder neu anlernen zu müssen. Tatsächlich ist eins meiner Türkischbücher, ein altes Exemplar, was mein Vater noch zuhause hatte, eine Einführung ins Türkische für Arbeitgeber – Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schwer es für alle Beteiligte gewesen sein muss, so schnell auf einer anderen Sprache zu arbeiten und untereinander zu kommunizieren!
Tatsächlich gab es viele Motive, welche türkische Bürger nach Deutschland trieb, aber vor allem war es die hohe Arbeitslosenquote. Das machte das deutsche Angebot umso attraktiver für meist ungelehrte Landbewohner, was auch genauso gedacht war: Qualifizierungen waren nicht gerne gesehen, allein physischen Anforderungen sollte der Bewerber genügen. Daher auch die fast ausschließliche Anwerbung junger Männer: Es ging primär um einfache, körperliche Arbeit und eine Karriere innerhalb dieser war auch nicht vorgesehen. Ein weiterer Grund war die politische Freiheit in Deutschland, besonders interessant für religiöse Minderheiten wie Christen und Aleviten, oder ethnische wie Kurden und Armenier. Aber auch allein die Möglichkeit, in Deutschland zu studieren und aus den traditionellen Familienstrukturen auszubrechen motivierte einige, ein völlig neues Leben in Almanya anzufangen.
Die politische Situation in der Türkei in den 1960er Jahren war sehr instabil, das Land erlebte einige Militärputsche, es herrschte ein großer innenpolitischer Machtkampf. Auch die Wirtschaftsleistung reichte nicht aus, um den 29 Millionen Einwohner (heute 80 Millionen!) ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Daher schien ein solches Arbeitsabkommen als ein guter Deal für beide Seiten, und keiner war sich der Konsequenzen dieser bewusst: Einer unglaublich großen deutsch-türkischen Community und einer engen politischen Beziehung, unabhängig vom Kurs der Regierungen aber erzwungenermaßen durch die Menschen.
Niemand ahnte, dass die Gastarbeiter, die in ärmlichen Baracken untergebracht waren und ihren Lohn größtenteils zu ihren Familien zurückschickten, bleiben würden. Daher gab es auch keinen öffentlichen Diskurs über Integration, auch keine Deutschkurse oder Möglichkeiten der Religionsausübung für Muslime. Mit der Rezession Anfang der 1970er Jahre kam es zu einem allgemeinen Anwerbestopp, die bisherigen Verträge blieben bestehen aber es wurden keine neuen mehr geschlossen. Das stelle viele Gastarbeiter*innen vor der finalen Entscheidung: Wollten sie bleiben oder für immer gehen? Viele entscheiden sich zu bleiben, auch gerade weil ihnen das sogenannte "Ausländergesetz" ermöglichte, ihre Familien nachzuholen.
Das waren die Menschen erster Generation, die in Deutschland dann Familien gründeten und harte Integrationsarbeit leisteten – Ich kann mir gut vorstellen, wie schwer es in einem relativ konservativen Deutschland ohne die Diversität, die wir heute haben, war, zurecht zu kommen und einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Viele lebten ihre Traditionen weiterhin aus und gaben sie generationsübergreifend weiter, aber natürlich passen sich auch diese ihrem Umfeld an – Und bilden diese bunte, diverse deutsche Kultur, die wir heute in Deutschland leben!
Interessantes Dossier der Bundeszentrale für Politische Bildung: http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/anwerbeabkommen/43166/portraits
Und ein Filmtipp, der besonders für Menschen mit türkischen und deutschen Hintergrund lustig ist: https://www.youtube.com/watch?v=1symyME8TdE
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