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Gibt es so etwas wie eine Cyberrevolution? Und welchen Einfluss hat das Internet auf die Zensur und die Veränderungen in der Medienlandschaft Syriens?
Syrien ist ein Land, von dem die wenigsten Menschen in Deutschland eine genaue Vorstellung haben. Selbst die aktuellen Medienberichte bezüglich der verheerenden Lage in dem arabischen Staat ändern diese Tatsache kaum, da es nach wie vor keine unabhängigen Medien gibt, die über die aktuelle Lage berichten könnten.
Syrien ist ein Land, von dem die wenigsten Menschen in Deutschland eine genaue Vorstellung haben. Selbst die aktuellen Medienberichte bezüglich der verheerenden Lage in dem arabischen Staat ändern diese Tatsache kaum, da es nach wie vor keine unabhängigen Medien gibt, die über die aktuelle Lage berichten könnten.
Die politische Situation im Land war auch vor Beginn der Unruhen bereits einzigartig. Mehr als 40 Jahre lang herrschte der 1963 ausgerufene Ausnahmezustand. Damals gelangte die arabisch sozialistische Baath-Partei mittels eines Staatsstreiches an die Macht, Präsident wurde Hafez al-Assad. Das Leben der Zivilbevölkerung wurde seither von verschiedenen internen Gruppen überwacht, es herrschten Angst und Misstrauen. Über 15 Millionen Menschen leben in dem Land im Mittleren Osten, eine heterogene Bevölkerung, die zu sehr ungleichen Teilen von den reichen Bodenschätzen Syriens profitiert. Die wenigen verfügbaren Medien sind staatlich geregelt und unterliegen einer strengen Zensur. Diese wird unter Berufung auf den Ausnahmezustand mit der Gefahr eines Krieges mit Israel begründet. Wer die Regeln bricht, wird vor ein besonderes Gericht gestellt, das nicht der üblichen Gesetzgebung unterliegt und daher willkürlich über das Schicksal Angeklagter entscheiden kann.
Diese alltägliche Vorgehensweise widerspricht deutlich der syrischen Verfassung, welche im Artikel 38 allen Bürgerinnen und Bürgern Meinungsfreiheit zugesteht und auch eine freie Presse vorsieht. Das Ba'athist-Regime ist für die Verfolgung und Ermordung zahlreicher Journalist_innen verantwortlich und Syrien wurde auf der Liste der Pressefreiheit der Reporter ohne Grenzen stets unter den letzten 20 gewertet (in der letzten Veröffentlichung von 2012 findet sich Syrien auf Platz 176 von 179).
Ex-Präsident Bashar al-Assad wird von den ROG seit Jahren auf der Liste der Pressefeinde geführt , da seine Regierung nicht davor zurückschreckt, zur Zensur jeglicher Kritik an der Politik des Landes Gewalt anzuwenden. Im Jahr 2000 verstarb Hafez al-Assad, Nachfolger wurde sein Sohn Bashar al-Assad. Als der 35-jähriger Bashar nach al-Assads Tod 2000 die Führung des Landes übernahm, galt er vielerorts als Hoffnung für das Land, unter anderem auf Grund seiner westlich geprägten Bildung. Tatsächlich entspannte sich die politische Atmosphäre des Landes unter seinem Einfluss und eine Reihe von Reformen wurde eingeleitet. Unter ihm schien sich die Lage in Syrien zunächst zu bessern, die Zensur wurde eingeschränkt, politische Gefangene in die Freiheit entlassen, und die Benutzung des Internets offiziell erlaubt.
Mit einer Welle der Euphorie begrüßten die Syrer gemeinsam mit internationalen Beobachtern die Entstehung der ersten unabhängigen Zeitung des Landes seit seiner Entstehung. Nach nur kurzer Zeit kehrte das Regime jedoch zur alten Methodik zurück, verhaftete Oppositionelle und ließ das Militär auf Demonstrierende schießen. Im Jahr 2011 zerbrach Syrien zwischen Regimegegnern und den Anhängern des Regimes, es wurde Teil der Bewegung, die bei uns als der "Arabische Frühling" bekannt ist. Anders als in den Nachbarstaaten halten die Kämpfe jedoch an, ein Eingreifen von außen wie in Libyen ist nicht absehbar.
Besonders seit meinem Aufenthalt in Syriens Nachbarstaat Israel habe ich mich umfassend mit der Situation des Landes beschäftigt, insbesondere in Bezug auf die Situation der Presse. Ich habe unzählige Berichte gelesen, wissenschaftliche Arbeiten zum Thema, Zeitungsartikel.
Wie im Verlauf der Recherche deutlich wurde, ist die Situation in Syrien in vielerlei Hinsicht einzigartig. Obgleich das Land im Zuge des „Arabischen Frühlings“ in einem Atemzug mit Ägypten und Libyen genannt wird, befindet sich das Land in einer gänzlich anderen Situation.
Oppositionelle fordern seit Beginn der Auseinandersetzungen im Jahr 2011 die Absetzung der gegenwärtigen Regierung um Präsident Bashar al-Assad. Die Machthaber aber sind nicht gewillt, sich den Aufständen zu beugen und praktizieren daher eine autoritäre Politik, die in Restriktionen und Einwirken in den Alltag der Menschen immer größere Ausmaße annimmt. Journalist_innen werden festgenommen, Internetseiten werden blockiert und teilweise wird die Internetverbindung oder gar die Stromverbindung für einige Stunden unterbrochen. Dies jedoch behindert die Menschen nicht nur in ihrem Kampf gegen Assad, sondern auch in ihrem alltäglichen Leben.
Syrien derweil ist gespalten, und das nicht nur in Regierung und Opposition. Die vielfältigen Gruppen und ihre oft gegensätzlichen Interessen überschneiden sich häufig nur in dem Punkt, dass das gegenwärtige Regime um Bashar al-Assad den Bedürfnissen der Bevölkerung nicht mehr entspricht. Die verschiedenen rivalisierenden Bedürfnisse der Widerstandsgruppen verkomplizieren die Einigung auf eine geschlossene Opposition und bewirken eine weitere Ausbreitung der Kluft zwischen den verschiedenen Teilen der Gesellschaft.
Die jahrelange autoritäre Herrschaft hat Spuren hinterlassen. Ähnliche Formen dieses Systems finden sich nun auch im Widerstand wieder. Dass ein solcher überhaupt entstanden ist, muss bereits als großer Schritt betrachtet werden. Bereits unter Bashars Vater Hafez al-Assad war schließlich jede Form der Opposition unter Strafe verboten und jede Form politischer Verbindungen unterlag direkt der regierenden Baath-Partei. Gruppierungen zur Stärkung individueller Bedürfnisse sind nicht vorgesehen .
So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich seit Beginn der Aufstände eine große Zahl oppositioneller Gruppen gebildet hat. Neben den traditionellen Oppositionsparteien, die offiziell verboten sind, entstehen unzählige weitere Verbindungen. Diese unterscheiden sich nicht nur in Hintergrund und Anliegen, sondern auch in der Frage (finanzieller) Unterstützung aus In- und Ausland.
Der Widerstand bestand zunächst aus gewaltlosen Demonstrationen sowie Online-Aktivismus; man rechnete mit ähnlichen Auswirkungen einer „Internet-Revolution“ wie in anderen Ländern des „Arabischen Frühlings“. Tatsächlich aber führte die Gewalt, mit der das Assad-Regime auf die Proteste reagierte, zu einer Abkehr von gewaltfreien Methoden. Statt Blogs und Posts dominieren nun Straßenkämpfe mit unzähligen Toten. Das Internet dient in dieser Zeit vor allen Dingen der Organisation und der Kontaktaufnahme mit ausländischen Medien und Unterstützern.
Seit ihrer Machtergreifung versucht die Baath-Partei, mit allen Mitteln eine Einheit des Volkes herzustellen in einem Land, dessen komplexe Bevölkerungszusammensetzung dies keinesfalls rechtfertigt. Gruppierungen zur Stärkung individueller Rechte werden verboten, die Einheit des Landes steht an der Spitze der zu verteidigenden Werte in der Verfassung und auch in der Gesetzgebung der Medien.
So sehr sich die Regierung auch um eine Abschottung des Landes von der Außenwelt zum Schutz der Erhaltung Syriens in der von ihr angestrebten Form bemühte – besonders durch die Einführung des Internets, aber auch durch andere Formen äußeren Einflusses, haben sich die Menschen gegen eine solche Vorstellung eines Staates gestellt.
Der „Hacktivismus“ jedoch ist nur ein erster Schritt. Mithilfe einer Mischung aus traditionellen und Neuer Medien und verschiedenen Formen der Small Media demonstrieren Syrerinnen und Syrer zunächst einmal gegen die Situation, in der sich das Land befindet. Wie bereits dargelegt, findet zweifelsfrei eine Ermächtigung von Gruppen und Individuen statt, die ohne das Internet in dieser Form nicht möglich gewesen wäre. Der Widerstand, obgleich sich die Kämpfe nun größtenteils aus Onlineforen auf die Straßen verlagert haben, wird nach wie vor durch die neuen Medien beflügelt.
Die Frage, die sich aus all diesen Feststellungen ergibt und sich besonders angesichts der offensichtlichen Spaltung des Landes stellt, ist, in welcher Weise das Mediensystem in Zukunft den Ansprüchen der Nutzer_innen gerecht werden kann und in welcher Weise das Internet den Weg für eine freie Presse ebnet. Sollte die Baath-Partei weiter an der Spitze des Landes bleiben, ist dies mehr als zweifelhaft. Wie bereits beschrieben, machen sich die Machthaber in Syrien das Internet zu Nutzen und holen den Vorsprung der Aktivist_innen immer weiter auf, nutzen das Web für eigene Zwecke und finden immer neue Wege der Zensur, anstatt diese zu lockern.
Abschließend möchte ich noch anmerken: Das Kernproblem der Revolution ist und bleibt derzeit ein anderes. Sollte die Opposition nämlich die Oberhand gewinnen, stehen wohl zunächst andere Probleme an. Denn wie sich bereits zum Beispiel in Ägypten zeigt, ist die Absetzung eines autoritären Regimes nicht die finale Lösung für eine Nation. Syrien, nach fast 20 Jahren diktatorischer Verhältnisse unterdrückt und so sehr gespalten wie kaum ein anderes Land in der Region, wird auch im Falle einer erfolgreichen Revolution auf der Suche nach einer nationalen Identität noch einen langen Weg vor sich haben. Doch derzeit ist noch kein Ende der Krise in Sicht, und eine ohnehin zerrissene Bevölkerung ist hilflos der Korrosion des Landes ausgesetzt.
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