Zehn Tage am Kardon voller guter und schlechter Überraschungen
Im Voraus hatte ich Bedenken gegenüber der Woche in Einsamkeit am Kardon. Wie es dann letztendlich gelaufen ist, möchte ich in diesem Bericht schreiben.
13.2. bis 28.2.2011:
Am Freitagmorgen kam Pjotr Petrowitsch, der anscheinend doch nicht in der Stadt war, sondern nur krank war, zu mir und sagte, ich würde um 14 Uhr zu Hause abholt werden. Allerdings nicht von ihm, sondern von einem andern. Dieser Mann kenne den Weg allerdings nicht, weshalb ich ihm den Weg zum Kardon zeigen sollte.
Ich verließ also den Park rechtzeitig, um noch die letzen Sachen zu in den Rucksack zu packen und noch etwas zu essen. Um 13.45 Uhr war ich, wie es sich für einen Deutschen gehört, fertig und bereit abholt zu werden. Um 19 Uhr wurde ich dann tatsächlich abholt. Warum so spät?? Ich weiß es nicht, wahrscheinlich weiß das niemand. Aber auf derartige Planänderungen und Verzögerungen muss man sich hier einstellen. Dabei war dies noch lange nicht die größte Verzögerung.
Abends, es war bereits dunkel, kam ich dann am Kardon an, wo Vera und Susan bereits sehnsüchtig warteten. Ich glaube, sie waren froh endlich abgelöst zu werden. Nach einem kurzen Gespräch, das mir verriet, dass auch sie so einige Erfahrungen gemacht hatten, fuhren sie dann zurück und ich blieb allein am Kardon zurück.
Doch was ist das Kardon eigentlich??
Ich habe das Kardon schon oft erwähnt. Doch möchte ich nun erklären was es eigentlich wirklich ist. Das Kardon kann wohl als Rangerstation bezeichnet werden. Es dient einerseits der Überwachung des Parkterritoriums und der Erfassung des Verkehrs auf dem Weg, der am Kardon vorbeiführt und der einer der größeren Wege in die wilde Natur des Parks ist. Sodann ist das Kardon aber auch Raststation für Einheimische, die gerade vorbeikommen, z.B. Jäger die aus dem Wald kommen. Außerdem ist es auch ein Touristenzentrum. So gibt es eine traditionelle Jurte, wie sie die Rentierhirten haben. Diese kann zum Übernachten oder auch nur für einen Tag gemietet werden. Die Sauna des Kardons kann ebenfalls gemietet werden und irgendwann wird es auch ein Informationszentrum geben.
Deshalb soll das Kardon immer mit einem Parkmitarbeiter besetzt sein. Dieser wohnt in einer extra Hütte. Wenn der Inspektor, der dafür angestellt ist, aber gerade mal im Urlaub ist oder krank ist, so muss er Vertreten werden. Diese Vertretung muss dann oftmals durch die Volontäre gestellt werden.
Das heißt, dass man dann, wie in meinem Fall, für einige Tage allein abseits der Zivilisation (Esso ist 10 km entfernt) lebt.
Zur Einrichtung der Wohnhütte gehören: ein Gasherd, ein Waschbecken, Holzofen (damit es auch im Winter warm ist), ein Bett und andere Möbel. Geschirr ist auch vorhanden, allerdings ist dieses stets verdreckt und ziemlich ekelhaft. Strom gibt es durch ein Windrad und einen Sonnenkollektor. Allerdings gab es während meiner Zeit nur zwei funktionierende Lampen die ein spärliches Licht abgaben. Wasser muss man aus dem Fluss holen. Die Toilette ist ein Plumpsklo hinter der Hütte. Zum waschen kann man in die Sauna, aber auch dort gibt es weder Strom noch fließend Wasser.
Als Kontakt zur Außenwelt diente früher noch ein Telefon, dieses war aber momentan nicht vorhanden. So hatte ich nur mein Handy, mit dem ich an wenigen Stellen schwachen Empfang hatte, der gerade für eine SMS reichte.
Soweit mal zum Kardon. Weiter mit meinen Erlebnissen dort.
Nachdem ich mich am Freitag etwas eingerichtet hatte, noch etwas Schnee geschippt hatte und dann noch den in dieser Nacht sehr gut sichtbaren Vollmond versucht habe zu fotografieren, ging ich dann schon gegen 21:30 Uhr schlafen. Denn erstens war ich tatsächlich schon müde und außerdem reichte das Licht nicht wirklich zum lesen.
Am Samstag stand ich dann gegen 8 Uhr schon auf. Noch vor dem Frühstück wollte ich den Ofen anfeuern, was allerdings zunächst nur unter starker Rauchentwicklung und nach einiger Zeit klappte. Im Laufe der Tage klappte es dann besser.
Hinzu kam noch, dass ich nicht wirklich gut gelaunt war, da ich nun für sieben Tage (damals ging ich noch von sieben Tagen aus) hier allein am Kardon sitzen sollte. Eine Begleitung wurde mir für diese Zeit ja ausgeschlagen, da ich das als Mann auch ganz gut allein hinbekommen könnte. Sodann befürchtete ich auch unerwünschten Besuch von irgendwelchen Besoffenen Leuten, die gerade vorbei kamen und zum Inspektor des Kardons (Er heißt übrigens genau wie auch der russische Volontär Sergej, um Verwechslungen vorzubeugen, nenne ich nun Kardonsergej) wollten und dann einfach mal in meiner Hütte saßen und erst einmal nicht mehr weg gingen.
Naja, auf jeden Fall war meine Stimmung am Samstagmorgen in einem vorübergehenden Tief.
Den Rest des Samstags beschäftigte ich mich dann einerseits mit Aufräumen in der Hütte, Schnee schippen auf dem Hof (auf Grund des starken Windes, der den Schnee immer wieder auf die Wege wehte, eine Aufgabe, die viel Zeit in Anspruch nimmt), Lesen, Tee trinken und Essen.
Am Nachmittag fuhr dann ein Schneemobil auf den Hof des Kardons. Schon bald bemerkte ich beim Blick durchs Fenster, dass mindestens einer der beiden Leute, die mit dem Schneemobil unterwegs waren, stark betrunken war und nicht mehr gerade Laufen konnte. Warum auch immer, machten sie ihr Fahrzeug kurz aus (ich dachte schon, jetzt würden sie zu mir kommen) und bekamen es danach lange Zeit nicht mehr an (vielleicht ist da der Alkohol schuld daran?). Nach einiger Zeit aber schafften sie es und ich war heilfroh, dass die beiden wieder weg waren und nicht zu mir in die Hütte gekommen waren.
Da ich abends nur eine sehr schwach leuchtende Glühbirne zum Lesen hatte, ließ ich das Lesen bald sein und ging schon um 9 Uhr ins Bett.
Auch der Sonntag sah nicht viel anders aus. Einer der Höhpunkte war der Besuch von den Parkinspektoren Pjotr Petrowitsch, Sascha und eines Verwandten von Pjotr P. namens Alexander. Diese waren gerade damit beschäftigt den Weg für das Hundeschlittenrennen, das heute in Esso startete und nach ca. 50 km dort wieder endete, zu markieren und kamen kurz vorbei, um sich bei Tee, Speck und Suchariki (kleine geröstete Brotstückchen), einer für hier typischen „Vesperpause“ aufzuwärmen. Mit Alexander unterhielt ich mich dann noch kurz über Russland, dessen Wetter und Geschichte und war überrascht, wir viel ich davon verstanden hatte.
Ein zweiter Höhepunkt waren dann die vorbeifahrenden Hundeschlitten, die ich mit dem Fernglas beobachte und zählte.
Die neue Woche startete mit bestem Winterwetter. Nachts/morgens noch eisig kalt (um die minus 30) Tagsüber dann Sonnenschein und ca. minus 15 Grad. Dieses klasse Wetter wollte ich nutzen, um mich nochmal auf die Jagdski zu stellen, die man mir hier gelassen hatte. Ich fuhr ein kleines Stück bis zu einem Rastpunkt in unmittelbarer Nähe des Kardons, dann schlug ich den Rückweg ein und wollte eigentlich noch ein Schleife fahren, da ich noch nicht allzu viel gefahren war, da hörte ich aber schon ein Schneemobil auf dem Hof des Kardons und beeilte mich zurück zu kommen.
Dort angekommen warteten dann schon Juri Nikolajewitsch mit fünf Gästen auf mich, während Igor Anatolewitsch schon mit dem Schneemobil los war, um meiner Spur folgend mich zu suchen.
Die fünf Gäste waren, wie ich erkannte, drei Leute aus dem Nalychevo–Naturpark und zwei weitere Leute, die, wie sich später rausstellte vom Fernsehen waren.
Ich schloss also die Hütte auf und bot den Leuten Tee an. Dann bemerkte ich, wie das Fernsehteam die Kamera auspackte und versuchte erst noch der Kamera zu entkommen. Außerdem unterhielt ich mich mit den ganzen Leuten, die einerseits wissen wollten, wer ich sei, was ich hier mache, warum ich in Russland sei, was meine Eltern darüber denken würden, welchen Zweck das Kardon hat und ob es mir hier gefällt.
Das Kamerateam filmte dann schon bald auch in der Hütte, also in meiner momentanen Küche und meinem Schlafzimmer auf Zeit, dass ich natürlich nicht auf solch einen Besuch vorbereitet hatte. Ich empfand dieses Eindringen in meine „Wohnung“ nicht gerade angenehm, ließ sie aber gewähren, denn ich konnte schließlich schlecht die Medien vor dem Direktor aus der Hütte schmeißen, wenn der sie extra hier her gefahren hatte.
Zum Höhepunkt des Besuches musste/durfte ich dann noch ein Interview geben, auf Russisch. Glücklicherweiße konnte ich die Fragen einigermaßen verstehen und auch beantworten, aber mein Puls ging da dann doch etwas schneller, schließlich gab ich gerade als Vertreter des Naturparks, des EFD's und sonst noch wem ein Interview und wollte dabei nicht als Depp dastehen.
Als das dann vorbei war, gab auch noch der Direktor ein Interview (vermutlich ein qualitativeres) und dann fuhren die Leute ab. Ich fuhr auch mit. Denn ich sollte vom Dach einer kleinen Rasthütte, die auf dem Weg zurück lag, den Schnee schippen, damit diese Hütte nicht zusammenbrach. Zuvor ging es aber noch zum Aussichtspunkt, der an der Strecke Kardon – Esso liegt. Denn dort wollte das Fernsehteam auch noch ein paar Aufnahmen machen. Danach ging es dann auch das Dach des Häuschens. Als das dann von der Schneelast befreit war, fuhren die anderen zurück nach Esso und ich machten mich mit der Schneeschaufel in der Hand die 3 Kilometer zurück zum Kardon auf den Weg. Da das Wetter aber echt toll war, nutze ich dies für einen Spaziergang und zum fotografieren.
Sowohl der Besuch, als auch das Interview und die spontane Fahrt zu dieser Hütte waren also die nächsten Überraschungen gewesen. Denn es ist niemand auf die Idee gekommen mich über bevorstehenden (wichtigen??) Besuch zu informieren. Immerhin war ich ja per SMS erreichbar.
Ansonsten gab es an diesem Tag aber keine Höhepunkte mehr.
Am Dienstag erfuhr ich dann, nachdem ich nochmal nachfragte, dass morgen die angekündigte Saunanutzung ausfalle. Aus irgendwelchen Gründen hatte man das wohl abgesagt. Schön, dachte ich, dann muss ich mich also nicht um die schon letzte Woche angekündigten 12 Touristen kümmern.
Auch am Dienstag war ich nochmal auf Ski unterwegs, allerdings hatte ich Problem mit der Bindung, so dass ich schon nach kurzer Zeit zurückkehrte.
Mittags fing ich dann an, die Banja (Sauna) einzuheizen und das nötige Wasser heranzutragen. Nach bald vier Tagen hatte ich ein ziemliches Waschbedürfnis.
Am Nachmittag, ich stand gerade hinter der Tür um meine Schuhe anzuziehen und aufs Klo zu gehen, ging plötzlich die Türe auf und ein mir fremder, ziemlich runtergekommener Mann stand vor mir. Ich grüßte und versuchte höflich zu sein, dieser lief einfach an mir vorbei in die Hütte rein und schaute sich überall um. Dann fragte er mehrmals, ob ich alleine sei und wo den Kardonsergej sei. Ich meinte, dass dieser nicht da sei und ich allein sei. Nach ungefähr 5 seltsamen Minuten ging er dann aber wieder.
Am Spätnachmittag kamen überraschend ein paar Leute aus Esso angefahren. Diese wollten eigentlich zu Kardonsergej, da der aber nicht da war, fragten sie, ob sie hier Tee trinken könnten. Ich wies sie dann auf die Jurte und die 200 Rubel (ca. 5 Euro) Nutzungsgebühr hin. Sichtlich wenig erfreut darüber, dass sie nicht, wie sie es wahrscheinlich von Kardonsergej gewohnt waren, in die Hütte des Inspektors konnten (ich war aber nicht dazu verpflichte sie einzulassen!!) zahlten sie dann aber doch die 200 Rubel und setzen sich in die Jurte.
Abends, die Leute aus der Jurte waren nach etwas Tee und Wodka zum Glück wieder abgefahren, ging ich dann in die Banja. Alleine war's dort zwar nicht so interessant wie mit gemeinsam mit Freunden, aber dennoch war es entspannend und das Waschen im Anschluss tat auch gut.
Am Mittwoch erwartete ich nichts Besonderes (naja oder vielleicht doch, wenn ich an Montag und das Kamerateam denke?). So ließ ich den Tag gemütlich mit ein paar Sudokurätseln beginnen. Gegen 11 Uhr ging ich nach draußen und schippte von einem Flachdach den Schnee. Um 11.30 Uhr kam dann ein Schneemobil angefahren, kurz später dann noch zwei.
Die ankommenden entpuppten sich als zwei Inspektoren und 8 Touristen, die die Jurte angemietet hatten. Also kam die angekündigte Gruppe doch, wenn auch mit weniger Leuten und nur für die Jurte.
Da hieß es dann ganz schnell die Jurte einheizen, damit es die Leute dort warm haben. Zum Glück war ja Juri Nikolajewitsch, einer der Parkinspektoren, die ganze Zeit über da, so musste ich mich nicht allein um die ganze Meute kümmern. Diese Meute erwies sich aber als außerordentlich gastfreundlich, wie es sich eben für Russen gehört. So brauchte es nicht lange, bis ich von ihnen eingeladen wurde und am Festbankett teilnehmen durfte. Da der 23.2. in Russland ein Nationalfeiertag (vor allem für die Männer) ist kam die diese Gruppe an das Kardon um dort zu feiern.
Neben den ganzen leckeren Speisen und Getränken bekam ich zu Ehren des Festtages sogar noch ein kleines Geschenk.
Zwischendurch bekam ich noch Besuch von Mascha und Ruslan und zwei weiteren Touristen, die aber nur für einen Tee blieben.
Gegen 18 Uhr fuhren meine neuen besten Freunde (so meinten sie) wieder ab und ich machte die Jurte wieder für den nächsten Besuch sauber.
So war der Mittwoch also eine große Überraschung der Kategorie gut.
Da die Nacht wohl recht kalt war, den am Donnerstagmorgen war die Hütte ziemlich ausgekühlt. Das Wasser in der Küche war schon gefroren, im Schlafraum war es etwas wärmer, da dort am Abend noch der Ofen an war und der Raum besser isoliert ist.
Am Vormittag platzte plötzlich wieder der Rentierhirte, der die Letze schon einfach in meine Hütte kam, herein. Wieder fragte er nach Kardonsergej (dabei hatte ich ihm das letzte Mal schon gesagt, dass dieser erst nächste Woche wieder kommen würde), ob ich allein sei, außerdem, ob heute schon jemand hier entlang gekommen sei und erzählte etwas von seinem Kameraden, auf den er warte.
Irgendwann forderte er mich nicht gerade höflich dazu auf, ihm Tee zu geben. Obwohl ich den Typen nicht wirklich in meiner Hütte haben wollte schenkte ich ihm Tee ein. Schließlich wollte ich ja nicht allzu unfreundlich sein. Als dann sein Kamerad kam, so setzte der sich auch noch in meine Küche und trank meine Kaffee aus meiner Tasse. Wenn ich sie richtig verstanden hatte, so brauchten die Hirten, die hier in der Nähe Rentiere hüteten, irgendetwas aus Esso und wollten deshalb wohl auf ein Schneemobil warten.
Nachdem ich ihnen auf ihre mehrfache Frage hin, ob ich hier ein Telefon hätte, mein Handy anbot (allerdings war der Empfang nicht ausreichend zum telefonieren) und ihnen auch noch eine meiner Kerzen schenkte (sie wollten unbedingt eine) ging der eine dann endlich zu Fuß nach Esso und der andere wieder zurück zur Rentierherde.
Ich war dann echt froh, als diese ungebetenen und unfreundlichen Gäste (gut, ich war auch nicht gerade höflich, aber wie ein Schild an der Hütte schon verkündet, ist unbefugten der Zutritt zur Hütte verboten und dennoch habe ich sie nicht rausgeschmissen, ihnen Tee, mein Handy, ein Kerze und sogar noch Kekse gegeben.) endlich weg waren.
Am Mittwoch sagte mir Juri Nikolajewitsch noch einmal, dass am Freitag ja wichtige Leute die Banja und die Jurte angemietet hätten. Das wurde mir schon mehrmals gesagt. Deshalb säuberte ich schon am Donnerstag die Banja, bereitete Feuerholz vor und schaute, dass die Jurte sauber war.
Am Abend kam dann wieder ein Schneemobil, die Leute wollten sich kurz aufwärmen. Ich wies sie dann zur Jurte und ging, nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass sie den Ofen an machen könnten, wieder auf ein weiteres Flachdach, um dies vom Schnee zu befreien. Nach wenigen Minuten hörte ich dann aber, wie das Schneemobil wieder wegfuhr. Scheinbar hatte es ihnen in der Jurte nicht gefallen, da sie es wahrscheinlich gewohnt waren, in die Hütte eingelassen zu werden. Naja, so musste ich die Jurte wegen den zwei Minuten abermals ausfegen, damit sie für die morgen eintreffenden „wichtigen“ Leute sauber sei.
Am Freitag ging ich extra noch vor dem Frühstück in die Banja, um dort den Ofen anzuheizen, damit die Banja zur Mittagszeit warm sei, so wie ich es mit Juri Nikolajewitsch ausgemacht hatte.
Nach dem Frühstück begann ich dann meine Sachen zusammenzupacken. Denn heute sollte es wieder zurück nach Esso gehen. Als Juri Nikolajewitsch um 10.30 noch immer nicht da war, obwohl er eigentlich schon um ca. 9 Uhr kommen wollte, dachte ich mir schon, dass es wieder irgendwelche spontanen Planänderungen gab, von denen man mir, der sie ja am allermeisten benötigt, wieder nichts gesagt hatte. Als ich per SMS bei Vera nachfragte, kam dann die wohl schlechteste Nachricht, die ich am Kardon bekommen hatte: Die Gäste würden nicht kommen, mich würde man heute nicht abholden und ich sollte noch bis Montag am Kardon bleiben.
Nicht dass ich nur die Banja und die Jurte völlig umsonst für die scheinbar so wichtigen Leute vorbereitet hatte, nein man ließ mich auch noch einfach mal so drei Tage länger am Kardon sitzen und die einzige Person, die mir diese wichtigen Informationen zukommen lässt, ist Vera eine Volontärin und nicht etwa der Chef, dessen Aufgabe es ja wohl ist, dafür zu sorgen, dass ich von solchen Änderungen erfahre.
Sodann fand am Samstag ein großes traditionelles Fest (Fest der Rentierzucht) statt, das ich unbedingt miterleben wollte.
So war es nicht verwunderlich, dass meine Laune ziemlich mies war. Dem Direktor schien ziemlich egal zu sein, ob ich noch ein paar Tage länger dort bleiben würde, ob meine Nahrungsmittel reichen würden und ob ich das Fest der Rentierzucht (nachdem ich letztes Wochenende schon die Hundeschlittenrennen verpasst hatte und mein Jahr hier ja auch dem kennen lernen einer fremden Kultur dienen soll) verpassen sollte.
Dies war also eindeutig eine Überraschung der Kategorie schlecht!
Am Samstagvormittag, ich lag gerade auf dem Bett und las, kam dann plötzlich Juri Nikolajewitsch angefahren und fragte, ob ich nicht zum Fest wollte. Ich wusste natürlich von nichts, zog aber trotzdem meine warmen Klamotten an und steckte meinen Geldbeutel ein und dann wurde ich nach Esso gebracht, um am Fest der Rentierzucht teilzunehmen. Abends sollte ich dann wieder zurück ans Kardon.
Später erfuhr ich dann, dass ich es wohl Mascha, Vera und Susan zu verdanken hatte, dass ich dem Fest beiwohnen konnte. Denn diese hattte wohl zunächst versucht Igor Anatolewitsch darauf anzusprechen, nachdem der aber nicht erreichbar war, konnten sie Natalia Petrowna klar machen, dass ich dieses Fest gerne sehen würde und auch noch neue Lebensmittel benötigte. Natalia Petrowna wiederum schickte dann Juri Nikolajewitsch los, um mich zu holen.
So war ich also am Samstagnachmittag wieder in Esso. Das Fest war wirklich interessant, auch wenn ich es irgendwie nur als Traum wahrnahm, da ich mich in Gedanken noch immer bzw. schon wieder am Kardon sah.
Das Festprogramm beinhaltete unter anderem ein Rennen mit Rentierschlitten (die Rentiere waren aber keine guten Renntiere und liefen eigentlich wohin sie wollten), Tanzeinlagen einer ewenischen Tanzgruppe, und verschiedene sportliche Wettkämpfe, die die männliche Dorfjugend austrug (darunter auch ein Ringkampf, bei dem die Kämpfer im Schnee und bei ca. 0 Grad Celsius oben ohne kämpften).
Abends brachte mich Igor Anatolewitsch wieder ans Kardon. Allerdings hatte ich nun Begleitung. Kostja und Camille (die französische Volontärin) wollten eine Nacht am Kardon übernachte, am Sonntag auf Skiern fahren und dann wieder zurück.
Der Besuch der beiden erfreute mich natürlich sehr, denn so musste ich den Samstagabend und den Sonntag nicht allein verbringen und hatte etwas Gesellschaft.
Am Samstagabend gingen wir drei dann nach dem Essen noch auf einen Nachtspaziergang, der recht lustig war. Gegen 12 Uhr fielen wir dann in die Betten.
Am Sonntag ging es dann nach dem Frühstück um ca. 8.30 Uhr los, um auf Skiern zu einer nahe gelegen Hütte zu fahren. Ich fuhr auf Jagdskiern (oder versuchte es zumindest). Der Weg führte ca. 3 Kilometer durch die Tundra. Dann machten wir Rast unmittelbar neben ein paar Rentieren, bauten uns aus Schnee einen Windschutz, entzündeten ein Feuer, tranken Tee und aßen eine Kleinigkeit.
Dann ging es die drei Kilometer wieder zurück.
Nach dem Mittagessen fuhren Kostja und Camille auf Skiern wieder zurück nach Esso und ich blieb für die letzte Nacht am Kardon.
Den restlichen Sonntag und den Montag nutze ich dann noch zum lesen, aufräumen, zum packen meiner Sachen und, da es nochmal ziemlich viel Neuschnee gab, auch noch zum Schnee schippen.
Am Montagnachmittag um ca. 16 Uhr hörte ich dann das lang ersehnte Motorengeräusch eines Schneemobils. Tatsächlich wurde ich dann endlich abgelöst und wieder nach Hause gebracht.
Wieder zu Hause schmiss ich erst einmal die Klamotten, die ich am Kardon verdreckt und eingeräuchert hatte in die Waschmaschine und stellte mich unter die Dusche.
Dieses Gefühl der Sauberkeit war dann wirklich angenehm.
Ich war also echt froh wieder in der Zivilisation zu sein.
Auch wenn ich mich über einige Dinge aufregen musste und dieser Bericht vielleicht nicht allzu positiv klingt, so muss ich sagen, dass diese zehn Tage am Kardon nicht so schlimm waren, wie im Voraus befürchtet.
Anders ausgedrückt: Auf einer Skala von 0 bis 10, wobei 0 bedeutet „bevor ich da nochmal hin muss breche ich meinen EFD ab“, 5 bedeutet „naja, so schlimm wars nicht, bin aber froh wieder zurück zu sein“ und 10 bedeutet „ich will wieder zurück, sofort, für den Rest meines EFD“ würde ich diesen zehn Tagen eine 6 geben!
So jetzt habe ich ja über diese paar Tage ganz schön viel geschrieben. Ich hoffe, es war nicht langweilig und ihr werdet auch meine nächsten Berichte noch lesen.
Bis dahin machts gut und lebt entspannt in den Tag hinein, plant wenig, denn der Plan kann plötzlich zerstört werden, da andere scheinbar keinen haben.