Weihnachten zu Hause
Distanz kann Vieles verändern, wie Bianca feststellte. Nach so langer Zeit wieder daheim war alles anders, aber auch schön(er). Manchmal kann Distanz auch Menschen einander erst richtig nahebringen.
Die Heimat hatte mich wieder! In Kassel nutzte ich die durch den glücklichen Zufall gewonnene Zeit, um eine kleine Tour über den Weihnachtsmarkt zu machen, denn davon hatte ich ja noch nicht allzu viel. Dann informierte ich meine Eltern, dass ich bereits «im Lande» sei und wartete im Bahnhof. Es war ein herzliches Wiedersehen, es wurde umarmt und geknuddelt und endlich wurde mir die Last meines Gepäcks abgenommen. Zu Hause angekommen begrüßte ich zunächst meine Oma, die sich auch sehr freute, mich heil und gesund wieder zu sehen, bevor man mir das Chaos vorstellte: den Pilz und den Wasserschaden in der unteren Etage, sprich, bei mir. Wunderbar.
Oben im Flur angekommen meinte ich triumphierend, dass sich hier auch nichts verändert hätte, alles sei immer noch ein bisschen unordentlich, doch musste ich meine Worte kurz darauf wieder schlucken. Als ich nämlich das Wohnzimmer betrat und um die Tür herumging um den Lichtschalter zu suchen, fand ich NICHTS. Mein Vater lachte, betrat hinter mir das Zimmer und schaltete das Licht auf der ANDEREN SEITE des Türrahmens an! Der Anblick der sich mir bot war ungewohnt, denn nicht nur der Lichtschalter hat aus praktischen Gründen seinen Platz gewechselt, auch die Tapete hatte sich verändert! Ein Blick aus dem Fenster zeigte den Kahlschlag, den mein Vater gemacht hatte: keiner der Bäume, mit denen ich aufgewachsen war, stand mehr an seinem Platz… *Schnüff*
Was mir jedoch besonders gut tat, war der herzliche Empfang meines Bruders, als er spät abends nach Hause kam. Wer uns kennt weiß, dass das absolut keine Selbstverständlichkeit zwischen uns ist, da wir so konträr sind wie Feuer und Wasser. Aber dieses Mal war alles anders. Besonders deutlich wurde mir das an Heilig Abend. Ich beginne mal in der Kirche, wo es ein freudiges Wiedersehen mit meiner besten Freundin gab (ich bin spontan von der Bank aufgesprungen und wir haben uns erst mal umarmt). Jedenfalls… Mein Bruder sitzt in der Kirche nie bei uns, sondern bei seinen Freunden und geht auch alleine heim… Dieses Mal jedoch hat er draußen auf uns gewartet. Er hat meiner Oma beim Weihnachtsbaumaufstellen geholfen, was sie wegen ihrer Arthritis nicht mehr hinbekommen hat. Vielleicht war es nötig, dass ich meinen Platz in der Familie räume, um ihn zu zwingen, Verantwortung zu übernehmen. Er hat sich verändert, soviel steht fest, und das erste Mal fühlte ich, was das Wort Familie wirklich bedeutet, jetzt wo mein Bruder mit dazu zählte. Es war mein bisher schönstes Weihnachten! Es gab keinen Streit wie sonst, es war einfach nur schön. Sogar das Wetter hat mitgespielt und weiße Weihnacht beschert.
Im Laufe der Woche habe ich zumindest ein paar meiner Freunde wiedergesehen, Jen, Monsieur Encadré, Basti, Julia und David, meine Verlegerin (die mich bis dato noch nie gesehen hat), und auch das Verhältnis zu Ihnen hat sich verändert. Ob es an mir liegt, meiner Wahrnehmung oder an beiden Seiten ist letztendlich egal. Nichts ist mehr so, wie es war, außer einer Sache: ich fühle mich Willkommen. Und das ist gut so. Denn es gibt Freiwillige, die sich zu Hause plötzlich fremd fühlten und nie wieder zurückgekommen sind. Ich hoffe und glaube, nicht dazu zu gehören. Einige andere von Euch habe ich an Weihnachten kurz gesehen und gesprochen, mit wieder anderen habe ich nur telefoniert. Aber ihr wart da und habt Euch gefreut, von mir zu hören. Das war ein schönes Gefühl!
Am 31. schließlich bin ich nach Paris aufgebrochen, und ganz im Sinne dieser Weihnachtstage war es mein Bruder, der mich zum Flughafen Dortmund fuhr. Es war komisch, nach so kurzer Zeit wieder aufzubrechen, ich hatte mich zu Hause noch gar nicht wieder richtig eingelebt, habe aus dem Koffer gelebt wie im Urlaub. Irgendwie freute ich mich aber auch schon wieder FRANZÖSICH sprechen zu können. Ich habe immer noch nicht genug davon. Meine Begeisterung ist nicht geringer geworden, im Gegenteil! Wie froh war ich, als Jean-Jacques und Paul während meiner Zeit in Deutschland mal kurz anriefen, das gab mir Gelegenheit, ein bisschen zu reden. Aber bis zu einem Wiedersehen würde es noch eine Weile dauern, denn jetzt hieß es erst mal: eine Woche in der schönen Stadt PARIS!