Wie fair ist Fair Trade?
Fair Trade scheint ein makelloses Konzept zu sein: Durch einen direkteren Handel mit ProduzentInnen wird ihnen ein besser Lohn garantiert, was für mehr Sicherheiten und mehr Entwicklungsautonomie sorgen soll. Wie gestaltet sich Fairtrade aber in der Wirklichkeit?
Meine Arbeit hier in einer kleinen NGO in Frankreich, welche sich als Anlaufstelle für die Ärmsten der Armen versteht, und versucht auch viele in rechtlichen Fragen um Aufenthaltsgenehmigungen und Sozialrecht zu beraten, frage ich mich häufig, warum. Warum kommt es soweit? Warum schaffen wir es nicht, eine gerechtes System zu schaffen? Denn auch die scheinbaren Alternativen zu konventionellen Konsumgüter, welche ethisch und moralisch akzeptabel erscheinen, sind letztlich nur Teil des ganzen, ungerechten Systems, argumentiert der senegalesische Ökonom Ndongo Samba Sylla. Sein Buch „Marketing Poverty to Benefit the Rich“ hat mich aufgerüttelt, und stellt ethischen Konsum generell in Frage.
Um nicht so negativ zu beginnen, es gibt natürlichen fairen Handel: Gerade viele kleine Initiativen und Non-Profit Organisationen unterhalten Projekte, bei denen ProduzentInnen nicht nur am Arbeits- sondern auch am Verhandlungsprozess beteiligt sind und davon profitieren. Trotzdem gibt es einiges zu kritisieren: Ein großer Kritikpunkt sind beispielsweise die Vielzahl an Fairtrade-Label, welche eigentlich ethischen Konsum leichter machen sollten, es mittlerweile aber eher erschweren. Die Zertifizierung unter vielen Siegeln entspricht nicht unseren Erwartungen, teilweise werden nicht einmal offizielle Fairtrade-Richtlinien eingehalten. Außerdem müssen viele Produkte, die aus mehreren Zutaten bestehen wie beispielsweise Schokoladenriegel nur einen Bruchteil an Fairtrade-Zutaten enthalten, um ein Fairtrade-Siegel tragen zu dürfen. Verbraucher dürfen sich deshalb von den vielen Siegeln nicht täuschen lassen: Weil Fairtrade offiziell nicht definiert ist, kann jede Initiative ihre eigenen Richtlinien und Siegel festsetzen.
Von einer globalen, ökonomischen Sicht ist das Konzept von Fairtrade allerdings auch noch anders zu bemängelnden: Ndongo Sylla argumentiert, dass fairer Handel die Ärmsten der Armen auch noch marginalisiert, und tatsächlich, nach seiner Datenerfassung die auf den Zahlen der WHO beruht, werden die Regionen, in denen die größte Armut herrscht, völlig vom fairen Handel ausgeschlossen und ihnen damit häufig noch mehr Möglichkeiten geraubt, sie werden weiterhin marginalisiert und abgehängt. Sylla begründet das wie folgt: Um Fairtrade-Kooperationen aufzubauen, muss eine gewisse Infrastruktur vorhanden sein, und gerade für in absoluter Armut lebender Menschen ist es sehr schwer sich zu organisieren. Es fehlt auch einfach das Kapital, dass Organisationen aufbringen müssen, um ihre Produkte zertifizieren zu lassen. Oder ihre Produkte können ohne moderne Technologie nicht die Qualitätsstandards einhalten, die westliche Käufer fordern.
Das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass viele Fairtrade-Organisationen die Bauern und Bäuerinnen vor Ort nicht genug unterstützen, und viele Organisationen versuchen ihren Zugang zu ärmeren Bevölkerungsschichten auch zu verbessern, aber die Ärmsten werden trotzdem nicht erreicht, weil das System ganz auf Export ausgerichtet ist. Menschen in den ärmeren Regionen sind häufig darauf angewiesen, für ihren eigenen Bedarf anzubauen. Positiv ist allerdings, dass manche Initiativen mit einem eher ganzheitlichen, holistischen Ansatz arbeiten, bei welchem nicht nur die produzierenden Bauern und Bäuerinnen profitieren, sondern die ganze Dorfgemeinschaft.
Sylla suggeriert aber mit seinem Buchtitel auch, dass vor allem der globale Norden vom „fairen Handel“ profitiert: Tatsächlich zahlen die Konsumenten bereitwillig mehr, aber dieses mehr geht häufig nur zu einem Bruchteil zurück an die Produzierenden. In den meisten Fällen bleibt auch hier der Großteil des Geldes bei den Zwischenhändlern und Großverteilern. Das führt dazu, dass die Mehreinnahmen verschwindend gering sind und man damit nicht wirklich Armut bekämpfen kann.
Ein großes Problem sieht Sylla vor Allem in dem unfairen Austausch, der schon seit Jahrhunderten zwischen dem globalen Süden und Norden herrscht: Während die ProduzentInnen im Süden fast ausschließlich Rohstoffe und unverarbeitete Produkte verkaufen, liefert der Norden die Verarbeitung zu hochwertigen Gütern welche er dann teuer exportiert. Die Wertschöpfungskette hat daher ihren Schwerpunkt immer in Industriestaaten, in denen die billigen Rohstoffe verarbeitet werden. Regionen, die sich daher auf Fairtrade spezialisieren, spezialisieren sich damit auch häufig auf den Agrarsektor - Und damit auf den Niedriglohnsektor. Hilft Fairtrade also wirklich Regionen aus der Armut? Oder verstärkt er nur das System des unfairen Tauschs?
Daher plädiert Ndongo Sylla, dass die reichen Länder ihre Verantwortungen ernst nehmen und ihre unfairen Handelsstrukturen verändern. Ethischer Konsum sollte nicht nur eine Verbraucherentscheidung, nicht nur eine Alternative, sondern eine politische Verpflichtung der Demokratie sein.
Artikel von The Guardian: https://www.theguardian.com/global-development/2014/sep/05/fairtrade-unjust-movement-serves-rich
Interessantes Interview mit Ndongo Sylla: https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/kritik-an-fairtrade-wie-fair-ist-fairtrade-wirklich
Über die Vielfalt von Fairtrade-Siegel: https://label-online.de/label/fairtrade-siegel-kakao/