WG Leben? Kein Problem!
Warum sich meine Einstellung gegenüber dem Leben in einer Wohngemeinschaft grundsätzlich geändert hat und kleine Einblicke in unseren Wohnalltag
Wenn mich früher irgendjemand gefragt hat ob ich mir vorstellen könnte, beispielsweise während eines Studiums in einer WG zu wohnen, so habe ich meistens relativ bestimmt verneint. Ich war mir immer sicher nicht der richtige Typ dafür zu sein, viel zu viel Freiraum und Privatsphäre zu brauchen und die große Partymaus bin ich sowieso nicht. Jetzt lebe ich hier mit über zwanzig anderen Freiwilligen unter einem Dach und fühle mich pudelwohl - wie soll das denn bitte zusammenpassen?
Bevor ich hier ankam wusste ich zwar schon, dass ich nicht die einzige Freiwillige im Projekt sein würde, dass wir so viele sein würden, war mir allerdings nicht bewusst. Ich dachte mir halt, einmal im Leben sollte man diese Erfahrung schon gemacht haben und wenn es überhaupt nicht klappt, weiß man auf Budensuche für´s weitere Leben Bescheid - offensichtlich die richtige Entscheidung. Vielleicht ist es gerade die große Anzahl an sehr unterschiedlichen Menschen, die es mir leichter macht: man wird nicht zwangsweise mit irgendjemandem zusammengepfercht, mit dem man einfach auf keinen grünen Zweig kommen kann, sondern kann sich gewissermaßen aussuchen, mit wem man wie viel Zeit verbringen möchte, je nachdem wie es sich eben gerade ergibt. Hinzukommt, dass man gewissermaßen andere Ansprechpersonen für verschiedene Bedürfnisse hat - egal ob einem nach Action, Reden oder Basteln zumute ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit ist irgendjemand im Haus, dem es ähnlich geht.
Ein weiterer positiver Aspekt der mir aufgefallen ist, ist dass das Haus sehr geschickt gebaut ist. Die Zimmer liegen alle auf mehrere Flure aufgeteilt weit genug entfernt von der Eingangshalle und den großen Gemeinschaftsräumen und es sind genug erstaunlich schalldichte Feuerschutztüren zwischen diesen und der Küche, sodass man sich wirklich ohne Probleme abends in sein persönliches Reich verabschieden kann ohne immer noch zur Hälfte ansprechbar zu sein und hat dann in der Regel auch wirklich die benötigte Ruhe. Apropos Küche: diese ist definitiv das Zentrum des Hauses. Groß, freundlich, nach allen Bedürfnissen ausgestattet und mit vielen Sitzgelegenheiten und Tischen, zieht sie einfach alle von der Arbeit ins Haus kommenden an, manchmal unter dem Vorwand, "sich bloß einen Tee machen zu wollen", aber mit der unterbewussten Gewissheit, dass man sich sowieso wieder verquatschen und länger bleiben wird. Hier wird gekocht, gebacken und gegessen, irgendjemand zaubert immer eine Musikbox aus seiner Tasche, andere kommen auf die Idee "Verschönerungen" vorzunehmen (siehe Lichterkette im dritten Bild ;)) und natürlich werden hier sowohl die meisten Pläne für unsere freie Zeit geschmiedet, als auch von hier aus gestartet. Ganz besonders stolz sind die Leute hier auf ein, auf mich reichlich befremdlich wirkendes Gerät, den "Aga". Das ist eine Art gasbetriebenener gusseiserner Herd mit zwei großen runden Herdplatten und diversen Ofenfächern, wobei der Clou ist, dass man den ganzen Apparat nicht ausschalten kann und er einfach permanent heizt. Dabei hat jede Platte und jeder Fach eine andere Temperatur und je nachdem, ob man Käse schmelzen, Gemüse backen oder bloß eine Lasagne warmhalten möchte, wählt man den richtigen Ort aus. Für eine Küche wie in diesem Haus, in dem praktisch andauernd irgendjemand eine Kochstelle benötigt, mag das ja noch Sinn machen (nebenbei wird der ganze Raum ganz gemütlich erwärmt und man hat irgendwie den Impuls sich wie eine Katze auf einem Teppich davor niederzulassen), aber hier in der Community hat selbst das kleinste Haus so einen traditionellen Aga und wie das energietechnisch gerechtfertigt sein soll, kann ich mir irgendwie nicht vorstellen.
Neben der Küche gibt es noch einige weitere Gemeinschaftsbereiche (im Moment hauptsächlich von Papierkram und Laptops belagert), ein Esszimmer mit einer großen Tafel (für "formellere" Partys), ein Wohnzimmer mit einem riesigen Flachbildschirm und vielen auf eine gemütliche Art nicht zusammenpassenden Sofas und natürlich den "Prinzessinenturm" alias "Workout-Tower", von dem aus man eine grandiose Aussicht aufs Meer hat und den meines Wissens nach niemand (nicht zuletzt aufgrund eines leichten Käferproblems) wirklich nutzt, aber zum Prahlen taugt er allemal ;)
Nicht nur von der Einrichtung her, sondern auch von außen sieht das ganze Gebäude irgendwie so richtig "anthroposophisch" aus, mit den vielen Erkern und Nieschen und dem orange-roten Anstrich. Als ich die Bilder zum Anhängen ausgesucht habe ist mir erst aufgefallen, wie gelblich-orange das ganze Gebäude auch von innen ist. Bevor es zum Domizil für die Freiwilligen ernannt wurde, war es anscheinend ein Wohnhaus für Kinder mit Behinderungen und ihre Betreuer, was so manche seiner Eigenheiten erklärt - beispielsweise muss man an manchen Türen einen Zahlencode eingeben um hinaus- nicht aber um hinein zu kommen ;)
Drei weitere Aspekte möchte ich noch erwähnen, die meiner Meinung nach enorm zu meinem Wohlfühlen hier beitragen. Erstens: wir haben eine ganze Menge an Plänen und Regeln, was Tätigkeiten für die Gemeinschaft wie Putzen oder Einkaufliste schreiben angeht. Das mag zwar vielleicht etwas einschränkend klingen, macht aber das Zusammenleben definitiv viiieel leichter. Auch wenn sich wohl kaum jemand gegen seinen Beitrag wehren würde, fühlt sich doch grundsätzlich häufig niemand angesprochen wenn nicht der eigene Name schwarz auf weiß auf einem Board steht. Zweitens: unsere Mentoren sind einfach spitze! Vor meiner Ankunft dachte ich, dass die Rolle eines Mentors zusätzlich zu der einer Supervisors oder Koordinators ja irgendwie überflüssig sei, aber die Mentoren haben den riesigen Vorteil, real immer wieder im Haus präsent zu sein. Klar, kann ich bei Fragen eine Email an unseren Koordinator schreiben, die dieser dann auch zweifelslos schnell und kompetent beantworten wird, aber manchmal ist es einfach einfacher beispiielsweise mit dem Laptop in der Küche nach einem der Mentoren zu suchen, denen man Dinge auch direkt zeigen und beschreiben kann. And last but not least: Ich finde es wirklich beeindruckend, was für eine große Akzeptanz, Rücksicht und Offenheit hier zwischen den Freiwilligen herrscht. Wir haben alle sehr unterschiedliche Stundenpläne - manche müssen früh aus den Federn, andere kommen dagegen erst unter Mondschein nach Hause - und so findet es niemand sonderbar, wenn man sich früher ins Bett verabschiedet oder sich einfach für ein wenig Zeit für sich zurückzieht. Alle Aktivitäten sind daher nach dem Motto - wir freuen uns über jeden der kommt und wer nicht kommen möchte wird schon seine Gründe haben - was ich persönlich als sehr angenehm empfinde. Klar gibt es bei so vielen Menschen auch immer wieder Konfliktpotential, aber bisher scheinen sich meiner Ansicht nach alle Unstimmigkeiten auf reife und umsichtige Art lösen zu lassen.
In den nächsten Wochen wird es nochmal einige Veränderungen geben, mit einigen Freiwilligen die neu ankommen oder uns schon wieder verlassen werden - ich bin sehr gespannt wie sich die Gruppendynamik dann so entwickelt, ich halte euch auf dem Laufenden!
See you and take care everyone!