Zwischen zwei Welten
Unterschiede in Kolumbien, Hulk im Bus und Essens-Experimente
Ich habe jetzt lange überlegt und bin zu dem Entschluss gekommen, dass "Regenzeit" das neue Unwort des Jahres werden sollte. Als mir einige Kolumbianer den Beginn eben dieser prophezeit haben, dachte ich eher an einen schlechten Scherz, da eigentlich für mich seit meiner Ankunft Regenzeit ist. Ich habe mich getäuscht. Für potentielle Regisseure von Filme, die noch einen Ort für das Filmen des Weltuntergangs suchen, könnte Bogotá ein guter Startpunkt sein. Wenigstens lerne ich so das spanische Wort für Regenschirm und kann alle meine Schuhe auf Regenzeittauglichkeit testen (Durchfallquote 3/3, selbst die zuletzt von mir so gelaubten Tom Tailor machen das nicht mit).
Die Uni neigt sich so langsam dem Ende zu, was sich schon etwas merkwürdig anfühlt, zu wissen dass man alles hier in 4 Wochen hinter sich lassen wird. Denn auch wenn ich mir das ganze ziemlich weniger arbeitsintensiv (und sonniger) vorgestellt hatte, werde ich das Semester hier doch sehr positiv in Erinnerung behalten. Was ich allerdings sicher nicht missen werde, sind die zahlreichen Gruppenarbeiten. Die bringen mich jedes Mal wieder an den Rand der Verzweiflung, gerade wenn die Teilnehmer selbst ein Treffen für unnötig halten (Whatsapp sei anscheinend deutlich effektiver, ich warte vergeblich auf die Nachricht dass das nur ein Witz sei). Bei meinem Markeiting-Kurs habe ich mittlerweile den Verdacht, dass sich der Kurs heimlich noch heimlich einmal die Woche ohne mich trifft. Denn das, was der Professor für die nächste Woche ankündigt, machen wir nie. Wenn er uns inzwischen auffordert das nächste mal unseren Laptop mitzubringen, kann ich diesen mit gutem Gewissen zuhause lassen, da wir garantiert keinen benutzen werden. Auf den angekündigten Excel Kurs warte ich bis heute, werde das wohl wieder aus meinen Lebenslauf- Qualifikationen löschen müssen. Für meinen Psychoanalyse- Kurs mussten wir inzwischen mit einem Kind spielen und das psychoanalytisch analysieren (nein das ist kein Witz).
Mein grobes Fazit ist eigentlich, dass Antonia ziemlich goldig ist und ich jetzt vorhabe sie zu adoptieren, sie könnte die Stiefschwester des rumänischen Norbi werden. Antonia gab mir sogar ein paar Stifte um mit ihr zu malen, sie verlor aber schnell die Geduld und nahm sie mir leider wieder weg. Das gute an Psychoanalyse ist, dass für Sigmund Freud alles Beweis für einen baldigen Ausbruch psyischer Probleme ist, von daher wird die Interpretation kein Problem (wenn dann die Mutter noch viel arbeitet und kaum da ist, ist der Psychoanalysetraum vollkommen). Auf dem Weg zu dem Haus der Kommillitonin musste ich etwa 5 km mit dem Bus fahren, was im kolumbianischen Straßenverkehr schon mal so lange dauern kann, dass man ein Bibel-Hörbuch gut 2x durchhören kann- ich entschied mich trotzdem für Musik. Wenn es auf dem Rückweg dann wieder anfängt zu regnen, habe ich die schwierige Aufgabe dafür zu sorgen, dass dank meines Regenschirms keine der Kommilitonen nass wird- dass der den Regenschirm tragende Florian im Regen steht, ist dann eher nebensächlich. Auf der Busfahrt habe ich auch einen Mann gesehen, den man auf jeden Fall für die Rolle des Hulk vorsprechen lassen sollte. Er fing erst ziemlich schön zu singen, dass ich sogar überlegte ihm Geld zu geben. Dann fing er jedoch ziemlich plötzlich an zu schreien und Kolumbien zu beschimpfen (ich habe jetzt nicht alles verstanden, aber er war auf jeden Fall ziemlich unzufrieden mit der Gesamtsituation- das Geld hab ich dann auch behalten). Mein Tischtennistrainer nennt mich inwischen manchmal wirklich Florian und nicht Nicholas, ich weine dann fast vor Glück.
Mit unserem Spanischkurs haben wir auch eine einer öffentliche Uni besucht. Die Unterschiede zur Universidad de los Andes sind so gewaltig, dass man sich wirklich wie zwischen zwei Welten vorkommt. Während in letzterer die Studenten - ich inklusive- in einer Blase leben mit privatem Sportzentrum, Laptops für jeden Studenten der einen braucht, Flachbild- Tvs in der Bib etc bekommt man in ersterer einen Sinn für das wahre Kolumbien: Studenten aus den unteren sozialen Schichten, z.T. nicht mal genug Stühle für alle usw. Das passt dann auch zu der Tatsache, dass von den 48 Millionen Kolumbianern, etwa 11 Millionen mit weniger als einem Dollar pro Tag leben (da kann man den Hulk im Bus dann auch besser verstehen). In keinem Land bisher ist mir jedenfalls das Gefälle zwischen Arm und Reich so stark aufgefallen. Das Thema mit der Farc ist sehr komplex, gerade weil die früheren Guerilla-Anhänger jetzt auf Grund von Armutprevention finanziell unterstützt werden, was vielen Kolumbianern sauer aufstößt, die das Geld lieber für andere Sachen ausgeben würden (eine Problematik die mir aus Deutschland auffallend bekannt vorkommt).
Die Aktivität an eben jener öffentlichen Uni war aber doch etwas merkwürdig am Anfang, auch wenn die dortigen Studenten uns Austauschstudenten gegenüber sehr nett waren. Wir sollten dort so eine Art Theaterkurs machen, aber am Anfang sprangen wir alle wild im Kreis und sangen kolumbianische Lieder. Ich fühlte mich ein bisschen wie in einer Selbsthilfegruppe, vielleicht werde ich manches davon für meine spätere Therapeutentätigkeit verwenden.
Den im letzten Eintrag angekündigten Spanischausflug haben wir tatsächlich gemacht, inzwischen weiß ich schon wenn eine Busfahrt von 4h angekündigt wird, dauert sie mal mindestens 6. Der ganze Ausflug kam mir aber irgendwie eher vor wie ein Experiment vor, herauszufinden wie viel der Mensch in 24h essen kann (offentsichlich 8-9 mal am Tag). Neben dem Essen gab es auch andere erfreuliche Dinge, wie den Besuch eines Weinanbaus - wir durften leider nicht so viel kosten wie erhofft- und Kneten in einem Archäologie-Museum. Wir sollten eine Frau aus Knete herstellen, der Museumsführer hielt meins für ein Monster aus der Unterwelt- Ziel also fast erreicht. Ich hab inwischen aufgegeben, dass jemand mein Künstler-Talent erkennen wird.
Nun aber zum Highlight: Ich habe herausgefuden wie mein Mitbewohner heißt (habe andere fragen lassen): Diego Felipe. Auch das Mysterium warum mein 29-jähriger Mitbewohner so jung aussieht hat sich geklärt. Er ist nicht 29, sondern 19 (er hält mich aber für geistig umnachtet nachdem ich ihn gefragt habe, wann er eigentlich 30 wird).
Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie mir die Zeit hier im nachhinein erscheinen wird, und was ich dann neben spanisch und Geduld mitnehmen werde (an der Supermarktkasse kann man nämlich das vorhin genannte Bibelhörbuch noch mal hören), auch wenn die Zeit Dingen ja manchmal eine Bedeutung gibt, die ihnen gar nicht zusteht.
So jetzt aber genug, mit dem Blogeintrag, ich muss bald schlafen, damit ich etwas schlafe bevor der Handwerker um 6 wieder beschließt dass das Haus genug geschlafen hat.
PS: Ich hab zum ersten Mal Post bekommen. Es war Burgerwerbung.
PPS: Welche Vögel können nichts hören? Tauben.
PPPS: Das Wort Weinstüble gibts auch im spanischen.
PPPPS: Falls jemand Hunger auf Burger hat, gerne anrufen. Bei der genannten Burgerwerbung, gibt es leider nur Angebote, die nur ein Blauwal alleine essen kann.
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