11 Monate in einer Zirkusschule - EFD in Paris
Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich meine Koffer gepackt und mich gefragt wie ich 11 Monate in 2 Koffer bekommen soll. Jetzt steh ich da und frage mich, wie ich 11 Monate in meinem Kopf speichern kann, ohne dabei einen einzigen Moment zu vergessen.
Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich meine Koffer gepackt und mich gefragt wie man 11 Monate in 2 Koffer bekommen soll. Mit Gitarre in der Hand und Rucksack auf dem Rücken bin ich dann in den Zug gestiegen und freudig nervös in mein neues Leben gefahren. Ich wusste nicht wer mich am Bahnhof erwartet, wo ich wohne, wann ich anfange zu arbeiten und ob mein Französisch gut genug ist, um all die Antworten auf meine Fragen zu verstehen. Irgendwie klärte sich das alles von selbst. Am Bahnhof stand Floriane, meine Tutorin, Arbeitskollegin und Vorgesetze mit einer Jonglierkeule in der Hand und brachte mich in mein neues Zuhause, das sich als so eine Art Studentenwohnheim in einem kleinen Pariser Vorort zwischen Arbeit und Innenstadt herausstellte. 12 m2, darin ein kleines Badezimmer, ein Kühlschrank, ein Bett und eine Kommode. Hier kann man es aushalten dachte ich mir, aber als ich aus dem Fenster schaute und den Eiffelturm inmitten der Pariser Skyline erblickte, wandelte sich meine Zurückhaltung in aufrichtige Begeisterung. Diese Begeisterung hat sich bis heute nicht gelegt und mich das ganze Jahr über begleitet.
Warum mir der Abschied am Ende so wahnsinnig schwerfiel und warum ich trotz so mancher Schwierigkeiten meinen Optimismus und meine Motivation nicht verloren habe, ist gar nicht so einfach zu erklären. Am besten ich fange einfach von vorne an:
Meine Arbeit bestand darin, mit Kindern Zirkus zu machen und mit ihnen unterschiedliche Nummern für kleinere und größere Auftritte zu erarbeiten. Da das Ganze ein soziales Projekt ist, wurde vormittags viel mit Immigrantenkindern, Schulklassen aus dem Vorort und Behinderten gearbeitet und nachmittags kann sich einschreiben wer will, so dass ich auch selbst die Möglichkeit zum Trainieren hatte. Disziplinen waren unter anderem Seiltanz, Jonglage, Trapez, Clownerie und Akrobatik. Meine Arbeitszeiten waren jeden Tag anders. Manchmal habe ich schon um 10 angefangen und dann bis ca. 16-17 Uhr gearbeitet und manchmal auch erst um 14 Uhr und war dafür erst um 22 Uhr fertig. Die Kurse spät abends waren meistens für die Erwachsenen, zwei Mal die Woche war ich verpflichtet daran teilzunehmen, das habe ich aber auch sehr gerne gemacht. Weniger sinnvoll erschien mir die Zeit im Büro, in der ich außer die Kurse vorzubereiten, herzlich wenig zu tun hatte. In der Mittagspause wurde meistens zusammen gegessen. Viel Zeit zum Kochen hatte ich leider nicht, sodass meistens ein Sandwich aus dem Supermarkt herhalten musste, das Geld dafür bekam ich monatlich auf mein französisches Konto überwiesen.
Ein Problem, das sich schon ganz am Anfang herauskristallisierte war die Frage nach meiner Rolle als Freiwillige. Ich hatte schon in den ersten Wochen sehr viel Verantwortung und wusste nicht genau was ich als Freiwillige eigentlich darf und was ich mir überhaupt zutraue. Die Erwartungen waren recht hoch und Selbstständigkeit war unabdingbar. Erfahrungen in dem Gebiet hatte ich zwar schon in Deutschland gesammelt, aber Zirkuskurse auf französische geben und dabei noch ausreichend autoritär zu sein, brachte mich doch an meine Grenzen. Auch wenn ich bereits nach wenigen Wochen sehr gut in meine Organisation integriert war, oder vielleicht auch deswegen, sahen mich die meisten als vollwertige Zirkustrainerin an und übertrugen mir auch dementsprechend schwierige Aufgaben. Mir hat das ganze so viel Spaß gemacht und ich habe so viel Energie in dieses Projekt gesteckt, dass mir dieses Problem erst nach 6 Monaten auf dem zweiten Seminar bewusst wurde und ich mich zum ersten Mal mit anderen Freiwilligen über ihre Aufgaben austauschen konnte. Das erste Seminar war bereits wenige Tage nach meiner Ankunft, sodass ich zu dem Zeitpunkt noch nicht so genau wusste, was mich dieses Jahr erwartet. Die Reise zu den Seminaren wurde vom Projekt organisiert, wobei ich es sehr schade fand, dass ich das erste Training ohne den anderen Freiwilligen machen musste, da der Zirkus uns nicht gleichzeitig entbehren wollte. Eine zuverlässige Ansprechperson außerhalb meiner Arbeit hatte ich leider nicht. Alles in allem kam ich sehr gut zurecht. Ich lernte schnell und war froh, dass meine Sprachprobleme sich nur auf das Antworten beschränkten und das Verstehen kein Problem war. Mit meinem Sprachkurs konnte ich leider nur wenig anfangen. Meine Organisation wollte nicht zusätzlich Geld dafür ausgeben, und da ich mich bereits recht gut unterhalten konnte, saß ich jeden Dienstag 3 Stunden in der angrenzenden Sprachschule und wiederholte die französische Grammatik mithilfe ein paar dicker Ordner ganz für mich alleine. Wirklich was gebracht hat mir das nicht. Auf meine Beschwerde hin, fand ich mich in einem Bewerbertraining für angehende Krankenschwestern wieder und lernte so einiges über Biologie, Religion, Krankheiten und Bewerbungsgespräche. Nicht wirklich das was ich gesucht habe, aber durchaus interessant.
Für viele Freiwillige ist das Projekt in dem sie arbeiten, alles was sie in diesem Jahr haben. Bei mir war das nicht so. Auch wenn mir die Arbeit Spaß gemacht hat, waren Arbeit und Freizeit zwei verschiedene Welten, die sich in keinster Weise kreuzten. Kollegen blieben Kollegen und Freunde lernte man über „International Partys“ von den es in Paris nur so wimmelt, über gemeinsame Interessen, soziale Netzwerke oder über das Wohnheim kennen. Da mein Wochenende immer von Sonntag bis Montag dauerte und ich samstags arbeiten musste, war es anfangs recht schwer Kontakte zu knüpfen. Dass es noch einen anderen Freiwilligen gab, der auch sehr bald zum guten Freund wurde, hat in den ersten Wochen vieles erleichtert. Wenn die meisten meiner Freunde am Anfang noch Deutsche waren, so änderte sich das mit der Zeit und ich fand immer mehr Anschluss in die multilinguale und französischsprachige Welt. In Paris gab es immer etwas zu entdecken. Das Bedürfnis rumzureisen war dementsprechend gering. Dennoch hatte ich nach dem Mid- Term Seminar ein paar Tage Zeit mir Marseille anzuschauen und war im November bei einer Freiwilligen in Brüssel, im März in Strasbourg und im Juni ein Wochenende in der Bretagne. Langweilig war mir jedenfalls nie. Als es im März wieder wärmer wurde und die ersten Sonnenstrahlen die verschlafene Großstadt weckten, hatte ich das Gefühl, dass es nicht mehr schöner werden konnte und es kam der Moment an dem ich am liebstem für immer bleiben wollte. Das Gefühl blieb bis zum Ende und der Abschied kam viel zu plötzlich. Als wolle mich jemand einfach aus meinem Leben reißen und mir das nehmen, was ich mir so mühsam aufgebaut hatte. Zurück in mein altes Leben stecken, als sei das alles nur ein Traum gewesen.
Aber ich weiß, dass es das nicht war.
Was ich in diesem Jahr gelernt habe? Das ist gar nicht so einfach in Worte zu fassen. Außer den offensichtlichen Dingen wie verschiedenen Zirkusdisziplinen, Gruppenanimation, improvisieren, französisch und Zeitmanagement, habe ich auch gelernt die Welt aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Ich bin viel offener und toleranter geworden, habe verstanden, dass man von Jedem etwas lernen kann und wie wichtig es ist andere und vor allem auch sich selbst wertzuschätzen. Ich bin selbstständiger geworden und endlich auch bereit mich auf das einzulassen, was mich nach meinem Freiwilligendienst erwartet.
- Für mich erst mal ein Studium in Saarbrücken. Zu wissen, dass Paris sogar weniger als zwei Stunden Zugfahrt entfernt liegt, hilft mir damit abzuschließen, ohne ständig Angst haben zu müssen, dass ich irgendwann vergesse, was ich dort alles erlebt habe.
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