66° Nord, 23' West
JohannaMorning hat sich in den kleinen Inselstaat im Nordatlantik samt seinen Bewohnern verliebt und nach knapp zwei Monaten in Island kann sie sagen: „… ich bin am richtigen Ort, habe ich das Gefühl.“
Ein kleines wundersames Universum.
Seit sieben Wochen wohne ich in Skandinavien. Mein Land heißt Island. Projekt: Jugendclub (16 Jahre +) Dauer: Zwölf Monate (März 2006 bis März 2007) Ort: Ísafjörður, Wesfjorde von Ísland (4.000 Einwohner)
Kurzer Rückblick
Am Anfang: kein Plan von der Arbeit, da meine Koordinatorin krank war. Heißt: Viel Zeit, die Stadt, die Leute, den lokalen Pub, noch mehr Leute, den Jugendclub, die Mitarbeiter auf eigene Faust kennenzulernen. Das Beste, was mir passieren konnte - einen eigenen ersten Eindruck zu bekommen. Von allem.
Die Französin, die mit mir in meinem Projekt arbeiten sollte, hat es eine ganze Woche hier ausgehalten. Ich weiß auch nicht, was das Problem war. Ich schätze aber, dass bei ihr alles zusammenkam: sie konnte fast kein Englisch, meine Französischkenntnisse waren gefragt. Hat besser geklappt, als ich zu hoffen gewagt hatte. Trotzdem - ich konnte auch nicht immer alles Übersetzen. Sie hatte unglaubliches Heimweh, war das erste Mal so richtig von zu Hause weg. Da haben sich wohl zwölf Monate Island als eine ein wenig zu krasse Entscheidung herausgestellt.
Hinzu kam, sagte sie, dass ihr die Stadt nicht geheuer war: Auf Sandbänken in einen Fjord gebaut, umzingelt von majestätischen Tafelbergen, der nicht-enden-wollende Winter mit Schneestürmen. Wenn man von Anfang an mit einem beklommenen Gefühl an die ganze Sache rangeht, tut das sicherlich nicht viel dazu bei, sich mit dem Land anzufreunden.
Anders bei mir: Ich habe am ersten Abend als ich hier war, eine erste Auswahl isländischer Charaktere kennen gelernt. Die Französin wollte es nicht mal versuchen hierzubleiben. Sie ist nach Hause und ins Bett. Ich hab mich an ein Mädel aus Finnland gehangen, war auf einer Party, habe kein Wort von der Unterhaltung verstanden, konnte das aber mit meiner guten Laune, Englisch und Víking-Bier kompensieren. So macht man das :-)
Dadurch, dass ich nicht viel zu tun hatte in den ersten zwei Wochen - keiner sagte mir, was ich tun sollte, meine Koordinatorin hatte keinen Plan oder irgendwas organisiert -, war ich viel in der Stadt unterwegs. Ich habe die nettesten Leute kennen gelernt: hünenhafte Wikinger, die an einem Samstagabend trinken, als stünde der Weltuntergang bevor. Mädels, die mit 20 zwei Kinder haben und Ex-Alkoholikerinnen sind. Ich habe mit den Stadtangestellten gesoffen und mit ihnen zu Countrymusic getanzt und deutsche Lieder mit ihnen gesungen, bin in eine kleine Wohnung gezogen, die skandinavischer nicht sein könnte.
Ich war mit anderen Freiwilligen aus Akureyri und Reykjavík, die ich beim Ausreiseseminar in Deutschland kennen gelernt hatte, bei dem jährlichen alternativen Musikfestival, habe einige kleinere Projekte organisiert (zu klein, um einen Arbeitstag mit eigentlicher Arbeit zu füllen, geschweige denn sieben Wochen mit Arbeitstagen) und habe an einem Isländischkurs teilgenommen, der mich völlig unterfordert hat. Jetzt muss ich die Sprache auf eigene Faust lernen, weil die Hochschule hier keine weiteren Kurse anbietet.
Ich habe gelernt, Kaffee zu machen, richtigen Kaffee, und dass man nicht in Chucks wandern gehen sollte. Ich bin mit dem Postboot mitgefahren auf zwei kleine Inseln im Fjord. Ach so, natürlich: eine Begegnung mit einem Troll hatte ich auch: Er kam hinter einem Laternenpfahl hervor und hat mir am Rockzipfel gezogen, als ich (ein wenig angetrunken) am Samstagmorgen von einer Party nach Hause ging, beziehungsweise eher hüpfte... Ich hab aber nur gelacht und ihn weggeschubst. Dämlicher Troll. Niedlicher Troll.
So weit, so gut. Ich kenne die richtigen Leute, ich bin am richtigen Ort, habe ich das Gefühl. Und merke manchmal gar nicht, dass ich gerade Freunde für's Leben finde. Erinnere mich aber immer wieder daran.
Was stört
Die Arbeit. Ich könnte mehr aus allem machen, wenn meine Koordinatorin ein bisschen koordinierter wäre. Und ein wenig enthusiastischer. Außerdem könnte der Frühling jetzt mal langsam kommen, aber das tut er auch. Und dann ist da diese Situation mit dem nicht-existierenden Isländischunterricht. Ich meine, ich bin nicht hinterher oder so, im Gegenteil, ich bin relativ weit voran für meine sieben Wochen hier, verstehe sehr viel, kann relativ viel sagen. Aber das ist, weil ich mich selbst da reinhänge und Übersetze und mir grammatische Zusammenhänge selbst beibringe. Dabei brauche ich doch Grammatik, um einen richtig guten Tag zu haben. Es ärgert mich, dass es niemanden gibt, der sich mit mir hinsetzt und sagt: „Ja, ganz richtig, Kind, das ist ein Attribut, und das Wort ‚Hest’ (Pferd) wird so und so gebeugt.“
Der Europäische Freiwilligendienst ist eine der besten Sachen, die ich je gemacht habe. Ich wäre nie so in die Stadt integriert worden und hätte nie so viele Leute kennen gelernt, wenn ich nicht in diesem sozialen (und von der Stadt ge'managten') Projekt arbeiten würde.
Fazit: Sieben Wochen und ich bin verliebt in dieses Land. Und die Leute. Könnte sein, dass jemand anders mit diesem Projekt weniger gut klarkäme, weil so viel auf Eigeninitiative baut. Es wäre auch manchmal nett, einen zweiten Freiwilligen hier zu haben. So, wie es eigentlich der Plan war. Wie dem auch sei. Es ist außerdem verdammt gut, dass diese Stadt so klein ist. Ich kenne so viele Leute, wie ich in einer größeren Stadt vielleicht nie kennen gelernt hätte. Man sieht sich, man kennt sich, man trinkt einen zusammen, man singt ein Lied zusammen, die Welt ist in Ordnung. Aber ein bisschen hab ich Berlin auch vermisst. Und Brandenburg.
Ich freue mich auf einen grandiosen Sommer. Endlose Nächte. Mehr Erkundungen (der Isländer und ihres Landes). Ich glaube, es wird ein guter Sommer.