Was bedeutet Gentrifizierung?
Wem gehört die Stadt?
Gentrifizierung ist seit einigen Jahren eines der dominierenden Themen der Stadtsoziologie. Das Wort kommt von dem englischen “gentry”, was „niederer Adel“ bedeutet. Es vertritt den sozialen Umstrukturierungsprozess eines Stadtteiles durch Veränderung der Bevölkerung und durch Restaurierungs- und Umbautätigkeit. Betroffen sind vor allem zentrale, innerstädtische Lagen mit Altbaubestand oder kleinteiliger industrieller Nutzung in Gebäuden aus dem frühen 20. Jahrhundert.
Phasen der Gentrifizierung
- Die sogenannten „Pioniere“ der ersten Phase haben wenig Geld, aber in der Regel „kulturelles Kapital“ und ihre eigenen Lebensentwürfe, die sie verwirklichen wollen. Sie suchen und finden ihre Nische in der Vielfalt des Viertels. Ohne zu wollen, bereiten sie die Infrastruktur für die zweite Phase vor, machen das Viertel durch Kneipen, Galerien usw. für Außenstehende interessant.
- Dadurch ziehen sie weitere Pioniere an, aber auch die erste Generation der sogenannten Gentrifizierer, Leute mit höherer Schulbildung und höherem Einkommen, die bereits den Trend zur besseren Wohngegend wahrnehmen und nutzen wollen. In dieser Phase beginnen sich schon Immobilienmakler und Banken für das Gebiet zu interessieren. Einzelne Modernisierungen werden vorgenommen, die Mieten steigen, sind aber noch immer günstig.
- In der dritten Phase verstärkt sich der Zuzug der „Gentrifizierer“ und es kommt zu Konflikten mit den „Pionieren“, die sich der Umwandlung „ihres“ Viertels widersetzen. Die Infrastruktur der Restaurants und Geschäfte ändert sich, auch die Gewerbemieten steigen und mit ihnen die Preise der angebotenen Leistungen. Modernisierungen nehmen zu. Vermehrt verlassen Bewohner aus der ersten Phase, darunter auch Pioniere, das Viertel, sei es, weil sie die Miete nicht mehr aufbringen können, oder weil sie den veränderten Charakter des Viertels ablehnen. Andere, die selbst zu Wohneigentümern wurden, profitieren von der Wertsteigerung.
- In der vierten Phase schließlich ziehen die einkommensstärksten Haushalte nach. In dieser Phase kann das Viertel, je nach Lage, selbst für Angehörige der Mittelklassen zu teuer werden, insbesondere beim Wohnungswechsel. Man kann dann von einer „Hypergentrifizierung“ sprechen, der selbst die „gentry“ finanziell nicht gewachsen ist.
Die Medaille hat aber immer zwei Seiten. Durch Gentrifizierung werden zugängliche freizeitbezogene, gastronomische, medizinische und haushaltsnahe Dienstleistungen verbreitet. Eine zentral gelegene Wohnung bietet neben der geringeren Entfernung zu den Arbeitsplätzen in zentralen Geschäfts- und Bürovierteln den Vorteil einer hohen Mobilität durch öffentliche und multimodale Verkehrsmittel. Dieser Umstand kann zur Abschaffung oder zur Verringerung der Kosten eines privaten Verkehrsmittels genutzt werden. Zentral gelegene Wohnungen in Quartieren mit guter Infrastruktur werden häufig aus Gründen einer altersgerechten Wohnform und Lage sowie mit dem Gedanken einer Absicherung der Altersversorgung erworben.
In Europa kann man überall diesen Prozess beobachten. In den letzten Jahrzehnten wurden vor allem die Gebiete um die Place de la Bastille in Paris, die rue Oberkampf, den Canal Saint-Martin von Gentrifizierung betroffen. In der Schweiz hat sich der Begriff Seefeldisierung als Synonym für Gentrifizierung etabliert. In Wien finden beispielsweise im Karmeliterviertel der Leopoldstadt und im Ottakringer Brunnenmarktviertel aktuell Gentrifizierungsprozesse milderer Ausprägung statt.
Deutschlands größtem Wohnungskonzern Vonovia, der auch in Frankreich expandiert, wurde vorgeworfen durch die Verschleierung von Instandhaltungsarbeiten, welche als Modernisierungen unberechtigterweise auf die Vermieter umgelegt wurden, die Gentrifizierung in Deutschland zu fördern.
In Belgien finden sich Gentrifizierungstendenzen im Brüsseler Stadtteil Marolles; regional spricht man auch von der sogenannten Sablonisation.In Oslo, heute eine der teuersten Städte Europas, sind von der Gentrifizierung unter anderem die ehemaligen Arbeiterviertel Rodeløkka, Kampen sowie Grünerløkka betroffen. Aus dem früheren Industrieufer Aker Brygge wurde die teuerste Lage der Stadt. Man spricht von Vorzeichen des „neureichen Norwegens“.
Allgemein sind symbolische Aspekte der Stadtgestaltung und des städtischen Raumes für den Gentrifizierungsprozess wichtig. Die Frage ist, ob die Gentrifizierung wirklich den sich ändernden Wohnortpräferenzen subkultureller Bewohner folgt, die von billigen sanierungsbedürftigen Vierteln angezogen werden, oder ob das Investment in eine nicht zu teure Altbausubstanz mit anschließendem Bevölkerungsaustausch statusniedriger durch statushöhere Bewohner die höchsten Renditen ergibt.
Es ist unglaublich traurig, dass “die Seele” eines Viertels durch Gentrifizierung ausstirbt und genau deswegen setzen sehr viele Jugendliche ein Zeichen gegen diesen Prozess. Aus diesem Grund fanden in viele Großstädte Deutschlands Proteste statt. Viele Rap Sänger haben Lieder geschrieben mit Aussagen wie „Verpisst euch, Touris und Zugezogene, Kreuzberg gehört uns!“, „Die Wohnungsgesellschaft hat mein Haus verkauft - ich bin selbst davon betroffen.“, „Bushido, Kool Savas, deine Mutter? Alle bloß zugezogen! Und überhaupt kommt die Menschheit aus Afrika.“, „Stell mal die Betonmischmaschine ab, Alter, ich will chillen!“, „Vermieter blamieren, selbst renovieren, Abriss verhindern.“ aus dieser Angst und Abneigung vor Gentrifizierung. Aber im Endeffekt ist dieser Prozess unvermeidbar, denn die Welt ändert sich dauerhaft und man kann mit gezielter, organisierter und institutionalisierter Anstrengungen durch soziale Mischung oft auch positive Effekte erzeugen.
Quellen:
https://gentrifizierung.wordpress.com/about/
http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/stadt-und-gesellschaft/216871/gentrifizierung-ursachen-formen-und-folgen?p=all
https://einundleipzig.de/gentrifizierung-in-leipzig/
https://www.spiegel.de/panorama/gentrifizierung-in-leipzig-investoren-vertreiben-bewohner-a-973423.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Gentrifizierung
https://de.sputniknews.com/bilder/20190406324613227-proteste-gegen-miete-in-berlin/
https://www.spiegel.de/kultur/musik/musikclips-gegen-gentrifizierung-a-888569.html