Wegen mir? Oder doch nicht?
Die zweite Woche ist vorbei - viel erlebt: Es gab die erste Estnisch-Stunde und ein paar Einblicke in die Geschichte Eslands. Und am Ende glücklich wieder bei "meinen Kiddis".
Dienstag ist heut schon. Mhm. Die Aufpasser unter euch werden jetzt gemerkt haben, dass ich etwas in Verzug bin mit meiner Online-Weekly-Soap. Woran liegt das? Richtig. Ich bin beschäftigt von früh am Morgen bis spät am Abend.
Nunja von vorn: Letzte Woche Montag also hatte ich meine allererste Estnisch - Stunde meines Lebens. Ich also beladen mit frisch gewaschener Wäsche (kann meine Sachen nur in der Schule waschen) zu Ulvi - meiner Lehrerin. Die Anfänge waren schwer, allein schon die Betonung ist anders und es gibt einen völlig neuen Buchstaben und sowas. Aber von Stunde zu Stunde klappt es besser und Ulvi sagt ich bin "a pretty smart student" . Ich hoffe doch, dass sie damit Recht behält und ich bald mehr reden kann als bisher. Doch mit zweimal wöchentlich Unterricht dürfte ich schon bald etwas besser klar kommen mit der doch sehr schnellen estnischen Sprache. Sie brauchen hier für einen Satz inklusive Prädikat, Objekt, Subjekt und näheren Bestimmungen geschätzte 2 Sekunden. Und diese packen sie dann voll mit allen verschiedenen Zungenbrechern und Endungen die es nur gibt. So zumindest hört es sich für mich an und genau soviel versteh ich auch.
Ab Mittwoch war dann eine ehemalige Freiwillige aus Deutschland zu Besuch. Sie heißt Verena und war vor 5 Jahren die erste Freiwillige in Voru überhaupt. Sie hatte zu der Zeit im Kindergarten gleich um die Ecke geholfen. Sie kommt seit dem jedes Jahr einmal hierher und bleibt für ein paar Tage. Zusammen haben wir die erstklassigen Secondhand - Shops der Stadt erkundet, waren am See , (haben uns betrunken) und haben zusammen mit ihren estnischen Freunden ein wirklich lustiges Kartenspiel gespielt. Es handelte von den bösen Deutschen, die den Esten in der Vergangenheit ihre Religion, das Christentum, "brachten" - sie also gewaltsam christianisierten. Die moderne Art estnische Geschichte zu vermitteln.
Doch das Bild, dass bei diesem Spiel von den Deutschen vermittelt wird, ist keineswegs Alltag - bzw. schon längst in Vergessenheit geraten. Besonders die Jugend zeigt deutlich Sympathien gegenüber dem 3.Reich.
Aufgefallen ist das besonders Freitagnacht ( eher Samstagmorgen). Auf meinem Heimweg redete ich mit Verena - natürlich auf Deutsch - die Jugendlichen (in der nahe gelegenen Bushaltestelle) haben das scheinbar erkannt und Sekunden darauf folgte der überall bekannte Hitlergruß. Doch das war keineswegs als Spott gedacht, wie das in anderen Ländern des öfteren der Fall ist.
Natürlich hab ich mich gefragt warum das denn der Fall sein könnte. Ein Blick in die Geschichte verrät es: jahrhundertelange Abhängigkeit von fremden Nationen. Extreme Ausbeutung besonders während der Sowjetzeit. Zwar war Deutschland auch einmal solch eine Besatzungsmacht, doch Deutschland verhalf dem damals rückständigen Estland zu neuem Aufschwung. Die Autobahn wurde installiert, die Seeflotte wurde ausgebaut und viele weitere Vorteile brachte die Besatzung durch Deutschland dem Großteil der estnischen Bevölkerung. Auch in Estland wurden Juden verschleppt und ermordet, doch bei ca. 600 Juden in ganz Estland sei dies doch eher "nebensächlich" im Auge der Geschichte.
Ester bestätigte bei meinem Besuch bei ihr am Wochenende (es war wieder wunderbar) meine Annahmen und sagte, dass die schlechten und grausamen Aspekte des Hitlers Regimes immer mehr in den Hintergrund rücken verglichen mit den Gräueltaten und der Ausbeutung, die während der Sowjetzeit hier statt gefunden haben. Denn die Esten wollen mittlerweile nichts mehr mit "dem großen Bruder" zu tun haben. Soweit es nur geht - aber immer darauf bedacht die eigenen Traditionen zu wahren - orientiert sich dieses Land am Westen, auch an Deutschland.
Nur zögerlich und ganz behutsam werden wieder Kontakte nach Russland geknüpft.
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