Was in der Asylpolitik-Krise alles nicht funktioniert – Eine Parabel (direkt aus Brüssel ;) )
Flucht und Asyl sind zur Zeit allgegenwärtige Themen. Während Politiker*Innen sich über Fragen wie "Willkommenskultur" oder "Obergrenze?" streiten, engagieren sich viele Menschen ehrenamtlich, um den ankommenden Menschen den Anfang in Deutschland leichter zu machen. Um sich einsetzen zu können, muss man allerdings auch die politischen Strukturen verstehen. Zu diesem Zweck war ich mit einer Gruppe junger, engagierter Menschen in Brüssel und hatte das ein oder andere Schlüsselerlebnis dort.
Eine Gruppe von circa zwanzig jungen Menschen, alle zwischen 20 und 30 Jahre alt, mehrheitlich weiblich sitzen im Seminarraum eines Hostels in Brüssel, Belgien. Nach drei Tagen, in denen sie sich mit verschiedensten Akteuren*Innen der Politik der Europäischen Union getroffen und unterhalten haben, kommen sie hier zusammen, um sich über das Erlebte auszutauschen und eigene Ideen zu sammeln. Es geht um die europäische Asylpolitik. Was die jungen, recht idealistischen Menschen erfahren haben, war relativ ernüchternd. Der Grundkonsens unter allen Gesprächspartnern*Innen war, dass es deutlich zu wenig Kooperation unter Staaten und Institutionen gibt, Verantwortung hin- und hergeschoben wird und viele Ideen verkündet, aber wenige umgesetzt werden. Visionen – fehl am Platz. Um die Realpolitik gehe es ja. So antwortete zum Beispiel bemerkenswerterweise die Vertreterin eines Verbunds von NGOs (ECRE) auf die Frage, ob es denn keinen Vorschlag gäbe, Geflüchtete in die Entscheidung über das Land, in dem sie Asyl beantragen wollten miteinzubeziehen, schlichtweg: „Das ist politisch nicht durchsetzbar“. Letztendlich waren es jedoch nicht nur derartig „idealistische“ Vorschläge, die nicht umsetzbar scheinen, sondern es hapert auch an der Umsetzung einfachster schon verabredeter Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten. Kurz und knapp: Von der Politik kann im Moment nicht die Lösung aller Probleme erwartet werden, „Sie braucht Zeit", so der Konsens unter Mitarbeitenden der Komission und des Parlaments.
In dem kleinen Raum des Hostels bricht dennoch keine Hoffnungslosigkeit aus. „Die Zivilgesellschaft wird es dann eben richten“, lautet das Motto. Denn „die Zivilgesellschaft", das sind doch wir und wir pflegen ganz klar die "Willkommenskultur“, so eine der Teilnehemden. Außer der kleinen Gruppe befinden sich selbstverständlich noch andere Bewohner*Innen im Hostel: Rucksackreisende, Weltenbummler und auch eine gewise Anzahl an Geflüchteten, wie in so vielen Hostels in ganz Europa derzeit, aufgrund des Mangels an angemessenen Unterkünften. Im Verlauf der Tage waren einige Mitglieder der Gruppe immer wieder mit einigen der Geflüchteten ins Gespräch gekommen, obwohl die Kommunikation durch die Abwesenheit einer gemeinsamen Sprache ein wenig erschwert wurde. Einer derer, der sich mit der Gruppe angefreundet hatte, ist auch jetzt anwesend. Ötey, ein kleiner Iraker mit wachen Augen, der gern Witze macht und schon in Spanien und Deutschland war, auf seiner Odysee auf der Suche nach dem richtigen Land für seinen Asylantrag. Wie viel oder was er wohl vom europäischen Asylsystem weiß?
Er sitzt nebe Jonas, der ein wenig arabisch kann und immer mal wieder die kurzen Kommentare von Ötey übersetzt. Die allgemeine Diskussion dreht sich gerade darum, wie wir als Kommssionspräsident*In oder ähnliches die Asylpolitik zum positiven hin verändern würden. Ötey versteht natürlich nicht, worum genau es geht und schreckt nur aus seinen Gedanken auf, wenn er einen Ländernamen hört. Dann sagt er zum Beispiel: „Germany good, very good.“ Oder „Afghanistan boooooooom“ und macht Gesten, die wohl eine Explosion andeuten sollen. Iris, eine der Seminarleitenden ist nach einer Weile sichtlich genervt davon. Als Ötey sich ein weiteres Mal meldet, um etwas zu sagen, dreht sie sich energisch zu ihm um und herrscht ihn an „We are working here“. Später stellt sich heraus, dass Ötey uns Fotos von sich als irakischer Soldat im Krieg gegen den IS zeigen wollte.
Wie absurd diese Situation ist, wird dann erst dem/der ein oder anderen bewusst. Wie selbst Menschen, die sich für politisch aktiv und sensibel halten, in Anwesenheit des Menschen, um den es geht, darüber reden, was für diese Person gut wäre, anstatt sich die Zeit zu nehmen zuzuhören und tatsächlich von der Erfahrung anderer zu lernen, ist ein geradezu zynisches Beispiel für vieles, was gerade falsch läuft.